Ein Meister der Macht gibt sein Amt ab. Nach 17 Jahren endet die Ära des Fifa-Präsidenten Joseph Blatter: Sein Nachfolger soll Ende dieses Jahres oder Anfang 2016 gewählt werden.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Walter de Gregorio sieht fürchterlich aus, als er Sepp Blatter um sein Statement bittet. De Gregorio ist der Kommunikationsdirektor des Fußball-Weltverbandes Fifa, der in diesen Tagen von einem PR-Gau in den nächsten stolpert. Tag für Tag tauchen neue, kompromittierende Details zum Korruptionsskandal in der Fifa auf, und nun also, sichtlich gezeichnet von den zurückliegenden Tagen und Ereignissen und wohl auch von den Stunden vor dieser eilends einberufenen Pressekonferenz, bittet er Sepp Blatter ans Mikrofon. Jetzt enden alle Spekulationen, die es in den Minuten zuvor gab. Der Präsident spricht. Und verkündet das Ende.

 

Sein Ende. Sepp Blatter tritt zurück.

Es ist kurz vor 19 Uhr an diesem Dienstagabend, als die Nachricht vom Sitz der Fifa auf dem Zürichberg um die Welt geht. Fünf Tage nach seiner umstrittenen Wiederwahl stellt der 79-Jährige sein Amt zur Verfügung. „Ich habe intensiv über meine Präsidentschaft nachgedacht. Die Wahlen sind vorbei, aber die Verwicklungen der Fifa haben kein Ende genommen in dem Skandal. Die Fifa benötigt eine tiefgreifende Überholung“, sagte Blatter. „Deshalb habe ich entschieden, mein Amt bei einem außerordentlichen Kongress niederzulegen.“ Dieser soll im Zeitraum zwischen Dezember 2015 und März 2016 stattfinden.

Bis dahin will er sein Amt weiter ausüben. Blatters Rücktritt ist ein Paukenschlag am Ende turbulenter Tage voller Dynamik angesichts des Zürcher Gemetzelten, das die Ermittlungen des FBI und die Festnahmen von Funktionären vergangenen Dienstag in der Fifa angerichtet hatten.

Nur wenige Tage im Amt

Der Präsident des englischen Fußball-Verbandes FA, Greg Dyke, hatte noch nach dem obskuren Kongress in Zürich geunkt, dass Blatter keine zwei Jahre im Amt bleiben werde. Nun waren es statt Jahren gar nur Tage. Entsprechend erfreut war der Blatter-Kritiker, der die anderen Nationen wie Deutschland zuvor zu einem WM-Boykott aufgefordert hatte, am Dienstag: „Lasst uns feiern.“ Es sei auch kein ehrenvoller Moment Blatters, weil es unter ihm keine ehrenhaften Jahre gewesen seien.

Michel Platini, Chef des Europäischen Fußball-Verbandes Uefa, ließ verlauten: „Es war eine schwierige Entscheidung, eine mutige Entscheidung, und die richtige Entscheidung.“ Platini selbst gilt als möglicher Kandidat für die Nachfolge des Schweizers, allerdings ist auch der ehemalige Weltklassespieler wegen seiner innigen Beziehung zum umstrittenen WM-Ausrichter Katar wie auch seiner langen Unterstützung Blatters angreifbar; dazu kommt, dass Platinis Uefa nun auch kein sündenfreier Stall der Unschuldslämmer ist. Im Hintergrund ist der Kampf um die Nachfolge jedenfalls bereits entbrannt, Prinz Ali zum Beispiel hat sogleich sein Interesse bekundet; der Jordanier war auf dem Fifa-Kongress mit 73:133 Stimmen gegen Blatter unterlegen. Vielleicht betritt auch Luis Figo, der diesmal seine Kandidatur zurückzog, wieder den Ring. Oder ein der breiten Öffentlichkeit eher unbekannter Strippenzieher wie Ahmad al Fahad al Sabah.

