Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck hat gemerkt, dass sein Amt seine Kräfte übersteigt. Er legt alle Aufgaben nieder. Mit einem Lächeln im Gesicht, das befreit wirkt, fast heiter.

Potsdam - Wer neben Matthias Platzeck hergeht, der muss sich beeilen. Schritte macht dieser groß gewachsene Mann, so lang, als wolle er sehr schnell sehr weit kommen. Und mindestens, als könne er es an einem einzigen Tag durch sein ganzes „Ländchen“ schaffen. Einmal Brandenburg von Anfang bis Ende.

 

Jetzt ist Ende. Matthias Platzeck tritt zurück, von all seinen Ämtern, so schnell wie möglich, das heißt zum 28. August, wenn der Potsdamer Landtag zu seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause zusammenkommt. Er sagt das am Montagabend, einem „wunderschönen Sommerabend“, wie er meint, nach zwei Stunden Beratungen mit seinen Genossen von der SPD, mit einem Lächeln im Gesicht, das befreit wirkt, fast heiter. Da hat einer seine Pflicht erfüllt, und sich jetzt getraut, nach 24 Jahren Politik, nach elfeinhalb Jahren als Ministerpräsident, diesen Satz zu sagen: „Für mich ist es genug.“

Das war so nicht geplant. Eigentlich wollte Platzeck in einem Jahr zum dritten Mal für das Amt des Ministerpräsidenten antreten – ein idealer Kandidat für die dauerregierende SPD: vertraut, ergraut, inzwischen längst versehen mit dem patriarchalen Image eines Landesvaters und vor allem die Sicherheit ausstrahlend, dass dieser Mann zwar einer ist, der mal für Höheres gedacht war, aber sich voll und ganz auf Brandenburg konzentriert.

Nun kommt es anders. Matthias Platzeck, 59 Jahre alt, hat entschieden, sich auf sich und sein Leben zu konzentrieren, damit aufzuhören, sich Aufgaben abzuverlangen, die ihn überfordern und krank machen. Da legt einer den Schalter um, gerade noch, bevor sein Körper es in einer Weise tut, die irreversibel wäre. Hörsturz, Nervenzusammenbruch, Hörsturz, Grippe, Rücken, wieder Grippe, und nun, vor sechs Wochen, ein leichter Schlaganfall: es reicht.

Der Linksdrall ist stärker als fürs Parteibuch erforderlich

Eine Woche nach den Ausfallerscheinungen trat Platzeck zwar Anfang Juli wieder auf, um zu beweisen, dass er die Amtsgeschäfte führe, aber schon damals konnten einen die Hast der Rückkehr und die Formulierungen des Rekonvaleszenten stutzen lassen. Er sprach davon, es sei „mit dem Sehen und dem Laufen nicht so toll“ gewesen, er habe noch einen „Linksdrall“, der stärker sei als fürs Parteibuch erforderlich. Das klang heiter, harmlos.

Aber der zweite Teil der Ausführungen barg die eigentliche Botschaft. Er sei als Pflichtmensch erzogen worden, sagte Platzeck da. Aber: zu diesem Pflichtgefühl gehöre es auch, dass man sich zu prüfen habe, ob man in der Lage sei, dem Amt gerecht zu werden. Platzeck hat sich geprüft. Er erzählt von Gesprächen mit Freunden und Familie, mit den erwachsenen Kindern, „die starke eigene Meinungen haben“, und mit seinen Ärzten. „Platzeck“, habe ihm einer gesagt, „80 Stunden die Woche, vergiss es.“ Er habe sich befragt, „ob die eigenen Potenziale ausreichen“. Die Antwort ist eindeutig: sie reichen nicht.

Ein Rückzug aus Verantwortung für sein Land

In der Brandenburger SPD hatten sie sich in den Wochen der Überlegungen ein anständiges Schweigen auferlegt. Aber natürlich wurde, sehr leise, nachgedacht: Was würde es für ein Bild abgeben, wenn mitten in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes der Ministerpräsident in der Öffentlichkeit eher ab- als anwesend wäre?  Der brandenburgische Spitzenmann Frank-Walter Steinmeier ohne seinen Freund Matthias an der Seite, wie würde das aussehen? Welche Fragen würden sich stellen? Und was, wenn Platzeck die kommenden Monate im Amt nicht durchhielte? In Brandenburg wird in gut einem Jahr gewählt, einem Nachfolger bliebe schon jetzt nicht mehr allzu viel Zeit, um den Bonus des Amtsinhabers zu erwerben und zu nutzen. Dazu die Dauerbaustelle des Pannenflughafens BER, für dessen Flughafengesellschaft Platzeck seit Januar den Aufsichtsratsvorsitz hat, eine Monsteraufgabe, die allein einen ganzen Mann fordern würde. All das habe Platzeck in den vergangenen Wochen bedacht, ist zu hören. Er habe auch aus Verantwortung für sein Land und seine Partei den Rückzug beschlossen. Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten soll der bisherige Innenminister Dietmar Woidke werden.

