Vor 50 Jahren begann die Kubakrise – bis heute ein Lehrstück zum Risiko von roten Linien und Ultimaten. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges wurde klar, dass schieres Glück den Vernichtungskriegverhindert hatte.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Washington - Als am 14. Oktober 1962 die Filme aus der Kamera eines U2-Aufklärungsflugzeugs von einem US-General höchstpersönlich auf dem Flugfeld in Texas abgeholt wurden, waren es die wohl brisantesten Spionageaufnahmen des 20. Jahrhunderts. Seit Monaten wusste die amerikanische Regierung, dass die Sowjetunion auf Kuba militärisch aktiv war. Das Revolutionsregime von Fidel Castro war nach dem gescheiterten Invasionsversuch von Regimegegnern in der Schweinebucht im April 1961 zu einem strammen Verbündeten Moskaus geworden.

 

Die Fotos versetzten Washington einen Schock: Die Sowjets montierten nur 150 Kilometer vor der Küste Floridas atomare Mittelstreckenraketen. US-Präsident John F. Kennedy, der zuvor außenpolitisch manchmal keine glückliche Hand gehabt hatte, ist dank des sich anschließenden Dramas zum Mythos geworden. Ein junger Präsident, der dem Erzfeind die Stirn bot und siegte – das ist das Bild in den Geschichtsbüchern. Doch die Kubakrise, die Höhe- und Wendepunkt des Kalten Krieges war, zeigte auch, welches enorme Risiko eine Politik der roten Linien und Ultimaten bedeutet.

Bis 22. Oktober brodelte die Krise unter der Oberfläche

Alles begann mit einer Fehleinschätzung der US-Geheimdienste. Der CIA, der von der wachsenden sowjetischen Präsenz auf Kuba wusste, hielt es für ausgeschlossen, dass Moskau die USA aufs Äußerste provozieren würde. John F. Kennedy glaubte zudem sowjetischen Beteuerungen, dass man keine Angriffswaffen auf die Insel bringen werde. Im US-Kongresswahlkampf hatte Kennedy, der von den Republikanern als zu nachgiebig kritisiert wurde, sich deshalb zu einer scheinbar risikolosen Drohung hinreißen lassen. Er werde auf Kuba keine Offensivwaffen dulden, hatte er im September gesagt. Ein Zurückweichen hätte ihm angesichts der antisowjetischen Stimmung im Land die politische Karriere kosten können.

Nun war es egal, dass das Nukleararsenal der USA dem der Sowjetunion damals im Verhältnis von 17 zu eins überlegen war oder dass die Sowjetunion von US-Mittelstreckenraketen bedroht wurde, die in der Türkei stationiert waren. Bis zum 22. Oktober brodelte die Krise unter der Oberfläche. Nach außen machte der US-Präsident weiter Wahlkampf und ließ Moskau über seine Erkenntnisse im Unklaren. Wie wir aus 1997 veröffentlichten Tonbandmitschnitten von den internen amerikanischen Debatten wissen, stand ein Krieg auf Messers Schneide. Scharfmacher, vor allem aus dem US-Militär, brannten darauf, gegenüber Kuba und der Sowjetunion ein Exempel zu statuieren. Luftangriffe oder eine massive Invasion der Insel standen auf der Liste der Optionen ganz oben. Doch der US-Präsident entschied sich für eine Seeblockade.

Der US-Präsident vermied die äußerste Zuspitzung

Am 22. Oktober um 19 Uhr Ortszeit in Washington erfuhren Millionen von Amerikanern und der Rest der Welt bei einer Fernsehansprache von John F. Kennedy von der Existenz der Raketen. Trotz der scharfen Drohung, wonach jeder Abschuss einer Rakete von Kuba egal auf welches Land mit einem massiven Vergeltungsschlag der USA auf die Sowjetunion geahndet würde, vermied Kennedy die äußerste Zuspitzung. Er sprach nicht von einer Blockade, sondern von einer Quarantäne. Schiffe ohne Raketenteile an Bord sollten passieren. Der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow antwortete mit einem scharfen Schreiben. Wenn die US-Regierung nicht auf die angedrohten Maßnahmen verzichte, könne dies zu „katastrophalen Folgen für den Weltfrieden führen“.

Die Sowjetunion hatte zudem jederzeit die Option, Druck auf Westberlin auszuüben. Die US-Blockade begann am 24. Oktober. Weltweit stand das US-Militär in höchster Alarmbereitschaft. Doch insgeheim hatte Kennedy den Sowjets Spielraum gelassen. Er zog die rote Linie näher an die kubanischen Küste als zunächst geplant. Die Raketenfrachter stoppten. Die diplomatischen Noten zwischen Moskau und Washington gingen auf umständlichen Informationskanälen hin und her. Ein sowjetischer Tanker passierte unbehelligt die Sperrlinie. Die Amerikaner durchsuchten einen liberianischen Frachter und fanden nichts. Chruschtschow machte ein erstes Verständigungsangebot: Abzug der Raketen gegen eine Nichtangriffserklärung der USA für Kuba.

Der 27. Oktober wurde fast zur Katastrophe

Dennoch wurde der 27. Oktober fast zum Tag der Katastrophe. Ein Spionageflugzeug der USA flog von Alaska versehentlich in den sowjetischen Luftraum und löste Alarm aus. Über Kuba ließen sowjetische Offiziere ohne Befehl aus Moskau ein US-Flugzeug abschießen. Ein harter Brief aus Moskau stellte zusätzlich die Forderung nach dem Abzug der US-Atomraketen aus der Türkei. Das US-Militär drang auf Krieg. „Es gibt viele unvernünftige Köpfe bei den Generälen, die auf einen Kampf brennen“, sagte Kennedys Bruder Robert am selben Abend bei einem Geheimgespräch mit Anatoli Dobrynin, Moskaus Botschafter in Washington. Kennedy und Chruschtschow dämmerte, wie nahe sie die Welt an den Abgrund getrieben hatten.

Einen Tag später durchschlugen sie den Knoten: Die Sowjets würden abziehen, die Amerikaner dafür ihre Atomraketen in der Türkei demontieren. Um das Gesicht des US-Präsidenten zu wahren, blieb der zweite Teil der Vereinbarung geheim. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges wurde klar, dass schieres Glück den Vernichtungskrieg verhindert hatte. Was die Amerikaner nicht wussten: die Sowjets hatten bereits nukleare Sprengköpfe und Bomben auf Kuba, die sie wohl auch eingesetzt hätten. Ein sowjetisches U-Boot brach einen Angriff auf einen US-Zerstörer erst in letzter Sekunde ab.

Nach außen hin sah es wie ein eiskaltes Pokerspiel aus

Die USA und die Sowjetunion hatten in der Krise die Kontrolle über ihr Militär teilweise verloren – auch wenn es nach außen wie ein eiskaltes Pokerspiel aussah. Weder Washington noch Moskau wollten ein solches Drama wiederholen. Mit dem Aufbau des „roten Telefons“ zwischen beiden Hauptstädten begann nach dem Kalten Krieg das Zeitalter eines kalten Friedens. Doch die Schlussfolgerung, man müsse gegen Kommunisten konsequent Härte zeigen, führte die USA schon wenige Jahre später ins Desaster des Vietnamkrieges.