Wenn Unternehmen Produkte zurückrufen, ist das meist teuer und auch peinlich.

Wirtschaft: Imelda Flaig (imf)

Stuttgart - Metallstückchen in der Salami, Glassplitter im eingelegten Gemüse, Explosionsgefahr bei Gasherden und brennende Smartphones – es vergeht kaum eine Woche, ohne dass in Deutschland Produkte wegen möglicher Gesundheitsgefährdung oder Sicherheitsrisiken zurückgerufen werden. Manchmal erlangen Rückrufaktionen ein großes Echo wie etwa die von Volkswagen, weil der Konzern wegen manipulierter Software Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten beordert hat, oder die des Handyherstellers Samsung, der nach Berichten über brennende Smartphones nicht nur einen weltweiten Rückruf für das Galaxy Note 7 gestartet, sondern mittlerweile auch den Verkauf gestoppt hat.

 

Bei dem Rückruf von Samsung sei einiges schief gelaufen, sagt Klaus Weise, Experte für Krisenkommunikation und Geschäftsführer von Serviceplan Public Relations. Erste Regel in der Krisenkommunikation sei, Empathie zu zeigen, nach dem Motto: Liebe Leute, es tut uns leid. „Doch von Samsung gab es kein Wort des Bedauerns, keine Entschuldigung“, kritisiert Weise. Der Rückruf sei sehr unpersönlich und bürokratisch formuliert. Gut findet er aber, dass Samsung auch Kanäle wie Facebook nutzt und dort den Rückruf gepostet hat. Gerade bei einem Produkt wie dem Smartphone sei das wichtig. Allerdings sei das Ganze sehr „unglücklich gelaufen und sehr peinlich“, denn schon beim ersten Rückruf sei davon die Rede gewesen, dass Samsung die Notbremse ziehe. Nachdem nun auch die Austauschgeräte zurückgerufen würden, werde erneut die Notbremse gezogen. „Wie oft wird denn noch die Notbremse gezogen?“, fragt sich Weise. Wichtig sei deutlich zu machen, dass man die Bedürfnisse der Kunden im Blick habe.

„Da stecken viel Emotionen drin – auch in der Marke“

Für Unternehmen, deren Produkte von einem Rückruf betroffen sind, steht einiges auf dem Spiel – da geht es ums Image, um Glaubwürdigkeit, um Kosten im Zusammenhang mit dem Rückruf, bis hin zu möglichen juristischen Konsequenzen. Hat eine Firma eh schon einen schweren Stand, kann der Ruf durch einen Rückruf erst recht ramponiert werden. Unternehmen mit hohem Ansehen bei Verbrauchern könnten – bei entsprechender Reaktion – eine Panne aber auch unbeschadet überstehen. Die Toleranz der Verbraucher hänge stark mit dem Ausmaß der persönlichen Betroffenheit zusammen, sagt Krisenexperte Weise. Ein Smartphone sei etwas sehr Persönliches, der persönliche Assistent, der als Terminkalender, Wecker und Kommunikationskanal genutzt werde. „Da stecken viel Emotionen drin – auch in der Marke“, sagt er. Deshalb sei es umso wichtiger, dass das Thema zur Chefsache gemacht und nichts vertuscht werde. Das sieht nicht nur Weise so. Mittlerweile gerät sogar die Samsung-Führung durch das Debakel um das Galaxy Note 7 unter Druck – eben weil die Führungsriege schweigt.

Hochrangige Manager seien am Mittwoch in Seoul den Fragen der Reporter ausgewichen, berichtet etwa die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap. Shin Jong Kyun und Koh Dong Jin, die für das Note 7 verantwortlich seien, schienen gar nicht dabei gewesen zu sein. Jetzt wird in Südkorea spekuliert, ob Manager beim Smartphone-Weltmarktführer zurücktreten müssen. Bei einem sind sich die Kommentatoren einig: dass der Fall für Samsung weit schwerer wiegt als ein normaler Produkt-Rückruf. Es gehe nicht nur um den finanziellen Verlust – allein die Kosten für Rückholaktionen werden auf umgerechnet mehr als 1,6 Milliarden Euro geschätzt – sondern um die Marke „Galaxy“, das Vertrauen der Kunden und den Ruf des Konzerns insgesamt.

Portale, die Warnungen für Verbraucher sammeln

Ein Krisenplan im Unternehmen ist laut Weise das A und O. Im Krisenfall verbreitet sich eine Nachricht rasant, weil viele Verbraucher gut vernetzt sind und die sozialen Netzwerke nutzen. Von Salamitaktik hält er nichts; die Kommunikation müsse offen und transparent sein.