Platzeck hat viele Warnschüsse gehört. Sie fielen immer dann, wenn man von Politikern Unverwundbarkeit erwartet, sich Probleme türmen und die Intrigen gedeihen. Wenn also die Haut dick sein müsste, elefantenhaft, panzerartig, so dass es höchstens ein bisschen staubt, wenn einer sich an einem reibt. So aber ist Platzeck nicht gestrickt, und genau das ist es, was die Menschen an ihm mögen und was ihn einst zu einem Hoffnungsträger in der SPD hat werden lassen: Er ist ein Spürer.

Ein Politiker, der auch Kompromisse eingehen kann

Einer, der mit den Leuten kann, der ihnen das Gefühl gibt, sie nicht über den Tisch zu ziehen, einer, der lieber moderiert als streitet, dem ein schlechter Kompromiss im Zweifel lieber ist als ein Sieg mit schalem Beigeschmack.

Es gibt Leute, die ihm eine gewisse Elastizität der Karriere wegen nachsagen, aber eigentlich legt Platzecks Werdegang nicht den Schluss nahe, da habe sich einer nach Ämtern gedrängt oder um sie gerangelt. Seine ersten politischen Erfahrungen sammelte er in der oppositionellen Umweltbewegung der DDR – was wenig mit Karrierestreben und viel mit Auflehnung zu tun hatte. Sein erstes Amt hatte Platzeck als Minister ohne Geschäftsbereich im Kabinett Modrow. Er zog als Abgeordneter von Bündnis 90 in den Landtag ein, wurde 1990 unter Manfred Stolpe Umweltminister. Platzeck verließ seine Partei 1991, weil er den Zusammenschluss mit den Grünen ablehnte, trat aber erst 1995 in die SPD ein.

Als „Deichgraf“ beim Oderhochwasser 1997, als die Benachteiligten ihre Benachteiligung noch härter spürten, hatte Platzeck seine Sternstunde: ein Politiker in Gummistiefeln, der schwitzte wie ein echter Mensch, den die Mücken stachen, der Sicherheit als Krisenmanager ausstrahlte und der die Menschen nicht alleine ließ. Spätestens da bemerkten viele sein politisches Talent, und eigentlich hätten sie in der SPD gern gehabt, dass Platzeck bundesweit eine Rolle spielen solle. Der Ruf des Bundeskanzlers Gerhard Schröders, als Ostbeauftragter ins Kabinett zu kommen, verhallte damals.

Platzeck steht elf Jahre in erster Reihe

Gern wäre Platzeck Umweltminister geblieben, aber die SPD bat ihn zur Kandidatur fürs Potsdamer Rathaus, um nach einer Korruptionsaffäre eine Niederlage gegen die PDS zu verhindern. 2002 folgte er Manfred Stolpe als Ministerpräsident und steht seit elf Jahren in der ersten Reihe. Das war nicht immer leicht. Seine erste Wahl überstand Matthias Platzeck 2004 gegen eine plötzlich wiederbelebte CDU, mitten im Hartz-IV-Sommer der rot-grünen Bundesregierung, auf Marktplätzen, auf denen schon mal Eier flogen. Wer ihn da erlebte, der sah, dass er die Menschen wirklich mag. Er redete und hörte zu, rechnete den Leuten vor, was ihnen bliebe, und kritisierte auch seine eigene Partei für deren Fehler in der Vermittlung der Agenda 2010.

Er war dieses Talent, das 2006 dazu führte, dass Platzeck Bundesvorsitzender der SPD wurde – und fast zugleich ein öffentlicher Kranker. Der Druck war zu groß. Die Partei lag in Scherben, Platzeck schlingerte zwischen Brandenburger Harmonie und Berliner Schlangengrube. Nach 146 Tagen, zwei Hörstürzen und einem Zusammenbruch legte er sein Amt nieder. „Ich habe meine Kräfte überschätzt“, sagte Matthias Platzeck damals. Er hielt nicht durch. Aber Durchhalten ist nicht alles.