Dieses Jahr hätte der Schriftsteller Hermann Lenz seinen 100. Geburtstag gefeiert. Dies ist Anlass genug für eine literarische Führung auf den Killesberg. Denn dort hat Hermann Lenz mehr als 50 Jahre lang gelebt.

S-Nord - Felicitas Weippert kennt den Schriftsteller noch aus Kindertagen. Gut erinnert sich die 89-Jährige daran, wie er sie als Kind einmal in der Straßenbahn zurechtwies, weil sie zu laut war. Bis heute lebt Felicitas Weippert auf dem Killesberg, gegenüber von der Hermann-Lenz-Höhe, nur wenige Schritte entfernt vom Haus in der Birkenwaldstraße 203, in dem Hermann Lenz mehr als fünfzig Jahre seines Lebens verbracht hat – ganz oben, in der Schreibstube unter dem Dach. Morgen, Dienstag, wäre der Schriftsteller, der 1998 verstarb, 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass hatte der Literaturführer Bernd Möbs am Samstag zu einer Führung am früheren Wohnort des Schriftstellers eingeladen.

 

Nachbarin Felicitas Weippert ist längst nicht die einzige Teilnehmerin. Trotz leichten Schneefalls und Eiseskälte hat es rund 20 Literaturinteressierte auf den Killesberg gezogen. Möbs gibt zu, dass eine solche Führung im Februar auch für ihn ein Experiment sei. Das Wetter ist für diese Jahreszeit schließlich nicht ungewöhnlich. Aber er habe das Datum, den nahenden Geburtstag, nutzen wollen. Umso mehr freut sich der Literaturführer über die große Teilnehmerzahl und das damit verbundene Interesse an seinem „ganz speziellen Liebling“. Einem, wie es Möbs formuliert, „sehr zurückhaltenden Menschen“, der trotz späterer Auszeichnung mit dem Georg-Büchner-Preis zu Lebzeiten in Stuttgart nie die ganz große Anerkennung erlangte.

Lenz ist ein verschlossener Mensch gewesen

Die Führung beginnt, wie könnte es anders sein, an der Hermann-Lenz-Höhe. Jenem Platz, an der Ecke Birkenwald-/Friedrich-Ebert-Straße, der seit 2001 diesen Namen trägt. Neben dem beeindruckenden Ausblick gibt es für die Teilnehmer auch ein Zitat von Hermann Lenz zu lesen: „Vor deiner Haut beginnt die Fremde.“ Ein Satz, der den Charakter des verschlossenen Mannes besonders treffend beschreibt.

Von der Hermann-Lenz-Höhe geht es weiter die Birkenwaldstraße hinauf bis zur Robert-Mayer-Straße. Zu Lenz Zeiten war in dem Eckhaus das Café Weißenhof-Bäck untergebracht. „Lenz Schwester war mit dem Besitzer verheiratet“, sagt Möbs. Hermann Lenz habe zu seiner Schwester jedoch kein gutes Verhältnis gehabt, der Erbstreit mit ihr führte schließlich dazu, dass der Schriftsteller 1975 Stuttgart verließ und nach München zog. Nachbarin Felicitas Weippert hat unterdessen ihre ganz eigenen Erinnerung an die Schwester von Hermann Lenz. „Das war eine ziemliche Lustige“, erzählt die 89-Jährige. Im Café Weißenhof-Bäck hätten sie immer Fasching gefeiert.

Nach dem Erbschaftsstreit nach München gezogen

An den einzelnen Stationen liest der Literaturführer immer wieder aus den Werken des Schriftstellers vor. Besonders gerne aus den Eugen-Rapp-Romanen, einer Art, wie Möbs es nennt, „Stuttgarter Buddenbrooks“, in denen Lenz sein eigenes Leben beschreibt. Reale Akteure, Familienmitglieder, Freunde und literarische Zeitgenossen treten unter anderen Namen auf. Der Vater etwa, ein Lehrer, der jedoch für das literarische Wirken seines Sohnes nie viel übrig hatte. Vor dem Wohnhaus von Hermann Lenz an der Birkenwaldstraße 203 macht Möbs die Teilnehmer auf das Dachfenster aufmerksam. Dort hinauf, in sein ehemaliges Jugendzimmer, habe sich der Schriftsteller gern zurückgezogen. Vor einigen Jahren habe er die inzwischen ebenfalls verstorbene Ehefrau von Hermann Lenz in München besucht, erzählt Möbs beim weiteren Rundgang über den Killesberg in Richtung Feuerbacher Heide, einem der liebsten Spaziergänge des Schriftstellers. Bei diesem Besuch in München habe er eine interessante Entdeckung gemacht: Auch in seinem neuen Haus hatte sich Hermann Lenz wieder eine solche über und über mit Büchern gefüllte Kammer unter dem Dach eingerichtet.