Bevor die Pandemie das Leben weitgehend lahmgelegt hat, sind Gisela Kaltenbach und Edith Seibold zweimal in der Woche gemeinsam ins Training gegangen. Mittwochmorgens ins Dojo in der Gäuäckerhalle I und freitagabends in die Turnhalle des Friedrich-Schiller-Gymnasiums. Gisela Kaltenbach leitet noch immer zwei Senioren-Frauengymnastikgruppen, und ihre Zwillingsschwester turnt mit. „Ich gehe davon aus, dass die beiden damit auch weitermachen werden, sobald die Turnhallen wieder öffnen dürfen“, sagt Elke Baumann, die Tochter von Edith Seibold.
Zwei Kinder mit Bewegungsdrang
Bei den Kunstrollschuhfahrern des Stuttgarter Schlittschuh- und Rollsportclubs hat die sportliche Karriere von Edith Seibold und Gisela Kaltenbach begonnen. Außerdem waren die beiden beim TV Cannstatt in der Leichtathletik und beim Turnen. „Wir hatten schon als Kinder einen ungeheuren Bewegungsdrang“, sagt Gisela Kaltenbach. Erfolgreich waren die Zwillinge auch. Gemeinsam wurden sie 1949 württembergische Jugendmeisterinnen mit der 4-x-100-Meter-Staffel. Von 1954 bis 1959 gewann Edith Seibold den württembergischen Titel im Jahnkampf. Dass die Zwillinge aus Bad Cannstatt zu Symbolfiguren beim SVF wurden, ist hauptsächlich auf zwei Fellbacher zurückzuführen: Karlheinz Kaltenbach und Walter Seibold. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als es langsam wieder losging mit dem Sport, trainierten die Schwestern auf dem Burgholzhof. Auch an Sportfesten nahmen sie dort teil, zu denen gerne Fellbacher kamen. „So habe ich meinen Walter kennengelernt. Wenig später, als wir zum Tanzen gingen, brachte ich meine Schwester und er seinen Schulfreund Karlheinz mit“, sagt Edith Seibold. Ihre Schwester zog als Erste nach Fellbach, Edith Seibold folgte wenig später.
In den SV Fellbach waren die Zwillinge bereits 1956 eingetreten, kurz nachdem sie ihre Männer kennengelernt hatten. Die beiden Neu-Mitglieder organisierten das Frauenturnen und später, als ihre Kinder geboren waren, das Kinderturnen. „Das Butzele-Turnen, das heute Vorschulkinderturnen heißt, ist auf ihre Initiative hin entstanden“, sagt Ingrid Kaltenbach, die Tochter von Gisela Kaltenbach. Bis 2010 waren die Zwillinge in verschiedenen Ämtern beim SV Fellbach engagiert, wurden 1978 gemeinsam zum sportlichen Vorbild gewählt, erhielten beide 1994 die Ehrenplakette der Stadt Fellbach und wurden 1995 Ehrenmitglieder des SVF.
Jahrzehnte voller Erfolge
Das Fundament, das die beiden sportlichen Schwestern aus Bad Cannstatt in der Turnabteilung des SV Fellbach gelegt haben, ist tragfähig und solide. Bis zum heutigen Tag bilden die Turner die größte Abteilung im Sportverein. Auch das ist mit ein Verdienst von Gisela Kaltenbach und Edith Seibold. Ihren Kindern legten die Zwillinge das ehrenamtliche Engagement und die Sportbegeisterung in die Wiege. Elke Baumann ist beim SV Fellbach Übungsleiterin im Turngruppenwettstreit – wie ihre Schwester Brigitte Striegel. Cousine Ingrid Kaltenbach arbeitet im Vereinsvorstand mit. Und alle drei waren Teil der erfolgreichen SVF-Turngruppe, die im Turngruppenwettstreit zwischen 1976 und 1996 achtmal zu deutschen Meisterehren kam. Trainerinnen waren Gisela Kaltenbach und Edith Seibold. „Der SVF ist ihre Heimat geworden, und der Sport war und ist immer das Wichtigste gewesen“, sagt Elke Baumann über ihre Mutter und ihre Tante.
Als Kinder waren Edith und Gisela Rocker oft gleich gekleidet. Sie besuchten gemeinsam den Kindergarten und anschließend die Mädchenoberschule in Cannstatt. Nach dem Abitur machten die Zwillinge jeweils eine Lehre als Buchhändlerin. Gisela Kaltenbach heiratete im Juli 1957 nach Fellbach, Edith Seibold im Oktober 1959. Die beiden Ehepaare gingen nahezu immer – auch später, als die Kinder auf der Welt waren – gemeinsam in den Urlaub. Und zwar im Winter zum Skifahren, zumeist nach Pfronten, und in den Sommerurlaub an den Chiemsee. Familienfeste und Weihnachten wurden und werden am liebsten gemeinsam gefeiert.
Das Virus trennt die Unzertrennlichen
Beide Frauen sind mittlerweile verwitwet. Doch zum Glück wohnen sie nicht weit entfernt voneinander im Fellbacher Oberdorf und sehen sich bis heute täglich. Auch die Krisentage verbringen sie am liebsten miteinander – corona-konform zu zweit in der Wohnung von Edith Seibold. „Die beiden sind echte Zwillinge, die fast alles zusammen machen“, sagt Ingrid Kaltenbach. Doch auch die beiden Unzertrennlichen trennt nun – zumindest an ihrem Wiegenfest – das Virus. Ihren Geburtstag an diesem Mittwoch feiern die Zwillinge zum ersten Mal in ihrem Leben getrennt – wegen der Corona-Pandemie. Denn schließlich wollen Kinder und Enkel zum Gratulieren vorbeischauen. Den Vorgaben entsprechend nacheinander, und das dauert seine Zeit. „Jetzt ist es nun einmal halt so. Wir trinken dann eben tags darauf ein Glas Sekt zusammen“, sagt Gisela Kaltenbach. Das große Familienfest soll auch nachgeholt werden, sobald es die Corona-Pandemie erlaubt.