Seit zehn Jahren darf die Polizei in Fällen häuslicher Gewalt Platzverweise aussprechen. Das hilft in vielen Notfällen, aber für eine echte Prävention ist mehr nötig.

Ludwigsburg - Der Mensch, vor dem Frauen am meisten Angst haben müssten, sei der eigene Partner: „Das mag überspitzt klingen“, sagt Hermann Dengel vom Weißen Ring, „aber statistisch betrachtet trifft es zu.“ Demnach geht der überwiegende Teil der Gewalt gegen Frauen von dem aus, mit dem sie das Bett teilen. Die am Runden Tisch häusliche Gewalt in Ludwigsburg beteiligten Gruppen und Verbände ziehen eine Zehn-Jahres-Bilanz.

 

Ihr erschreckendster Befund: „In beinahe allen Fällen haben sowohl das Opfer als auch der Täter Gewalt schon in ihren Herkunftsfamilien erlebt“, sagt Adelheid Herrmann vom Verein Frauen für Frauen. Ihre dringendste Bitte deshalb: „Wir müssen mehr für die beteiligten Kinder tun, das wäre dann wirklich Präventionsarbeit.“ In aller Regel beginne die Spirale der Gewalt in der Kindheit. „In der Regel habe ich ja nur Kontakt zu Frauen“, sagt Herrmann, die seit 30 Jahren für das Ludwigsburger Frauenhaus zuständig ist. Als sie kürzlich zu einem Gespräch mit Tätern eingeladen wurde, war ihre Überraschung groß. „Ich dachte, da sitzen die ganzen groß gewordenen Kinder, die ich im Frauenhaus auf dem Schoß sitzen hatte.“ Den Runden Tisch häusliche Gewalt gibt es in Ludwigsburg schon seit 1999. Aber erst seit 2002 steht der Polizei das Mittel des Platzverweises zur Verfügung. „Bis dahin wurde immer die Frau aufgefordert, die Wohnung zu verlassen“, sagt Dengel. Nun war es möglich, den Täter aus dem angestammten Umfeld zu verbannen. Polizeibeamte, die zu einem gewalttätigen Konflikt hinzugerufen werden, dürfen einen auf 24 Stunden begrenzten Platzverweis aussprechen. Über eine Verlängerung auf bis zu 14 Tage muss das Ordnungsamt entscheiden.

Bisher gab es im laufenden Jahr insgesamt 268 Einsätze wegen häuslicher Gewalt im Landkreis, in 93 Fällen wurden Platzverweise ausgesprochen. Voriges Jahr seien allein in Ludwigsburg 127 Platzverweise ausgesprochen worden, sagt Gerald Winkler, der Leiter des Fachbereichs Sicherheit und Ordnung. In 20 Fällen habe das Amt eine Verlängerung angeordnet. Auf Drängen verschiedener Initiativen und mit der Aufnahme des Platzverweises ins Polizeirecht sei die gängige Auffassung umgekehrt worden, sagen Dengel und die städtische Gleichstellungsbeauftragte Susanne Brückner. Bis vor zehn Jahren habe der Grundsatz gegolten: was in der Familie passiert, geht die Gesellschaft nichts an.

Auch Worte können verletzen

Vielen Gewaltausbrüchen lägen problematische Beziehungsmuster zugrunde, sagt Theresia Hackmann von der Psychologischen Familien- und Lebensberatung. Ziel der Arbeit müsse darum das Aufbrechen von eingeübten Verhaltensweisen sein. Nicht immer sei klar zu erkennen, wer Täter und wer Opfer ist. Denn über der rein physischen Gewalt dürfe die Provokation oder Gewaltausübung durch Worte nicht vernachlässigt werden. Darum müssten die Vorstadien sehr viel eingehender als bisher untersucht werden, meint Hackmann.

Die Täter gehörten allen Gesellschaftsschichten an, betont Britta Graf von der Sozialberatung. Das seien keineswegs nur Personen, die auch sonst als gewalttätig auffielen. Betroffen seien Arbeiter wie Pfarrer, und Anwälte wie Ärzte oder Politiker. „Auch die meisten Täter sind ja im Grunde verzweifelt“, sagt Graf. Was die Arbeit der Ämter und Vereine erschwere, sei die Unterschiedlichkeit der Systeme. Man begrüße daher die Absicht der Landesregierung, Einheitlichkeit herzustellen. Das spare Geld und wertvolle Zeit.

Notfallhilfe und Beratung

Zum Runden Tisch häusliche Gewalt Ludwigsburg gehören neben Vertretern des Landratsamts, der Polizei, des städtischen Ordnungsamtes und der Gleichstellungsbeauftragten vor allem Vereine und freie Träger. Mit dabei sind unter anderen der Weiße Ring, die Neustart gGmbH sowie die Familien – und Lebensberatung der Caritas.