Am Ende ist der Druck dann doch zu groß: Klaus Wowereit verkündet seinen Rücktritt aus fast freien Stücken. Schwankend zwischen Erleichterung und Wehmut spricht er dabei auch von Stolz auf seine Arbeit.

Berlin - Da ist es wieder, dieses kieksende Lachen, als Klaus Wowereit den Pressesaal des Roten Rathauses betritt. „Ich wusste gar nicht, dass wir in Berlin so viele Journalisten haben“, sagt der Regierende Bürgermeister grinsend, während ihm zwei Leibwächter einen Weg durch die Menschentraube frei pflügen. Es ist wahnsinnig voll, es liegt Anspannung in der Luft, und natürlich wusste Klaus Wowereit, dass es so sein würde. Er ist 60 Jahre alt, er macht seit 40 Jahren Politik, er ist der dienstälteste Regierungschef der Republik, und er hat an diesem Tag extra seinen royalblauen Anzug aus dem Schrank geholt, weil der perfekt zur Fotowand im Regierungssitz passt.

 

Dieses Kieksen ist ebenfalls ein Requisit – eines, das der Profi Wowereit immer dann unwillkürlich als Pathosbremse einsetzt, wenn es schwer wird. An diesem Tag ist es sehr schwer. Er wird jetzt seinen Rücktritt vom Amt verkünden, das er so liebt.

Es ist zwei Minuten nach 13 Uhr. Seit kurz nach zehn Uhr morgens werden wie wild SMS aus der Senatssitzung heraus im Roten Rathaus verschickt, wer durch die Gänge in der Etage des Regierenden geht, sieht Beamte, die schnell zu Boden sehen, weil niemand irgendetwas kommentieren will. Draußen wird schon das Bärenfell verteilt. Die Aspiranten auf das Amt und ihre Adlaten tippen in ihre Telefone und erklären, wie der Übergang laufen könnte und welchen Gefahren die Stadt ausgesetzt wäre, würde der jeweilige Gegner gewinnen.

Der Regierende Bürgermeister setzt sich derweil, schaut ernst und kühl in die Kameras, legt die Hände übereinander und sagt: „Es gab in letzter Zeit ziemlich viele Spekulationen über die Frage von Amtszeiten des Regierenden Bürgermeisters.“ Leider, so Wowereit, seien diese Diskussionen auch aus den Reihen der eigenen Partei mitbefördert worden. „Zwei Jahre vor Ablauf der Legislatur sehe ich in dieser Diskussion wenig Nutzen für meine Partei, dafür aber viel Schaden für eine effektive Regierungsarbeit.“ Vor diesem Hintergrund, so Wowereit, habe er seinem Senat am Morgen erklärt, dass er für eine erneute Kandidatur nicht zur Verfügung stehe und sein Amt zur letzten Plenarsitzung des Jahres, am 11. Dezember, niederlege.

„Ich liebe diese Stadt so, wie sie ist“

Wowereit spricht weiter, sehr ruhig und fast gelassen, davon, wie gerne er Politik macht, wie er sich immer unterstützt fühlte von vielen Bürgern. Und dann sagt er, plötzlich mit etwas feuchten Augen, rauer Stimme und schluckend: „Ich liebe diese Stadt so, wie sie ist, mit ihren Widersprüchen, mit ihren Vorteilen, ihren Nachteilen, mit ihrer Rauheit, mit ihrer Schönheit, und das wird auch so bleiben.“

Man kann nur ahnen, wie die vergangenen Tage und Nächte im Hause Wowereit wohl waren, wie diskutiert und abgewogen wurde, mit wem er sich überhaupt beraten konnte. Der Kreis der Vertrauten wird klein, wenn der der Gegner wächst. Klaus Wowereit antwortet natürlich flapsig auf die Frage nach der Meinungsfindung: „Ich wollte es schon im Juli machen, aber da sind wir Weltmeister geworden.“

Kann sogar stimmen. Wahrscheinlicher ist, dass das Maß in den vergangenen zwei Wochen voll wurde. Wowereit handelt ungern unter Druck. „Das ist bei mir ein ganz schlechtes Mittel.“ Aber was tun, wenn der Druck da ist und einfach nicht mehr nachlässt? Man muss einen Moment finden, in dem man das Gefühl hat, das Heft des Handelns liege in der eigenen Hand. Den gab es wohl jetzt, zum Ende der Sommerpause. Gepaart mit einem ordentlichen Quantum Überdruss ob des Schauspiels, das da um seine Person stattfindet.

