Maren Gilzer gewinnt die neunte Staffel der RTL-Show „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“. Der Sender muss nach den Ursachen des deutlich zurückgegangenen Zuschauerinteresses fragen.

Stuttgart - Am Ende siegte die Vernunft. Dschungelkönigin wurde die Frau, die sich diesen Titel redlich verdient hatte – als Mutti im Camp und dafür, dass man ihr glaubte, dass das wirklich sie war und nicht nur irgendeine Rolle, die sie, die kinderlose Single-Frau, nur spielte. Maren Gilzer heißt die neue Königin. Die Buchstaben-Dreherin aus der Sat-1-Show „Glücksrad“ konnte ihr Glück selber kaum glauben. „Wow. Wow. Wow“, entfuhr es ihr, als sie hörte, dass sie sich mit 56,1 Prozent gegen den netten, aber langweiligen Jörn Schlönvoigt (43,82 Prozent) und die sexy Nervensäge Tanja Tischewitsch (21,9 Prozent) durchgesetzt hatte.

 

Was, nimmt man das sensationshungrige RTL-Publikum zum Maßstab, eine nicht zu unterschätzende Leistung war. Kam doch Tischewitsch zu dritt, rechnet man ihre beiden schlagenden Argumente noch dazu, zwei Brüste, die auf die Namen „Bacon 1“ und „Bacon 2“ hören. Menschlichkeit schlägt Profilierungszwang. Es war die einzige gute Nachricht aus dem Dschungelcamp 2015. Dem Format rennen die Zuschauer davon, überraschenderweise in erster Linie die jüngeren. In der neunten Staffel waren es rund 1,5 Millionen weniger als sonst.

Kann es sein, dass die Moderationstexte das Publikum überforderten? Die nämlich waren noch nie so feinsinnig und glänzend geschrieben wie in diesem Jahr. Ein Genuss für Freunde von Wortspielen wie „Schönheit vor Walter“. „Es war weniger Boulevard, mehr Feuilleton“, bilanzierte Daniel Hartwich im Finale selbstkritisch. Aber auch den Moderatoren blieb am Ende nichts anderes übrig, als die Kritik der Zuschauer zu thematisieren. Dass die Sendung langweilig gewesen sei – diesen Vorwurf musste sich RTL gefallen lassen. Dass die Kandidaten lieber in den Hängematten geschaukelt hätten als das zu tun, wofür sie RTL bezahlt hatte: zu intrigieren, zu streiten und sich nach allen Regeln der Kunst zum Affen zu machen.

Wurde die Sensationsgier der Zuschauer zur Falle?

Die Kritik war berechtigt. Der Reiz dieser so genannten Realityshow liegt in ihrer Unberechenbarkeit. Der Sender sucht elf verschiedene Phänotypen aus, von der Camp-Mutti bis zur sexy Nervensäge, vom lieben Langweiler bis zum Lustgreis. Er kann dann nur hoffen, dass sich eine Gruppendynamik entwickelt und nicht einzelne Kandidaten wie Walter Freiwald oder Tanja Tischewitsch das Vakuum als Alleinunterhalter füllen. In den vergangenen Staffeln ging diese Rechnung auf. Das verdankte RTL in erster Linie dem Prototyp Zicke – jungen Frauen wie Larissa Marolt, Melanie Müller oder Sarah „Dingens“ Knappik, die zuvor schon in Castingshows wie dem „Bachelor“ und „Germany‘s Next Top Model“ bewiesen hatten, dass Fremd- und Eigenwahrnehmung weit auseinandergehen – optimale Voraussetzungen, um das Camp aufzumischen.

Pech für RTL, dass das Kalkül in dieser Staffel nicht aufging. Vielleicht lag es daran, dass die Mischung nicht stimmte, weil es an echten Promis fehlte. Vielleicht hat die Realität dieses Camp aber auch eingeholt. Wer dieser Tage richtiges Theater erleben wollte, musste sich nicht mit RTL nach Down Under zappen, sondern wurde eher bei Pegida in Dresden, Leipzig, Berlin, Hannover und München fündig. Am Ende müssen sich die Zuschauer an die eigene Nase fassen und sich fragen, ob das Format nicht auch an ihrer eigenen Sensationsgier gescheitert ist. Denn was war diese Sendung anderes als ein perfektes Spiegelbild der Republik Merkel: selbstzufrieden, auf Harmonie bedacht und aufregerfrei – und der Realität weit entrückt.