Rugby gilt nach Fußball als die größte Mannschaftssportart der Welt. In Deutschland spielt es keine Rolle. Aber langsam tut sich etwas – auch dank eines Milliardärs. An diesem Samstag geht es bei der EM in Heidelberg gegen Rumänien.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Als die Schlacht in Heusenstamm bei Frankfurt geschlagen ist, rottet sich das Rudel auf dem Spielfeld zusammen. Während die georgischen Stars von ihren vielen Fans, rund tausend sind es wohl, belagert werden, bildet das deutsche Team unbedrängt einen Kreis.

 

Abgekämpft sind sie nach 80 Minuten Klassenunterschied, sie lassen die Köpfe hängen. Es war der Auftakt der EM, im Februar, und der ging aus wie erwartet: mit einer deftigen Niederlage. 8:64, eine Lektion. Der Trainer Kobus Potgieter, ein Südafrikaner, sagt: „Spiele gegen solche Nationen sind wichtig, um zu lernen.“ Georgien ist eine Rugby-Macht, vielfacher WM-Teilnehmer, ein Team aus Vollprofis, die vornehmlich in Frankreich spielen. Deutschland schickt Amateure ins Gefecht.

Derzeit läuft der European Nations Cup, eine Art EM für die zweite Liga Europas; die sechs Topnationen spielen derzeit das Six-Nations-Turnier. Deutschland ist gerade aufgestiegen, und bisher hat das Team alle Spiele verloren. 8:64 gegen Georgien. 22:46 gegen Russland. 3:11 gegen Portugal. An diesem Samstag empfängt die Auswahl in Heidelberg (14.30 Uhr/Fritz-Grunebaum-Sportpark/Livestream unter sportdeutschland.tv) den WM-Teilnehmer Rumänien. Eine bärenstarke Truppe, genannt „die Eichen“. Deutschland ist ein Bonsai.

Rugby hat eine große Tradition in Deutschland

Die Auswahl des Deutschen Rugby-Verbandes (DRV) ist die Nummer 28 der Welt, was nicht so schlecht klingt. Und natürlich ist es das auch nicht. Aber der Abstand zu den besten Nationen ist riesig. Verglichen mit Großbritannien und Irland, Australien oder Südafrika, Frankreich oder Italien, Argentinien oder Fiji, Tonga und Samoa wie auch Georgien ist Deutschland ein Entwicklungsland. In England spielen mehr als zwei Millionen Menschen Rugby (auch wenn bei den Zahlen des Weltverbandes IRB teils Spieler von Rugby-AGs an Schulen oder Colleges enthalten sind, etwa aus den USA). Der DRV hat 14 000 Mitglieder, Tendenz steigend. 2002 waren es 8600.

Wie Liechtenstein im Fußball

Rugby hat eine große Tradition in Deutschland. Die Sportart kam Mitte des 19. Jahrhunderts zu uns und wurde später ein zentraler Bestandteil der damals entstehenden Vereinskultur. Der FV Stuttgart 1893 zum Beispiel, aus dem später mit zwei anderen Clubs der VfB Stuttgart entstand, gehörte zu den Gründungsmitgliedern des DRV.

Doch der Siegeszug des Fußballs läutete das Ende des deutschen Rugby-Booms ein, die Nazizeit gab dem Sport den Rest: Im Dritten Reich war das angelsächsische Spiel geächtet. Bis heute hat sich die Sportart nicht erholt, Zuschauer fehlen wie auch vor allem Clubs. Nur 125 Vereine, darunter der Stuttgarter RC, verteilen sich über die Fläche der BRD, Zentren gibt es allen voran in Heidelberg sowie in Hannover, Pforzheim und Frankfurt. Sonst ist viel Weißfläche auf der Landkarte. Vor allem in der Jugend ist das ein Problem, weil die Wege zu Spielen lang sein können. Der DRV versucht, im Rahmen von AGs an Schulen stärker präsent zu sein, gleiches gilt für Hochschulen. „Es gibt einen Hunger auf Rugby“, sagt Bundestrainer Potgieter: „Es tut sich viel, aber das braucht noch einige Zeit.“

Rugby ist anders als Fußball oder Basketball nicht global

Wenn es wichtig wird, schauen die Deutschen solange weiter zu. Im September zum Beispiel bei der WM in England, die gemessen an Zuschauerzahlen und TV-Quoten das größte Sportereignis des Jahres ist. Deutschland ist nicht dabei. Wie immer. Neuseeland ist der Favorit. Die „All Blacks“ mit ihrem Kriegstanz (Haka) vor Spielen sind eine der bekanntesten Marken des Sports, ein globaler Imageträger. Deutschland hat noch nie gegen Neuseeland gespielt. Es hat keinen Sinn. „Das wäre, als würde die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen Liechtenstein spielen“, sagt der DRV-Geschäftsführer Volker Himmer. Mit Deutschland als Liechtenstein.

