Begleitet von Wissenschaftlern reist Ministerin Theresia Bauer nach Namibia, um in der Kolonialzeit geraubte Kulturgüter zurückzugeben. Die Mission ist geschichtsträchtig und nicht ohne Fallstricke.

Stuttgart - Der Staatspräsident steht bereit, und große Festlichkeiten sind geplant, wenn Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) begleitet von Vertretern aus Kunst und Wissenschaft in dieser Woche die in der Kolonialzeit geraubte Bibel und die Peitsche des Nama-Anführers Hendrik Witbooi nach Namibia zurückbringt. „Die beiden Objekte aus dem Stuttgarter Linden-Museum haben den Charakter nationaler Kulturgüter, die von hervorgehobener Bedeutung für das gesamte Land sind“, betont Theresia Bauer mit Blick auf Namibia. Doch auch im Inland zieht das Vorhaben weite Kreise.

 

Es ist in Deutschland die erste Rückgabe von Kulturgütern aus der Kolonialzeit, wenn man von menschlichen Artefakten absieht. „Sie ist ein starkes Signal für Namibia wie für ganz Afrika“, sagt Andreas Mehler, der Direktor des Arnold-Bergstraesser-Instituts für kulturwissenschaftliche Forschung an der Uni Freiburg, unserer Zeitung.

Rückgabe als Signal

Die Bundesregierung hat im neuen Koalitionsvertrag erstmals angekündigt, sie wolle den Kolonialismus aufarbeiten. Doch sie sieht sich auch mit einer Klage konfrontiert. Vor einem New Yorker Gericht wollen Vertreter der namibischen Volksstämme der Herero und der Nama Entschädigungen erstreiten für den Völkermord deutscher Kolonialtruppen in Namibia. Schadenersatz lehnt Deutschland strikt ab. Doch die Beziehungen sollen auf andere Füße gestellt werden. Ruprecht Polenz, der Namibia-Beauftragte der Bundesregierung, sprach gegenüber unserer Zeitung von „Augenhöhe und Gleichberechtigung“. Deutschland sei im Begriff, die Rolle des Entwicklungshelfers abzulegen zugunsten der eines Partners Afrikas, und sei bereit, „Dinge, die aus heutiger Sicht zu Unrecht nach Deutschland gekommen sind, zurückzugeben“. Polenz wertet die Rückgabe der Bibel als „ein starkes Signal für diese Bereitschaft“.

Misstrauen in Afrika

Für Andreas Mehler ist es an der Zeit, dass Deutschland ein Zeichen setzt. In Deutschland werde jetzt viel Geld für die Erforschung der Herkunft zum Beispiel von geraubten Kolonialgütern bereitgestellt. Die zunehmende Provenienzforschung werde in Afrika gewertet als Ausdruck, dass die Güter doch nicht zurückgegeben werden sollen. „Viele afrikanische Wissenschaftler haben ein riesengroßes Misstrauen gegenüber deutschen Museumsverantwortlichen“, erklärt Mehler. Mit Blick auf die Bibel und die Peitsche sagt der Professor für Entwicklungspolitik, „nur die Rückgabe wertvoller und symbolisch aufgeladener Objekte stellt die Glaubwürdigkeit wieder her“.

In deutschen Museen lagern nach Einschätzung von Mehler über hunderttausend Objekte aus der Kolonialzeit. Dass die Rückgabe der Witbooi-Objekte das Tor öffnet, dass alles nach Afrika zurückverschifft wird, „diese Angst ist nicht berechtigt“, meint der Professor. Rückforderungen würden sich „auf eine kleine Anzahl von Objekten beziehen“.

Baden-Württemberg will vorangehen auf dem neuen Weg der Zusammenarbeit. „Mit der Rückgabe gehen wir einen wichtigen Schritt der Versöhnung“, sagt Bauer vor Beginn der Reise. Doch auf dem Weg liegen nach wie vor Fallstricke.

Zweifel am richtigen Adressaten

Die offizielle Übergabe soll am Donnerstag in Gibeon im Süden Namibias, dem Stammsitz der Witbooi, stattfinden. Der namibische Präsident Hage Geingob wird Bibel und Peitsche von Wissenschaftsministerin Bauer entgegennehmen. Es sollen Mitglieder der namibischen Regierung und des Parlaments vertreten sein.

Das gefällt in Namibia nicht allen. Deutschland und Baden-Württemberg sehen die namibische Regierung als die richtige Adresse für die Rückgabe. Doch auch die Familie und andere Nama-Gruppierungen melden Ansprüche an. Theresia Bauer betont, Baden-Württemberg habe das Gespräch mit Nama-Gruppierung und der Familie gesucht. Vertreter der Familie hätten sich mit einer Übergabe an den Staat einverstanden erklärt. Dennoch kam es kurz vor Beginn der Reise zu einer Klage, die das Landesverfassungsgericht jedoch zurückgewiesen hat. Die weit verzweigte Familie der Witbooi und die Nama-Gruppierungen sind sich dem Namibia-Kenner Reinhart Kößler zufolge nicht einig. Baden-Württemberg wie der Verfassungsgerichtshof und der Namibia-Beauftragte Ruprecht Polenz sind einhellig der Überzeugung, diese Konflikte müssten innerhalb Namibias geklärt werden.

Ausgangspunkt für neue Projekte

Theresia Bauer wertet die Rückgabe als „Ausgangspunkt für einen intensiven Dialog und neue, starke Partnerschaften mit den Herkunftsgesellschaften“. Sie sagt, „wir wollen die gemeinsame Kolonialgeschichte auch gemeinsam aufarbeiten“.

Anlässlich der Rückgabe werden mehrere wissenschaftliche und kulturelle Kooperationsprojekte gestartet. An diesen sind Museen, Hochschulen und Archive in den beiden Ländern beteiligt. Mitglieder der Namibia-Delegation aus dem Südwesten sind unter anderen Elke aus dem Moore, Direktorin der Akademie Schloss Solitude, Sandra Richter, Chefin des Literaturarchivs Marbach, und Inés Castro, Direktorin des Linden-Museums. Für seine Namibia-Initiative stellt das Land Baden-Württemberg zunächst 1,25 Millionen Euro zur Verfügung.