Zwischen Brezeln und Antipasti: kulinarische Touren eröffnen auch Stuttgartern eine neue Sichtweise auf ihre Stadt. Dabei zeigt sich, dass der Westen einst die Speisekammer Stuttgarts war.

Stuttgart - Wären einige Weichen anders gestellt worden, Stuttgart wäre heute keine Autostadt, sondern eine Schokoladenstadt. Oder vielleicht beides. Der Duft von Rohrzucker ist aber schon längst verflogen. In der alten Schokoladenfabrik am Feuersee, in der früher die berühmten Katzenzungen von Waldbaur hergestellt wurden, arbeiten heute Architekten, Grafiker und Designer. „In Stuttgart gab es zwölf Schokoladenhersteller. Nur eine Firma hat überlebt“, sagt Tania van den Bergh. Sie spricht von der Schokolade Ritter Sport, die heute in Waldenbuch produziert wird. Tania van den Bergh führt seit Anfang August in dreistündigen Touren durch den Stuttgarter Westen und zeigt den Teilnehmern kulinarische Geheimtipps. Auch wenn es ihr Name nicht vermuten lässt, ist die nebenberufliche Stadtführerin in Stuttgart geboren, im Westen hat sie lange gelebt. Die Stationen, die sie den Teilnehmern zeigt, gehören allesamt zu ihren Gastro-Lieblingen.

 

Die Idee kommt aus Berlin

Die Führungen mit dem Titel „Eat the World“ gibt es schon seit 2008, zunächst in Berlin, heute in zwölf weiteren Städten Deutschlands, Stuttgart ist ganz neu dazugekommen. Die Idee hatte die Berlinerin Elke Freimuth nach einem längeren Aufenthalt in New York. Dort wimmelt es von kleinen kulinarischen Entdeckungen, von Familienbetrieben, die der Konkurrenz großer Ketten standgehalten haben. Selten aber sind diese in Reiseführern zu finden, geschweige denn befinden sie sich an Hauptverkehrsstraßen. Ein Problem, das auf viele Städte in Deutschland übertragbar ist.

Innerhalb von drei Stunden führt Tania van den Bergh die kleine Gruppe auch in Stuttgart in Hinterhöfe und Seitengassen, in kleine Familienbetriebe und in neue Läden mit originellem Konzept. Sieben Stationen werden insgesamt besucht, überall werden die Teilnehmer schon erwartet, es gibt kleine Probierhäppchen und einen Schwatz mit den Betreibern oder Mitarbeitern der Gastronomie.

Ein Blick in die älteste Bäckerei Stuttgarts

Den Auftakt bildet eine der ältesten Bäckereien des Stuttgarter Westens, die Bäckerei Dreßler an der Ludwigstraße. Dort wartet schon der Inhaber Harald Dreßler, der die Bäckerei zusammen mit seiner Frau in der vierten Generation führt. Er stellt eine Schale mit Flachswickeln und kleinen Brezeln auf die Theke und beginnt zu erzählen. Davon, wie sich das Bäckerhandwerk in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, von der Geschichte der Bäckerei, die im Jahr 1901 unter dem Namen Gläser begonnen hat, und der des Hauses an der Ludwigstraße, das im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war. Er deutet auf die Wände, an denen die Meisterbriefe seiner Vorgänger hängen, auch sein eigener wie der seines Vaters, der jedes Jahr an Weihnachten wieder in der Backstube steht und ihm zur Hand geht. Tania van den Bergh zeigt anschließend Bilder aus dem Fotoalbum der Familie Dreßler.

Auf dem Spaziergang plaudert die Stadtführerin über die Geschichte des Westens, über die „Speisekammer der Stuttgarter“, wie sie sagt. Große Flächen im Bezirk seien früher für die Landwirtschaft genutzt worden. Die Ware sei in Lebensmittelläden verkauft worden. Noch in den 80er Jahren waren dort rund sechzig kleine Betriebe mit schwäbischen Besitzern ansässig, erzählt sie. Heute habe mit dem Feinkostladen Panzer genau einer überlebt. Auch dort macht die Tour Halt, es gibt Trauben direkt vom Erzeuger aus Lauffen am Neckar, außerdem italienisches Gebäck. Silvia Panzer, die Tochter der Gründerin des Ladens an der Arndtstraße, verkauft nicht nur Lebensmittel wie Nudeln und Eier, sondern auch selbst gemachte Fruchtaufstriche. Es gibt eine Wurst- und Käsetheke sowie täglich frisches Obst und Gemüse. Zum Großmarkt wird sie von ihren Freunden begleitet: „Damit das Sortiment nicht langweilig wird.“

Das Angebot soll ausgeweitet werden

Derzeit führt die Tour nur durch den Stuttgarter Westen, Tania van den Bergh kann sich aber vorstellen, das Angebot auf weitere Stadtbezirke auszuweiten. „Bad Cannstatt würde sich anbieten, aber auch der Stuttgarter Osten“, sagt sie. Überall dort eben, wo es kleine gastronomische Betriebe aus aller Welt zu entdecken gibt.

Die „Eat the World“-Führung ist nicht die einzige ihrer Art in der Stadt. Die Weingärtner Bad Cannstatt etwa führen mit Weinproben und Vesper über Höhenwanderwege. In Tübingen werden die Weine im Stocherkahn serviert. Durchs Heusteigviertel im Stuttgarter Süden führt eine sogenannte „Foodies“-Tour vom Anbieter Translang. Auch dort finden die Teilnehmer, ähnlich wie im Stuttgarter Westen, einen Schmelztiegel schwäbischer und fremdländischer Kulturen vor. Die Häppchen, die dort während der zweistündigen Tour genascht werden, kommen aus der Türkei, von den Kanaren, aber auch von alteingesessenen schwäbischen Bäckereien. Die Gemeinsamkeit aller Touren: Es gilt, im Vorfeld besser nicht gefrühstückt zu haben.

Der Tag enedet mit einer Platte Antipasti

Der kulinarische Spaziergang durch den Westen endet gerade rechtzeitig, bevor wirklich gar nichts mehr in die Mägen der Teilnehmer passt.

Im Restaurant Bella Italia Weine an der Vogelsangstraße werden sie schon von der Inhaberin Maria Patané erwartet. Die Sizilianerin hat große Platten Antipasti angerichtet. „Maria meint es immer besonders gut mit uns“, sagt Tania van den Bergh. Und damit endet der Blick hinter die kulinarischen Kulissen der Stadt.