Manuela Rukavina, die ehemalige Vorsitzende des Landesfrauenrats Baden-Württemberg, sieht in der neuseeländischen Premierministerin ein Vorbild für Frauen in Spitzenpositionen. Im Interview erklärt sie, warum.

Manuela Rukavina engagiert sich bei ver.di für die Gleichstellung von Männern und Frauen in Politik und Wirtschaft. Zudem berät sie freiberuflich Non-Profit-Organisationen und Unternehmen. Sie findet, dass die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern mit ihrem Rücktritt Stärke gezeigt hat und fordert eine andere Fehlerkultur in der Politik.

 

Frau Rukavina, Sie coachen Frauen in Führungspositionen und waren selbst Chefin des größten frauenpolitischen Bündnisses im Land. Wie blicken Sie auf den Rücktritt der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern?

Ich habe größten Respekt vor der Entscheidung von Frau Ardern. Ich habe sie sehr gemocht, weil ich sie als nahbar und authentisch wahrgenommen habe. Sie hat sich vulnerabel gezeigt, was ein Zeichen von Stärke ist. Ardern ist aus Verantwortungsbewusstsein für ihr Land zurückgetreten und nicht, weil sie dem Druck nicht standgehalten hat. Sie hat rechtzeitig gemerkt, dass sie nicht mehr die Energie hat, das Amt so auszuführen, wie sie es für richtig hält. Das ist eine große Leistung.

Mit welchen strukturellen Problemen haben Frauen in Spitzenpositionen zu kämpfen?

Nach wie vor werden an Frauen andere Erwartungen gerichtet als an Männer. Ich erinnere mich noch an die Diskussion, als Ursula von der Leyen Bundesministerin wurde. Damals haben sich alle gefragt, was nun aus ihren Kindern werden solle. Ihre männlichen Kollegen hat man mit solchen Fragen nicht konfrontiert. Eine Bürgermeisterin hat mir mal erzählt, dass sie im Wahlkampf immer zwei Fragen gestellt bekomme: Wie viele Hammerschläge brauchst du, um ein Bierfass anzustechen? Und was machen die Kinder? Das ändert sich zum Glück gerade, aber es bleibt noch viel zu tun.

Geht die Öffentlichkeit mit Frauen in Spitzenpositionen härter um als mit Männern?

Wenn eine Frau zurücktritt, weil sie nicht mehr genug Energie für das Amt hat, heißt es immer noch oft: Die hat dem Druck nicht standgehalten. Das ist gerade in der Politik fatal. Die meisten Politikerinnen und Politiker setzen sich mit Herzblut für das Gemeinwesen ein und muten sich deshalb besonders viel zu. Doch wenn sie permanent an der Belastungsgrenze arbeiten, ist das schlecht für unser Land. Wer permanent überlastet ist, macht Fehler und wird unkreativ.

Wie könnte man die Politik für Frauen attraktiver machen?

Wir sollten etwas nachsichtiger mit Spitzenpolitikerinnen umgehen und uns eingestehen, dass sie auch nur Menschen sind, deren Energiereserven begrenzt sind. In der Coronakrise hat man gesehen, dass auch Politikerinnen und Politiker ein Privatleben und eine Familie haben. Da ist im Interview via Videoschalte mal ein Kind durchs Bild gelaufen, man hat die Verantwortungsträger in ihrem privaten Zuhause erlebt. Es wäre viel gewonnen, wenn wir nicht mehr den Anspruch hätten, dass Personen in Spitzenämtern rund um die Uhr erreichbar sein sollten. Auch dass nicht mehr jede Sitzung in Präsenz stattfindet, erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Man kann auch mal einen Termin ausfallen lassen, wenn es beispielsweise dem Kind schlecht geht. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Wirtschaft hier schon deutlich weiter ist als die Politik.

Inwieweit hat sich die Einstellung der jüngeren Generationen im Hinblick auf die Arbeitswelt verändert?

Die junge Generation, die gerade ins Berufsleben einsteigt, hat ein anderes Verständnis davon, was wichtig ist. Auch viele junge Männer wollen nur noch in Teilzeit arbeiten. Das Thema Work-Life-Balance hat einen größeren Stellenwert als früher. Aufgrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels sind Arbeitgeber gezwungen, auf die Bedürfnisse der jungen Generation zuzugehen. Das ist gut so. Trotzdem gehen immer noch wenige Männer länger als zwei Monate in Elternzeit. Daran sieht man, dass wir noch nicht so weit sind, wie wir denken.

Wie merkt man, dass die Energiereserven zur Neige gehen und man etwas verändern muss?

Wir reden immer noch viel zu wenig über Selbstfürsorge. Damit meine ich, dass wir mehr auf unseren Körper sowie unsere psychische Gesundheit achten sollten. Im Flugzeug bekommt man immer gesagt, dass man im Ernstfall immer zuerst sich selbst die Sauerstoffmaske anziehen sollte, bevor man anderen hilft. Wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse nicht im Blick haben, können wir auch anderen nicht helfen. Spätestens, wenn ich mich selbst nicht mehr spüre, ist der Akku leer. Ein weiteres Anzeichen ist, wenn man Dinge tut, die man von einem selbst nicht kennt. Wenn man beispielsweise permanent gereizt ist, sich zynische Bemerkungen nicht verkneifen kann, sich nicht mehr auf andere Personen einlassen kann.

Kämpferin für die Gleichstellung der Geschlechter

Werdegang
Manuela Rukavina, 1979 in Göppingen geboren, hat Soziologie, Betriebswirtschaft und Wirtschaftspädagogik in an der Universität Stuttgart studiert. Seit 2007 arbeitet sie als Coach und systemische Beraterin in der Landeshauptstadt.

Frauenpolitisches Engagement
Rukavina engagiert sich seit 1999 bei ver.di und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) für gleiche Löhne für Männer und Frauen. Von 2015 bis 2018 war sie Erste Vorsitzende des Landesfrauenrats Baden-Württemberg. 2019 wurde sie für ihren Einsatz in der politischen Bildung mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.