Die Laufbahn des Angreifers Mario Gomez vom Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart in der deutschen Auswahl ist eine wechselhafte Geschichte. Ein Fehlschuss bei der Europameisterschaft 2008 machte ihm das Stürmerleben lange schwer – warum aber?

Stuttgart - Die Nationalmannschaftskarriere von Mario Gomez, die der Stürmer des VfB Stuttgart am Sonntag mit einer Facebook-Nachricht für beendet erklärt hat, birgt eine gewisse Tragik. 31 Tore hat er geschossen in den 78 Spielen seit seinem Debüt im Trikot der deutschen Elf am 7. Februar 2007 in Düsseldorf gegen die Schweiz (3:1), bei dem ihm gleich ein Treffer gelang. Doch oftmals ist der mittlerweile 33-Jährige reduziert geworden auf das eine Tor, das er nicht erzielt hat.

 

Ein blöder Fehlschuss bei der EM 2008

Bei der Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz war das. In der Vorrundenpartie in Wien gegen Österreich (1:0) bekam er den Ball perfekt im Fünfmeterraum serviert, eine Riesenchance. Doch die Kugel hüpfte tückisch auf, Mario Gomez erwischte sie nicht recht, von seinem Schienbein prallte sie hoch in die Luft statt vorneweg ins Tor. Bis heute ist er deshalb für manchen „der Blinde mit der Lachnummer von Wien, der den Ball aus einem Meter nicht reinkriegt“, wie der Angreifer seinerzeit direkt nach der Begegnung sagte.

Es war ein blöder Fehlschuss, der zu einem historischen Fehlschuss stilisiert wurde, auch wenn er letztlich überhaupt nicht die Tragweite des vergebenen Elfmeters von Uli Hoeneß im EM-Finale 1976 besaß. Dieser Moment sollte Mario Gomez trotzdem lange verfolgen. Er kam eigentlich immer zur Sprache, wenn er wieder für das Nationalteam auflief und eine Chance ungenutzt ließ. Er wurde zum Sinnbild dafür, dass dieser herausragende Stürmer im Vereinstrikot zu jener Zeit fast nach Belieben traf, im Nationaltrikot jedoch nicht ganz so treffsicher auftrumpfte. Wahrscheinlich vergab er als Teil der Nationalelf nicht mehr Chancen als im Einsatz für seine Clubs, doch spätestens nach der Nacht von Wien wurde das irgendwie immer so ausgelegt.

Mehmet Scholl und das Wundliegen

Er wolle „kein Spieler mit zwei Gesichtern“ sein, hat Mario Gomez zu diesem Thema einmal gesagt. Und doch heftete ihm dieser Makel lange an. Er gehört zu den erfolgreichsten Torjägern seiner Generation, doch auf Nationalmannschaftsebene ist das nicht die Wahrnehmung. Er musste sich viel Kritik von Fans und Medien gefallen lassen, immer wieder sogar Pfiffe. In die Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz startete er als Stammspieler und beendete sie als Einwechselspieler, ohne Tor. Bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika kam er viermal von der Bank.

Bei der Europameisterschaft 2012 lief es besser, er war mit drei Treffern und einer Vorlage am deutschen Finaleinzug beteiligt und wurde damit in der Torschützenliste hinter dem Spanier Fernando Torres Zweiter. So ein bisschen zeigte er es damit auch dem TV-Experten Mehmet Scholl, der beim 1:0-Auftaktsieg gegen Portugal eine Szene mit Mario Gomez bösartig so kommentiert hatte: „Ich hatte zwischendurch Angst, dass er sich wund liegt und mal gewendet werden muss.“

Am Ende ruht Mario Gomez in sich selbst

Es folgte eine von Verletzungen geprägte Karrierephase, was ihn auch die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2014 mit dem deutschen Titelgewinn in Brasilien kostete. Danach kehrte Mario Gomez in den Kreis der Nationalelf zurück. Im Spiel in Düsseldorf gegen Argentinien (2:4) gab er sein Comeback, vergab mehrere Torchancen – und wurde einmal mehr ausgepfiffen, was er hinterher als „ein Stück weit mittlerweile normal“ bezeichnete. Bei der Europameisterschaft 2016 schloss er mit seinen EM-Treffern vier und fünf zu Jürgen Klinsmann als dem erfolgreichsten deutschen EM-Torschützen auf, war eine positive Erscheinung, ehe ihn im Viertelfinale gegen Italien ein Muskelfaserriss im rechten Oberschenkel ausbremste.

Bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland war er zuletzt dreimal als Einwechselspieler gefragt. Auffällig war, wie selbstlos Mario Gomez sich bei dem Turnier in den Dienst der Mannschaft stellte. Schon vorab hatte er den talentierten Konkurrenten Timo Werner in den höchsten Tönen gelobt und sich brav hinten angestellt. Der junge Vater trat – als ältester Spieler des Aufgebots mit seinen 32 Jahren – wie ein Alterspräsident auf, als Mentor für die Mitspieler: „Ich kann befreit aufspielen, meine Gefühlswelt ist komplett sortiert.“ Der weit gereiste Stürmer Mario Gomez, seit der vergangenen Winterpause zurück bei seinem Heimatclub VfB Stuttgart, hat seinen Frieden gefunden, mit sich und der Nationalmannschaft. Das zeigte sich auch, als ihn der ehemalige TV-Moderator Waldemar Hartmann während der Weltmeisterschaft in einer Fernsehshow mit den Worten kritisierte, Deutschland habe nur eineinhalb Stürmer und dass man mit Mario Gomez‘ Einstellung keinen Krieg gewinne, weil dieser gesagt hatte, dass er bei dieser WM auch mit drei Minuten Einsatzzeit zufrieden sei. „Das interessiert mich nicht“, sagte der Angreifer dazu und ergänzte: „Nicht mehr.“