Die „Edit Wars“ zeigen es: Wikipedia ist eine ziemlich ernste Sache. Zum Glück gibt es aber auch verspielte Ecken in der Welt der Online-Enzyklopädie, findet der StZ-Kolumnist Peter Glaser.

Stuttgart - Fünfzehn Jahre alt ist die Wikipedia nun geworden, und ein weiterer Beleg dafür, dass Erotik die Mutter der modernen Medien ist – von Thomas Edisons erfolgreichem Film „The Kiss“ von 1896, in dem die erste Kussszene der Filmgeschichte zu sehen ist, über Super-8, Videofilme und Telefonsex bis hin zu den digitalen Darreichungsformen, etwa der Suchmaschine Bomis. Sie wurde vom späteren Wikipedia-Gründer Jimmy Wales 1996 mit zwei Freunden aus der Taufe gehoben und war hauptsächlich erotischen Inhalten zugedacht. Als sich die aus den drei Bomis-Gründern bestehende Wikimedia-Crew gründete, nutzte Wales 100 000 Dollar von Bomis, um das Wikipedia-Projekt unabhängig von Werbung zu machen. „Sex sells!“, sagen die Werber. Und wie man sieht, kann Sex auch verhindern, dass man verkaufen muss.

 

Mit einer Wandlungswucht, die sogar Kaliber wie die Encyclopædia Britannica in die Knie zwang, hat diese Pionierform gemeinnütziger Zusammenarbeit im Internet inzwischen auch viel Spielerisches hervorgebracht. Das beliebte „Wiki Game“ etwa spielt mit der dichten Verlinkung der Enzyklopädie. Man bekommt einen zufällig ausgewählten Ausgangsartikel zugewiesen und dazu einen Zielartikel, den man nur durch das Anklicken von Links in den verbundenen Wikipedia-Beiträgen erreichen soll.

Eine weitere Art des lockeren Umgangs mit den inzwischen mehr als 36 Millionen Lexikonbeiträgen ist die Hilfe bei der Ideenfindung, etwa wenn man einen Namen für seine Band sucht: „Klicke in der Wikipedia ‚Zufälliger Artikel‘ an. Der erste Artikel ist der Name deiner Band.“ Das erinnert an den Gründungsmythos des Dadaismus, wonach der Schriftsteller Hugo Ball mit einem Messer in ein Wörterbuch gestochen und das Wort dada – französische Kindersprache für „Steckenpferd“ – getroffen haben soll.

Sogar ein Trinkspiel wird geboten

Es gibt auch Trittbrettfahrer wie „Wikipedia – The Game About Everything“. Dabei handelt es sich um ein Brettspiel mit 300 Fragekärtchen, wiederbeschreibbaren Tafeln, einer Sanduhr und einem Haufen Tokens, um mit dem angeblichen Wikipedia-Wissen zu spielen. Wer etwas weiß, bekommt ein Token. Wer am Ende am meisten Tokens hat, gewinnt. „Es ist“, formuliert es ein Spieler höflich, „kein übermäßig herausforderndes Spiel.“ Die vermeintlichen 300 Fragen sind in Wahrheit auch nur 150 – in doppelter Ausführung. „Perfekte Verpackung!“, wie es in einer Kundenrezension heißt. In der Wikipedia werden unter dem Stichwort „Wikipedia:Wikipedia games“ mehr als zwei Dutzend Spiele aufgelistet, die man mit Hilfe des Online-Lexikons ausprobieren kann – vom „Wikipedia Adventure“ bis hin zu einem Wikipedia-Trinkspiel.

Und die Fülle an Assoziationsmöglichkeiten kann einen auch retten, wenn man sozusagen beim Spielen einen Fehler macht. Als ich mal ein Kreuzworträtsel entwerfen sollte, entdeckte ich erst, als ich mit dem ganzen Rätsel fertig war, dass ich das Wort Algorithmus falsch geschrieben hatte. Ausgerechnet Algorithmus! Da stand nun „Algoritmus“, und eine Korrektur hätte bedeutet, das ganze Rätselgitter neu aufzubauen. Aber auch hier half die Wikipedia: Auf Tschechisch, so fand ich in der entsprechenden fremdsprachigen Wikipedia-Version, heißt Algorithmus tatsächlich Algoritmus. Also brauchte ich nur noch die Fragezeile zu ändern: „Computer-Handlungsvorschrift (tschech.)“