Bei der Premiere seines neuen RTL-Formats „Mensch Gottschalk – Das bewegt Deutschland“ überzieht der TV-Veteran gehörig. Es ist nicht das einzige, was einen aufstöhnen lässt.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Der Durchschnittsdeutsche hat im Wohnzimmer Raufaser Erfurt Classico an der Wand und eine Tasse mit Kugelschreibern im Regal. Mit diesen aufsehenerregenden Informationen eröffnet Thomas Gottschalk seine neue RTL-Show „Mensch Gottschalk“. In den folgenden dreidreiviertel Stunden – knapp vierzig Minuten überzieht er – will er am Sonntagabend Licht in das bringen, was „Deutschland bewegt“, weshalb er zum Auftakt eine Durchschnittsfamilie auf der Couch präsentiert. Die guckt „Tatort“ – und das gilt es zu verhindern: „Paula ist die Täterin“ spoilert er kurz nach 20.15 Uhr die parallel laufenden öffentlich-rechtlichen TV-Ermittlungen. Genutzt hat es nichts: Mit nur 2,09 Millionen Zuschauern landete der Entertainer im Quotenranking der Sender an sechster Stelle.

 

Es ist eine alte psychologische Taktik, die eigenen Schwächen offen zu legen und gleichzeitig die Stärken des Gegners zu unterminieren. Genau nach diesem Prinzip verfährt der TV-Veteran, der mit seinen 66 Jahren in einem Alter angekommen ist, in dem er das Leopardenmuster im Sakko-Futter versteckt – „früher habe ich das außen getragen“. Gefühlte hundert Mal macht er zum Thema, dass er für sein Comeback auf den Fernsehbildschirm einen unmöglichen Sendeplatz hat – das von Spiegel TV und dctp entwickelte Format ist an das RTL- Sendefenster für unabhängige Anbieter gebunden. Ungeniert bekniet er um Viertel vor Zehn diejenigen, die nach dem ARD-Krimi bei ihm reinzappen, nicht wieder umzuschalten, und explizit benennt er das Offensichtliche: „Ich bin selbst echtes Leder“.

So ist an diesem langen, langen RTL-Abend der wahre Gegner Gottschalks nicht der ARD-Krimi, sondern er selbst: weil er in diesem Infotainment-Mix aus Talk, Einspielfilmen und Show als fader Aufguss seiner selbst zu glorreicheren Zeiten auftritt. Gottschalk, durch eine Beinverletzung gehandicapt, hakt altersmilde lächelnd mit seinen Gästen die Fragen auf seinen Kärtchen ab. Hölzern wirkt das, ausgebremst – als Zuschauer ist man peinlich berührt, wenn mal wieder eine Pointe verpufft. Erst gegen Ende blitzt hier und da die alte Schlagfertigkeit, der viel gerühmte Wortwitz und etwas von der Locker-Flockerheit auf, mit welcher der Ex-„Wetten, dass . . .?“-Moderator früher sein Publikum bannte.

Dabei begrüßt er im auf Wohnzimmer-Atmo getrimmten Studio in Berlin-Adlershof vor allem viele alte Männer und, neben Mark Forster, den aktuellen Let’s dance“-Gewinnern und den zaubernden Ehrlich Brothers, Popgrößen, die den Zenit ihres Ruhms wie er weit überschritten haben: die Pet Shop Boys und Nena.

Fußball und Kinder – diese Kombi zieht immer

Gottschalks Themenmix? Auf schon fast beschämende Weise so einfalls- wie mutlos: Mit der EM und einer Schar Eskortenknirpsen geht es los – eine Kombi, die zur Not immer zieht. Das Gespräch mit dem EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz, als Beleg dafür gedacht, dass der Showmaster auch „harte“ Themen kann, kommt über eine kleine Europakunde auf Kindergarten-Niveau nicht hinaus. Beim Thema Terror wird mit dem Experten Peter Neumann, der zwischen Ex-Nationaltorhüter Timo Hildebrand und Sportmoderator Matthias Opdenhövel auf dem Oma-Look-Sofa sitzt, vergeblich Erkenntnisgewinn simuliert. Ehrlich inhaltslos, dabei aber sehr werbeeffektiv hingegen die Runde mit dem Daimler-Vorsitzenden Dieter Zetsche und Ex-Rennfahrer Niki Lauda: Eingezwängt in einen Prototypen der Stuttgarter Autobauer geht es um vollautomatisierte Mobilität. Im Einspieler darf Gottschalk dann bei einer Spritztour selbst hinters überflüssig gewordene Steuer rutschen und beim Überholmanöver kindisch kreischen.

Fast obligatorisch in einer Gottschalk-Show: der Auftritt von Duz-Kumpel Günther Jauch, diesmal via Handy-Telefonat. Jauchs jüngster Quizshow-Millionär Leon Windscheid und ein veganer Metzger – diese beiden hat Gottschalks Show-Gemischtwarenladen fürs Unterhaltsame im Sortiment. Fürs Tragisch-Menschelnde wurden der querschnittsgelähmte Samuel Koch und dessen Verlobte eingekauft, dazu noch eine junge Leukämie-Patientin sowie eine Erinnerung an Guido Westerwelle zum Thema „Volkskrankheit Krebs“. Weiter im Angebot: zwei Überschwemmungsopfer aus Bayern sowie eine aus Syrien geflohene Olympia-Schwimmerin.

Aus der Schublade mit Kuriosem zieht Gottschalk dann noch einen Groß-Cousin von Donald Trump aus dem pfälzischen Kallstadt. Die zugeknöpfte Unbeholfenheit des Weindörflers bringt jedoch selbst die Labertasche Gottschalk an ihre Grenzen, aber da ist es ihm schon egal. Schnell spult er noch das Imitat der guten, alten „Wetten, dass . .?“-Saalwette ab: Drei Hundehalter sind dem Aufruf zu Beginn der Sendung gefolgt und präsentieren lasche Dressur-Tricks. Einer der Vierbeiner soll eine Schäm-dich-Position einnehmen, es will nicht so richtig klappen. Das Kommando für den Wuffi wäre auch beim Zweibeiner Gottschalk mehr als geboten.