Beim wochenlangen Streik von Radio France geht es um viel: um das Selbstverständnis des öffentlichen Rundfunks in Frankreich.

Paris - Der Name ist Programm. „France Info“ informiert. Ob Nachrichten, Hintergründe, Analysen, Reportagen oder Kommentare: Was immer zum Verständnis Frankreichs beitragen könnte, der Radiosender bietet es an. Oder besser: Er hat es lange Zeit angeboten. Seit dem 19. März nämlich strahlt er anstatt handfester Informationen meist seichte Musik aus.

 

An jenem fast vier Wochen zurückliegenden Donnerstag ist die Belegschaft nämlich in Streik getreten – und nicht nur sie. Das Personal aller sieben unter dem Dach von Radio France angesiedelten öffentlich-rechtlichen Sender hat die Arbeit niedergelegt. Und so sehr der mittlerweile längste Arbeitskampf in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Hörfunks auch an den Nerven aller Beteiligten zerrt, nichts deutet darauf hin, dass er dauerhaft beigelegt werden könnte.

Mag sein, dass die 4300 Mitarbeiter des Hauses auf einer der nächsten Vollversammlungen erschöpft die Rückkehr an den Arbeitsplatz beschließen:  Mehr als ein brüchiger Waffenstillstand wäre damit kaum gewonnen. Es geht schließlich nicht nur darum, welche Abteilungen welche Opfer erbringen sollen, nachdem der Staat seine jährlichen Zuwendungen von zurzeit 650 Millionen Euro erstmals nicht mehr aufstocken will und sich für dieses Jahr ein Minus von 21 Millionen Euro abzeichnet. Es geht ums Selbstverständnis des bisher trotz Wirtschaftskrise finanziell üppig ausgestatteten öffentlichen Rundfunks. Einigkeit herrscht darüber, dass Gebührenaufkommen und staatliche Zuschüsse zu nutzen sind, um die Bevölkerung „zu informieren, fortzubilden und zu unterhalten“. Alles andere steht auf dem Prüfstand.

Offen ist etwa, wie weit der öffentliche Rundfunk den Luxus von Minderheitenprogrammen treiben darf und soll. So bringt es der überwiegend Klassik und Jazz ausstrahlende Sender France Musique auf einen Höreranteil von 0,4 Prozent. Radio Mouv‘, 1997 als Jugendsender ins Leben gerufen, hat die Zielgruppe bis heute nicht wirklich erreicht. Die Präsenz im Internet lässt  zu wünschen übrig. Gerade einmal ein Prozent des Budgets von Radio France fließt in Internetauftritte.

Die Belegschaft vermisst ein globales Konzept

Der Medien-Soziologe Jean-Louis Missika wirft den staatlich finanzierten Radio- und Fernsehanstalten vor, sie hätten mit der Entwicklung des Digitalen nicht Schritt gehalten. Der Philosoph und Radioproduzent Alain Finkielkraut empfiehlt dagegen, sich nicht unter Quotendruck setzen zu lassen. Sicherlich sei es gut, den Erwartungen des Hörers Rechnung zu tragen, meint Finkielkraut. Aber der öffentlich-rechtliche Hörfunk müsse dem Publikum auch Programme anbieten, die es herausforderten, verstörten, aber voranbrächten.

Mathieu Gallet, der seit Februar vergangenen Jahres die Geschicke von Radio France bestimmt, hat im Lauf des Arbeitskampfes zurückgesteckt. Das ursprüngliche Vorhaben, die beiden Orchester von Radio France zusammenzulegen, hat der 38-jährige Marketing- und Controlling-Experte aufgegeben. Auch den Plan, Redaktionen zusammenzulegen, verfolgt er nicht mehr. Nach wie vor will Gallet allerdings unter Verzicht auf Kündigungen 300 bis 380 der 4300 Stellen abbauen, in den Programmen verstärkt Werbung zulassen und am Pariser Sitz von Radio France  mit Restaurants, einer Buchhandlung und einem Parkplatz neue Dienstleistungen anbieten.

Die Belegschaft vermisst ein globales Konzept, das dem Sparen Sinn verleiht. Dass Gallet sich mit einer 105 000 Euro teuren, neuen Büroeinrichtung verwöhnt, während er das Personal zum Kürzertreten anhält, hat den Konflikt zusätzlich angeheizt.  Fest steht, dass Radio France in den vergangenen Jahren unbekümmert aus dem Vollen geschöpft hat. In einem Anfang April veröffentlichten Gutachten stellt der Rechnungshof dem Haus ein vernichtendes Zeugnis aus: praktisch keinerlei Ausgabenkontrolle, keinerlei Koordination der unterschiedlichen Tätigkeitsfelder und ein binnen zehn Jahren um 27,5 Prozent gestiegener Finanzbedarf.