Ein Kopfmensch sei er, sagt Wowereit von sich, und deshalb wird er die Optionen genau abgewogen haben. Bitteres Ergebnis: es gab nur diese eine.

Schon seit Monaten hören die Spekulationen und das „Schwadronieren“, wie Wowereit es in einem kleinen Zornesanflug nennt, nicht auf – darüber, wie lange er es wohl noch macht, wie handlungsfähig eigentlich ein Regierungschef noch ist, der so einen Glaubwürdigkeitsverlust wie das Flughafendebakel erleidet, so groß, dass man kein neues großes Projekt mehr mit ihm verknüpfen will. Und die Intervalle zwischen den aufkommenden Rücktrittsgerüchten werden immer kürzer, seit die Beliebtheitswerte ins Bodenlose schwinden und seit auch dem realitätsfernsten Machtarithmetiker klar geworden ist, dass Wowereit zur Wahl 2016 auf keinen Fall mehr antreten kann und daher sein Amt vorher an einen Nachfolger übergeben muss.

Wie verschlissen die Solidarität unter den Genossen ist, das konnte man erst vor zwei Wochen beobachten, als die Äußerung eines kleinen Berliner Bezirksbürgermeisters reichte, um die nächste Debattenwelle loszutreten. Der Kreischef von Marzahn-Hellersdorf erklärte: „Wir erwarten, dass Klaus Wowereit sich noch 2014 positioniert und sich erklärt, ob er noch einmal kandidiert.“ Wowereit hatte bisher erklärt, er wolle Ende 2015 entscheiden, ob er für eine vierte Amtsperiode antritt.

Es wird auch deshalb so unfein mit den Hufen gescharrt, weil Wowereit mit seinem Zögern eine für die Partei sehr ungute Situation mit herbeigeführt hat: ein Nachfolger, der sich unangefochten anböte, existiert nicht, vielmehr ringen einige Aspiranten um die Macht. Da ist der Fraktionschef Raed Saleh, ein Senkrechtstarter und begabter Netzwerker aus einer palästinensischen Zuwandererfamilie. Saleh ist ein politisches Talent, aber in der Stadt nicht sehr bekannt – das war Wowereit auch nicht, als er den Posten übernahm. Salehs Kandidatur würde die Frage beantworten, ob die Hauptstadt offen genug für einen Migranten und Muslim als Bürgermeister ist. Sein härtester Konkurrent ist der Landeschef Jan Stöß, Verwaltungsrichter, linker Parteiflügel, wenig politische Praxis, aber staatstragendes Auftreten. Beliebtester Politiker bei den Berlinern ist der parteilose Finanzsenator Ulrich Nußbaum, dem auch immer wieder Ambitionen nachgesagt werden, aber es gilt als sehr fraglich, ob er in der SPD seine Truppen sammeln könnte. Und dann ist da noch der Stadtentwicklungssenator Michael Müller, der vor zwei Jahren vom Parteivorsitz geschasst wurde und vielen als Mann von gestern gilt. Nun sollen die Parteimitglieder darüber entscheiden.

