Die Geschichtswerkstatt Stuttgart-Süd hat zu einer Führung durch das Rudolf-Sophien-Stift eingeladen. Die Entwicklung der Einrichtung war bundesweit einmalig.

S-Süd - Auf den Punkt platziert sind die Dekorationen, nie überbordend. Ein Relief mit turtelnden Tauben ziert etwa den Bogen, durch den es zur Treppe in den Garten geht. Über dem Eingang auf der in Rosé verputzten Fassade wiederum findet sich eine Szene mit dem Waldgott Pan. Gegenüber bietet ein Walmdach-Pavillon beste Aussichten in den Wald des Stuttgarter Südens. „Das Dach, die reduzierte Fassade – typisch für die Zeit“, so Wolfgang Jaworek, im Vorstand der Geschichtswerkstatt Stuttgart-Süd. Das Objekt seiner Erklärung: das Rudolf-Sophien-Stift, deren Träger seit 2006 die Evangelische Gesellschaft (Eva) ist. Als Teil der gemeindepsychiatrischen Versorgung der Landeshauptstadt Stuttgart und angrenzender Landkreise bietet sie Angebote für psychisch erkrankte Menschen – von der klinischen Behandlung über medizinische, berufliche und psychosoziale Rehabilitation bis zu bedarfsorientierten Hilfen im Bereich Wohnen und Arbeiten.

 

Die Geschichte des Stifts beginnt 1895

Dorthin luden die Geschichtswerkstattler, um Historie und Außenanlagen des 1914 fertiggestellten Gebäudes kennenzulernen. Entworfen wurde es vom Architekten Rudolf Lempp, Schüler und Assistent von Paul Bonatz, Hauptvertreter der ersten Stuttgarter Schule. Diese an der Technische Hochschule Stuttgart gelehrte Stilrichtung verwarf im Zeichen der Reformbewegungen den Historismus, setzte aber auf eine klassisch konservative Bauweise. Dazu gehörte der Heimatschutzstil, dem Lempp zuzurechnen ist, mit regionaltypischen Bautraditionen, handwerklich solide umgesetzt in ortsüblichen Materialien. Anders als im Historismus werden Verzierungen, Rundbögen und Säulen sparsam eingesetzt.

Das gilt auch für das Rudolf-Sophien-Stift. Dessen Geschäftsführer Jürgen Armbruster führte durch die Geschichte: Fabrikantenpaar Rudolf und Sophie Knosp, er war Mitgründer der BASF, stifteten 1895 zwei Millionen Mark für ein „Rekonvaleszenz-Spital“ im Grünen. In dem „Erholungsheim für den bürgerlichen Mittelstand“ sollten Menschen nach einer Krankheit wieder zu Kräften kommen. Eröffnet wurde es indes erst 1919, im Ersten Weltkrieg befand sich dort ein Lazarett. Im Zweiten Weltkrieg zieht die Stabdienststelle der Luftwaffe ein, nach Kriegsende zunächst die französische Armee, dann die amerikanische. Es folgt die Medizinische Klinik des Cannstatter Krankenhauses. „Bis 1970 war sie im Ensemble“, so Armbruster. „Dann stand es leer, bis die Stiftung für Bildung und Behindertenförderung Stuttgart, nun Heidehof-Stiftung, der Geschwister Robert Bosch junior und Eva Madelung das Anwesen kaufte und es renovieren ließ.“

Zuvor war Rehabilitation kein Thema

Die Situation in der Psychiatrie war Anfang der 70er-Jahre in Deutschland katastrophal. Viele psychisch Kranke und Behinderte fristeten in großen Sälen mit bis zu 30 Menschen ohne Privatsphäre ihr Leben. Das wollten die Bosch-Geschwister ändern: Bosch junior war Psychoanalytiker, Madelung Familientherapeutin. Das Rudolf-Sophien-Stift öffnete 1973 als Rehabilitationszentrum als Übergangswohnheim und Werkstatt für psychiatrische Rehabilitanden. Später kam dann eine klinische Abteilung hinzu. „Bundesweit einmalig!“, so Jürgen Armbruster. „Rehabilitation war zuvor kein Thema.“ Die Psychiatrie-Enquete der Bundesregierung 1975 schuf dann die Basis eines Psychiatrie-Reformprozesses und stärkte ambulante Versorgungsstrukturen.

Auch die Eva und der Caritasverband bauten ab den 80er-Jahren in Stuttgart ein Hilfsangebot für psychisch Kranke auf. Das Stift ist längst in der Stadt verankert, mit Wohngruppen und ambulanten Wohnungen für Patienten, Arbeitsplätzen bei kooperierenden Firmen. In den Werkstätten sind insgesamt 500 Menschen tätig. Im Lemppschen Altbau wohnen heute noch 36 Patienten, im Neubau sind es 16 Patienten, die geschützt untergebracht werden müssen, weil sie sich etwas antun könnten.