Blatter war 1998 zum Fifa-Präsidenten gewählt und ist viermal im Amt bestätigt worden, zuletzt am Freitag. Einige investigative Journalisten aus England wie Andrew Jenings und auch aus Deutschland mit Thomas Kistner („Süddeutsche Zeitung“) oder Jens Weinreich haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten um Aufklärung über das System Fifa/Blatter verdient gemacht, doch das Konstrukt schien stärker zu sein. Alle Skandale und Verdächtigungen hat Blatter überstanden, ausgesessen oder einfach missachtet, und es schien zuletzt, als sei er unantastbar. Der ewig Sepp.

Das dachten eigentlich alle Beobachter nach seiner Wiederwahl, die inmitten des größten Skandals der Fifa-Geschichte stattfand, und die er allen Widerständen zum Trotz wieder gewann. Ja, er war sichtlich angeschlagen, aber wie so viele Stürme zuvor schien auch dieser Orkan, der über die Fifa fegte, ihn nicht umblasen zu können. Am Samstag nach seiner Wahl wie auch am Sonntag ging Blatter sogar schon wieder in die Offensive und attackierte seine Kritiker. Stellvertretend für sein Auftreten stand seine unverhohlene Drohung in Richtung seiner Gegner: „Ich werde vergeben, aber nicht vergessen.“

Es klang wie ein Satz aus dem Skript eines Mafia-Films, und es passte zum Bild von Sepp Blatter, das sich in der Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren durchgesetzt hatte: dass der Schweizer so etwas wie das Oberhaupt einer Familie mit mafiösen Strukturen sei. Die Ermittlungen des FBI mit Anschuldigungen wie Geldwäsche und organisierte Kriminalität gegen hochrangige Fifa-Funktionäre untermauerten diesen Eindruck. Blatter selbst stand im Zwielicht und als Kopf dieser Organisation im Fokus. Der amerikanische Sender „ABC“ hat am Dienstag berichtet, dass das FBI nun auch gegen ihn ermittelt.

Gerissener Meister der Macht

Blatter war ein Machtmensch, der trotz zuletzt einiger wirrer Auftritte nach wie vor ein gerissener Meister der Macht war, der Konkurrenten kalt stellte, Seilschaften bildete und die Gabe hatte, Skandale jedweder Art umzuleiten, auf die Gemeinschaft zu verteilen oder gar als Erfolg eigener Reformen zu verkaufen.

Was nun zu dieser völlig überraschenden Wende führte, nachdem er zuvor noch so hart um sein Amt kämpfte, darüber lässt sich nur spekulieren: War es allein der Druck der Ermittlungen in den USA und der Schweiz? War es der Druck, der hinter den Kulissen ausgeübt wurde? War es der öffentliche Druck aus aller Welt? Es war vielleicht eine Kombination aus allem gepaart mit der Angst, in die Ermittlungen hineingezogen zu werden, wobei daran ja auch sein Rücktritt nichts ändert. Die Untersuchungen laufen weiter, und es ist damit zu rechnen, dass regelmäßig weitere schmutzige Details bekannt werden. Die dann vielleicht auch dem scheidenden Fifa-Präsidenten ernsthaft gefährlich werden könnten?

Am Dienstag waren die Einschläge wieder näher ans Fifa-Hauptquartier gekommen: Die „New York Times“ hatte berichtet, dass die US-Ermittler der Ansicht seien, der Generalsekretär Jérôme Valcke sei „der hochrangige Fifa-Offizielle“, der 2008 zehn Millionen Dollar von einem Fifa-Konto in der Schweiz auf ein US-Konto überwiesen habe. Das Geld landete auf Konten, die vom früheren Fifa-Vizepräsidenten Jack Warner kontrolliert worden sein sollen. Warner wird organisierte Kriminalität, Korruption und Geldwäsche vorgeworfen. Allerdings, so die „New York Times“, sei in den Ermittlungsakten nicht die Rede davon, dass Valcke gewusst habe, dass es sich um Bestechungsgelder handele.

Fortsetzung folgt. Nun ist es erstmal an Domenico Scala, die Weichen neu zu stellen. Der Chef der Fifa-Compliance-Kommission, jener Abteilung also, die auf sauberes Geschäftsgebaren achten soll, wird den Neuanfang ohne den Patriarchen vorbereiten und soll ein Reformpaket schnüren. Die Zeit a. B. (ante Blatter) bei der Fifa ist eingeläutet.