Zwischen Erleichterung und Wehmut

Wowereit jedenfalls lässt sich am Dienstag zumindest direkt nichts entlocken, was die Nachfolgefrage entscheiden könnte. Auffallend allerdings ist der Dank an Saleh für dessen „Loyalität“ und ein tiefes Schweigen zur Person von Jan Stöß – auch auf Nachfrage. Da kommt nur der eine Satz: „Machen wir uns nichts vor, die Frage wäre immer wieder hochgekommen, bei einer Situation, in der die Nachfolge nicht geklärt ist. Jeder versucht, sich zu positionieren, da kann man instrumentalisiert werden.“ Hier ist einer auch verbittert darüber, wie mit ihm umgegangen wurde. Nun aber ist die Sache entschieden, und man sieht einen Amtsinhaber dasitzen, der emotional mächtig schwingt – zwischen Erleichterung und Wehmut. „Ich bin dankbar für diese Zeit, in der ich für meine Stadt arbeiten konnte“, sagt er – und dass er stolz sei auf seinen Beitrag zur Entwicklung Berlins. Das kann er auch.

Als er im Juli 2001 das Amt des Regierenden Bürgermeisters übernimmt, hat sich die SPD durch einen Bruch der großen Koalition unter Eberhard Diepgen und ein neues Bündnis mit den Grünen an die Macht geputscht. Wowereit, ärmlich aufgewachsen , hat sich Abitur und Jurastudium erkämpft und schon als 20-Jähriger begonnen, Politik zu machen. Sicher gehört der Wunsch nach Chancengleichheit zu den großen Antreibern in seinen politischen Anfängen als Bildungsstradtrat im Bezirk Tempelhof. Dann wird er Haushaltspolitiker und schließlich Fraktionschef. Aber kaum wird er als Kandidat gehandelt, muss er schon das erste Mal unter Druck handeln: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“, schleudert er den Delegierten eines Parteitags vor der Wahl entgegen, bevor eine Boulevardzeitung ihn outen konnte. Schlagartig wird er bundesweit bekannt. Und hat bald das nächste Etikett als „Partymeister“, weil er sein Dasein als frischgebackener Promi einfach genießt, genau wie die Stadt und ihre Lokale und Partys.

Wowereit ist allerdings beides: Salonlöwe und Aktenfresser. Bei Konkurrenten und Kollegen ist er als detailversessen gefürchtet. Auch Geschick und Kompromisslosigkeit gehören zu seinen Fähigkeiten – er wagt die erste rot-rote Koalition in Berlin, hält einen Proteststurm aus und setzt mit dieser Regierung und dem empathiefreien Finanzsenator Thilo Sarrazin einen knallharten Sparkurs durch, reduziert den riesigen Berliner Beamtenapparat, kappt Ausgaben. Heute macht die Stadt keine neuen Schulden mehr, sondern baut sie ab. „Kein Gewinnerthema“ – mit solch zynischen Worten begründet Klaus Wowereit allerdings auch mal seine Vermeidungsstrategie, wenn es um Problemthemen geht. Vieles versucht er auszusitzen, dazu gehören lange Bildungs- und Integrationsthemen.

Als größte Leistung Wowereits bleibt sicher, dass er früh die Strahlkraft seiner Stadt entdeckt und beginnt, diese immer attraktiver werdende Metropole zu vermarkten und zu verkörpern – seine fehlende Berührungsangst vor Glamour und Boulevard nützt jetzt der Stadt. Die Stadt wird zum Sehnsuchtsort für junge Menschen aus aller Welt. Seine Charakterisierung Berlins als „arm, aber sexy“ ist sein berühmtester Satz. Und Wowereit merkt, das das Potenzial der Stadt als Ort für Kreative die wirtschaftliche Chance Berlins ist.

Weil dies so ist, macht Wowereit das Projekt Großflughafen zur Chefsache – und scheitert eben damit gnadenlos – und dass dieses Scheitern bis heute unerklärlich ist und die Eröffnung des Flughafens immer noch in einer sehr vagen Ferne liegt, bricht ihm letztlich politisch das Genick.

Er ist schmerzlich, dieser Moment, in dem Klaus Wowereit die Niederlage einräumt: „Ich bedaure das unendlich.“