Die Rugby-Weltmeisterschaft in England gilt als größtes Sportereignis des Jahres 2015. Bis zum 31. Oktober kämpfen 20 Nationen um den Webb Ellis Cup – und für die Globalisierung der Sportart.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

London - Das Riesenrad „London Eye“ hat sich hübsch gemacht für das größte Sportereignis des Jahres. Anlässlich der Rugby-Weltmeisterschaft, die am Freitagabend mit dem Spiel England gegen Fidschi eröffnet wurde, sind 20 der 32 Kabinen der Touristenattraktion an der Themse in den jeweiligen Nationalfarben der 20 WM-Teilnehmer designt worden. Bis zum 31. Oktober steht aber nicht nur das „London Eye“ im Zeichen des Eis: In vielen Ländern hat diese WM eine Bedeutung wie bei uns eine Fußball-WM.

 

Die Bundesrepublik ist dagegen eine reine Ballrepublik und fremdelt mit diesem Eiertanz. Trotz der zuletzt positiven Entwicklung spielt die spektakuläre Sportart in der breiten Öffentlichkeit praktisch keine Rolle; noch nie hat Deutschland an einer WM teilgenommen, auch diesmal wurde die Qualifikation knapp verpasst.

Im Schnitt sollen 58.000 Fans zu den Rugby-Spielen kommen

Die Rugby-WM gilt als das drittgrößte Sportereignis der Welt, hinter einer Fußball-WM und Olympia. Die Organisatoren rechnen mit 2,8 Millionen Zuschauern bei den 48 Spielen, was einem Schnitt von 58 000 Fans pro Partie entsprechen würde. Ticketanfragen gab es mehr als fünf Millionen. Sahen 1987 noch insgesamt rund 300 Millionen Fernsehzuschauer Spiele der Rugby-WM, waren es 1995 schon 2,67 Milliarden und 2003 dann 3,5 Milliarden.

Rugby ist riesig. Und klein zugleich.

Anders als Fußball, Basketball oder Volleyball ist es weit davon entfernt, ein globaler Sport zu sein. Und das ist bei allen eindrucksvollen Zahlen ein großes Problem für diesen Sport, dessen kleiner Bruder, das 7er-Rugby, 2016 olympisch sein wird. In Europa ist das 15er-Rugby richtig groß nur in Großbritannien, Irland und Frankreich, mit Abstrichen auch in Italien und Georgien. In Afrika ist der Sport in Südafrika riesig und in anderen Ländern des südlichen Afrikas wie Namibia, das bei der WM startet, oder Zimbabwe ebenfalls recht beliebt.

In Neuseeland ist Rugby die Sportart Nummer eins

Das Herz schlägt aber vor allem im pazifischen Raum. In Neuseeland ist Rugby Volkssport, in Australien ist es populärer als Fußball, ebenso auf kleinen Inseln wie Fidschi, Tonga oder Samoa, die trotz ihrer begrenzten Einwohnerzahlen herausragende Mannschaften haben, die etwa einem bevölkerungsreichen Land wie Deutschland klar überlegen sind. In Südamerika hat sich etwas entwickelt, vor allem in Argentinien, aber auch in Uruguay.

Grundsätzlich ist die Rugby-Weltkarte allerdings voller weißer Flecken. Das soll sich ändern. Die Welt soll ein Ei werden.

Die Professionalisierung im Rugby schreitet voran

Der Weltverband hat aktuell 117 Mitgliedsländer, was für einen internationalen Sportverband sehr wenig ist. Das liegt vor allem daran, dass die Professionalisierung des 15er-Rugby, das auch Rugby Union genannt wird, erst in den 1990er Jahren richtig begonnen hat. Seitdem hat sich die Sportart atemberaubend entwickelt: „Rugby boomt“, sagt Bernard Lapasset, der Präsident des Weltverbandes World Rugby, der bis Ende 2014 noch „International Rugby Board“ hieß: „Die Zahlen sind seit 2011 um zwei Millionen auf insgesamt 7,23 Millionen Spieler gestiegen.“

Tatsächlich tut sich etwas, etwa in Asien, speziell in Japan, oder in den USA, aber der Weg ist noch ziemlich weit und die Frage lautet: Wie globalisiert man eigentlich eine Sportart? Der Verband lässt sich seinen Expansionsdrang zumindest viel Geld kosten, im Zeitraum von 2009 bis 2016 etwa 450 Millionen Euro. Damit wurde und wird Entwicklungshilfe für die sportlichen Exoten geleistet, darunter auch Deutschland.

Frankreich hat schon drei Endspiele verloren

Die WM ist die Messe dieses Sports. Und, wenn man im Bild bleiben möchte, sind es seit Jahren immer die gleichen Aussteller, die ihr Können der Welt präsentieren. Erst 24 verschiedene Nationen haben bisher an einer WM teilgenommen. Dabei spielt natürlich auch eine Rolle, dass die WM in dieser Form eine vergleichsweise junge Veranstaltung ist. Sie wurde erstmals 1987 in Australien und Neuseeland ausgetragen, der aktuelle Weltmeister Neuseeland gewann damals den Titel, Zweiter wurde Frankreich. Seitdem standen bei sieben WM-Austragungen nur fünf verschiedene Mannschaften im Finale – neben den genannten noch Australien (Weltmeister 1991, 1999), Südafrika (Weltmeister 1995, 2007) sowie England (Weltmeister 2003). Frankreich verlor übrigens sowohl 1987 als auch 1999 und 2011 das WM-Endspiel.

Das 15er-Rugby wächst, in der Qualifikation für die WM haben laut Verband 83 Nationen (Rekord!) mitgespielt, die Tendenz ist leicht steigend. Aber es dauert, bis die neuen Länder mit den traditionellen Nationen mithalten können, viel zu groß ist noch der Rückstand. Nachdem der Weltverband das Teilnehmerfeld für die WM 1999 von 16 auf 20 Teams aufgestockt hatte, gab es vor der WM 2011 Überlegungen, es wieder zu verkleinern. Die Leistungsunterschiede zwischen den Topnationen und den anderen waren (und sind) zu groß. Das böse Wort von „Lückenfüllern“ machte immer mal die Runde, andererseits mochten viele Fans die exotischen Rugby-Nationen wie die USA oder Kanada.

David hat im Rugby keine Chance gegen Goliath

Aus sportlicher Sicht ist es aber ein Problem, ein großes Problem sogar, weil dadurch viele Spiele vorhersehbar sind. Überraschungen in Duellen David gegen Goliath sind praktisch ausgeschlossen. Auch bei dieser WM, die die größte PR-Bühne für das Rugby ist, wird das so sein – und langweilige, weil einseitige Spiele, sind nicht die beste Werbung. Ein Team wie Neuseeland zum Beispiel, das sportlich wie ein Hegemon über allen anderen Rugby-Nationen steht und aktuell auch noch dominiert wie selten zuvor, wird so gut wie nie gegen eine Mannschaft jenseits der Top Ten der Welt verlieren (siehe auch „Men in Black“).

Chancen auf den Gipfel haben die meisten Teams in England nur kurzzeitig in Form ihrer Kabine am „London Eye“.