Mittlerweile gibt es auch im Internet mehrere Portale, die Warnungen für Verbraucher sammeln. Das reicht von offiziellen Stellen bis zu gemeinnützigen Initiativen – darunter etwa Lebensmittelwarnung.de, ein Portal des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), wenn es um Lebensmittel geht, oder Produktrueckrufe.de , eine Seite, die unterschiedlichste Rückrufaktionen aus verschiedensten Branchen auflistet.

Rückrufaktion in der Automobilbranche kommen besonders häufig vor, sagen Verbraucherschützer. Sind etwa Bremsschläuche eines Fahrzeugtyps defekt, ermittelt das Kraftfahrbundesamt die betroffenen Fahrzeughalter. Die müssen dann ihr Auto in die Werkstatt bringen. Ruft der Hersteller Neuwagen zurück, greift er in der Regel diskret auf die Kundendaten beim Händler zurück und schreibt die Besitzer selbst an. In diesem Jahr mussten Autohersteller wieder viele Fahrzeuge wegen möglicher defekter Airbags des Zulieferers Takata zurückrufen. Die Zahl der Rückrufe in der Autobranche ist in den letzten Jahren kräftig gestiegen. Allein in Deutschland gab es im vergangenen Jahr 326 Rückrufaktionen mit hunderttausenden von Fahrzeugen – so viel wie noch nie. Die Autos sind nicht unsicherer geworden, aber anfälliger. Zu diesem Ergebnis ist Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach bei seiner Studie zu Rückrufaktionen in der Autoindustrie gekommen.

Verstärkter Kostendruck

Markus Burgdorf spricht vom „Prinzip der Gewinnmaximierung“. Der Mann, der früher in der Autozulieferbranche gearbeitet und auch mehrere Rückrufaktionen betreut hat, berät heute Unternehmen in Risikoprävention und in akuten Krisenfällen. Der Kostendruck sei intensiver geworden. Besonders problematisch sei das auf Grund der Gleichteilestrategie in der Autoindustrie. Fahrzeuge würden im Baukastenprinzip von internationalen Zulieferern ausgestattet. Kleine Fehler könnten dann Millionen Rückrufe auslösen. Den Samsung-Rückruf bezeichnet er als extrem peinlich, zumal der Konzern mit dem Gerät Apple und dessen iPhone Paroli bieten wollte. Solche Geräte würden zu astronomisch hohen Preisen verkauft, doch in der Produktion werde gespart, verallgemeinert Burgdorf.

Rückrufe von Unternehmen oder staatlichen Überwachungsstellen

Oft gehen Rückrufe von den Unternehmen selbst aus – etwa wenn sie bei Stichproben Mängel feststellen, die möglicherweise auch bei ausgelieferten Produkten auftreten können. Unangenehmer ist es, wenn staatliche Überwachungsstellen die Rückrufe anordnen, wie dies etwa bei der bayerischen Großmetzgerei Sieber der Fall war. Weil in einigen Warenproben Listerien – Bakterien, die vor allem die Gesundheit von Kleinkindern und Menschen mit geschwächtem Immunsystem gefährden können – gefunden wurden, musste die Firma auf Geheiß des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ihr gesamtes Sortiment zurückrufen. Mehr als 100 Tonnen Wurstwaren wurden vernichtet. Die Firma hat mittlerweile Insolvenz angemeldet.

Mars hat freiwillig Millionen von Schokoriegeln vernichtet

Nicht immer endet es für die Unternehmen so dramatisch. In den meisten Fällen entschließen sich Hersteller ohne Druck der Behörden für einen Rückruf, wenn es Pannen gab – wie etwa der Süßwarenkonzern Mars, der Millionen von Schokoriegeln freiwillig vernichten ließ. Langfristig schätzten Verbraucher solches Handeln, sind sich Krisenexperten einig.

Manchmal kommen auch Rückrufe beziehungsweise die Rücknahme oder die Verbessrung von Produkten aufgrund der Testergebnisse der Stiftung Warentest zustande, bestätigt Holger Brackemann, Leiter des Bereichs Untersuchungen. Darunter waren schon Autokindersitze, automatische Bewässerungsanlagen oder Kinder-Buggys. Verbraucher jedenfalls sollten Rückrufe nicht ignorieren, heißt es bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Wer einen Rückruf ignoriert, dem kann nicht nur ein Unfall drohen, sondern auch der Verlust von Schadenersatzansprüchen.