Rugby gilt als zweitgrößte Mannschaftssportart der Welt. In England, Südafrika, Australien oder Teilen Frankreichs hat es einen Status wie Fußball, in Wales oder Neuseeland und den Pazifik-Inseln Tonga, Samoa und Fiji ist es sogar der offizielle Nationalsport. Aber Rugby ist anders als Fußball oder Basketball nicht global. Ähnlich wie Handball spielt auch Rugby in vielen Ländern gar keine Rolle. Der Weltverband IRB hat deshalb entsprechende Globalisierungsprogramme entwickelt. Auch der englische Verband RFU unterstützt kleine Rugby-Nationen wie Deutschland mit seinem „Unity Project“; Frankreich und Wales haben ebenfalls Hilfe angeboten. Wissen ist Macht, und das soll nach Deutschland durch Trainer, Testspiele und Lehrgänge. Die WM ist „ein Fernziel“, sagt Himmer.

Für Laien sieht Rugby aus wie eine 80-minütige Massenkarambolage von Muskelbergen. Zweimal 40 Minuten lang befinden sich die 30 Kolosse auf dem Rasen auf ständigem Kollisionskurs. Es wird gehalten, gedrückt, umgerissen. Unterhalb der Schulter wird versucht, den Gegner mit beiden Armen zu umfassen und zu Boden zu ziehen: Tiefhalten, nennt sich diese Art des Tacklings im Rugby. Im American Football schützen moderne Rüstungen so gut es geht vor dem Aufprall. Rugbyspieler gehen ohne diese Hilfsmittel ins Gefecht. Ein 80-minütiger Crash der Körper ohne Airbag.

Eine Rauferei nach Regeln

Rugby ist eine der physisch forderndsten Sportarten. Was für Laien wie eine unkontrollierte Eruption von gewalttätigen Handlungen aussehen mag, ist in Wahrheit eine organisierte und strukturierte Rudelbildung. Eine Rauferei nach Regeln. Das Ei soll erobert werden, aber der Respekt vor dem Gegner ist die Basis des Spiels – er soll gestoppt, aber er soll nicht verletzt werden.

Rugby ist eine der fairsten Sportarten

Rugby gilt trotz seiner Körperlichkeit als eine der fairsten Sportarten. Als beim EM-Auftakt in Heusenstamm einige georgische Fans bei einem Einwurf für Deutschland in die so genannte Gasse, in der die Teams mittels einer Art Hebefigur versuchen, an das hoch ins Feld geworfene Ei zu gelangen, pfeifen, schütteln viele Zuschauer irritiert den Kopf. Pfiffe sind ein Verstoß gegen die Etikette. „So etwas habe ich beim Rugby noch nie gesehen“, sagt einer.

In Heidelberg schlägt das deutsche Rugby-Herz

Fair-Play ist integraler Bestandteil des Spiels. Das britische Ideal von „Sportsmanship“ und Gentlemen in kurzen Hosen prägt Rugby bis heute. Der Schiedsrichter zum Beispiel ist eine unumstrittene Institution auf dem Rasen, er kommuniziert ständig mit den Akteuren und dirigiert in engen Situationen die Teams, weist auf Verstöße hin und ermahnt im Zweifel. Seine Entscheidungen werden nicht infrage gestellt. Die Spieler, die statt Namen ihre Positionszahl auf dem Feld auf dem Rücken stehen haben, sprechen ihn mit „Sir“ an.

Das deutsche Herz des Rugbys schlägt in Heidelberg. Der Heidelberger RK hat die vergangenen vier Meisterschaften gewonnen, zuvor war der RG Heidelberg die dominante Mannschaft – und aus der badischen Stadt kommt auch die wohl wichtigsten Figur der Rugby-Szene: Hans-Peter Wild, der es mit der Firma „Wild“ (Capri-Sonne) zum Milliardär gebracht hat. Wild hat ein Herz für Rugby und eine Akademie gegründet, die unter anderem Trainingsmaßnahmen in Südafrika finanziert. Neuerdings ist er auch Hauptsponsor der 15er-Nationalmannschaft. Seit die kleinere Variante, das 7er-Rugby, nämlich olympisch ist, wird vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) auch nur noch dieses finanziell gefördert. Wild ist nun für die 15er-Auswahl eingesprungen. Dank ihm war im EM-Vorfeld zum Beispiel ein einwöchiger Aufenthalt in Namibia möglich.

Das deutsche Rugby wird besser, auch wenn es vielleicht wieder absteigt und der Weg nach oben dauern wird, vielleicht auch nie gelingt. Aber Volker Himmer sagt: „Wir sind kein Kanonenfutter mehr.“