Rückzug aus Afghanistan Tiefe seelische Wunden

Dramatische Rettung eines Babys am Flughafen von Kabul. Foto: dpa

Ein Jahr nach dem Ende des Rückzugs aus Afghanistan leiden viele beteiligte Soldaten unter Schuldgefühlen. Dazu kommen die Folgen schwerer Verletzungen.

Leutnant Timothy Williams hat miterlebt, was Millionen im TV sahen: verzweifelte Menschen auf der Flucht von den Taliban in Kabul, die den Flughafen stürmten und sich an startbereite Transportflugzeuge klammerten. „Das war eines dieser Schlüsselereignisse“, sagt Williams, der zu den 6000 Soldaten gehörte, die zu der größten Evakuierungsaktion seit Vietnam vor einem Jahr abkommandiert waren. Er gehört zu den 14 Soldaten, die an einem Projekt der „Washington Post“ mitgewirkt haben, das an die chaotischen zwei Wochen vor dem Abzug am 31. August 2021 auf dem Flughafen in Kabul erinnert. „Bei uns allen bleibt Bitterkeit zurück, über das, was am Ende passierte“, sagt der Befehlshaber der Operation, Marine-General Kenneth „Frank“ McKenzie. Er hatte mit den Taliban eine Vereinbarung getroffen, die den neuen Machthabern die Kontrolle außerhalb des Flughafens überließ. Im Gegenzug durften die Amerikaner auf dem Flughafen operieren.

 

Fataler Fehler am Flughafen

Marine-Sergeant Tyler Vargas-Andrews brachte diese Vereinbarung in Konfliktsituationen. Er zeigte seinen Vorgesetzten Bilder lebloser Körpern von misshandelten Opfern der Taliban. „Wenn wir sie unter Beschuss nehmen, schießen sie auf uns“, hörte er als Antwort. „Wollen wir das in diesem Szenario?“ Damit gemeint war der Massenandrang einer panischen Menge, die sich mehr vor der Rückkehr der Taliban an die Macht als um ihr Leben sorgten. Ein wesentlicher Teil der Aufgabe der US-Soldaten bestand darin, die Zugänge zu dem Flughafen zu kontrollieren. „Wir mussten sicher sein, dass keiner einen Sprengsatz in ein Flugzeug bringt“, so General McKenzie. Feldwebel Vargas-Andrews behauptet, er habe von seinem Wachturm aus einen Mann gesehen, der wie ein Selbstmordattentäter aussah. Die alarmierten Vorgesetzten lehnten seine Anfrage ab, den Verdächtigen auszuschalten. Es seien zu viele Zivilisten in der Nähe. Bis heute macht sich Vargas-Andrews Vorwürfe, nicht hartnäckiger gewesen zu sein. Denn kurz darauf kam es zu einer gewaltigen Explosion.

Ein Veteran gibt seinem Einsatz Sinn

Mindestens 170 Afghanen und dreizehn seiner Kameraden kamen bei dem Selbstmordanschlag vom 26. August ums Leben. „Es ist schwer damit umzugehen“, sagt Vargas-Andrews, der selber nur knapp mit dem Leben davonkam. Er verlor seinen rechten Arm, das linke Bein, eine Niere und Teile seines Verdauungstrakts.

Er versucht sein Trauma zu rationalisieren und erinnert an eine Situation, in der er einer Familie zur Flucht verhelfen konnte. „Wenn ich jeden Tag auf meine Verletzungen schaue, muss ich an die eine Familie denken, die heute ihr Leben zurückhat.“ Es habe viele solcher Momente gegeben, sagt er der „Washington Post“. „Das hat meinem Einsatz Sinn verliehen.“

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