Die EU bereitet sich auf einen völligen Stopp der Gaslieferungen aus Russland vor. Die Staats- und Regierungschefs haben in Brüssel nach Lösungen gesucht.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Die Europäische Union stellt sich in Sachen Gasversorgung auf das Schlimmste ein. „Wir hoffen das Beste, erwarten aber das Schlimmste“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel. Das heißt im Klartext, dass Europa sich so schnell wie möglich darauf vorbereitet, dass Russland die Lieferungen in Richtung Westen vollständig einstellt. Zu diesem Zweck habe die Union alle nationalen Notfallprogramme geprüft und einen gemeinsamen Plan erstellt, um den Verbrauch zu reduzieren, erklärte sie am Freitag nach dem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Dabei habe man auch die Lehren aus der Corona-Krise, dass Europa „nur stark ist, wenn es zusammenhält“.

 

Fatale Abhängigkeit von russischem Gas

Oberstes Ziel müsse es aber sein, betonte Ursula von der Leyen, die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu beenden. Deshalb werde mit Hochdruck daran gearbeitet, neue Quellen aufzutun. Dazu zählt sie Flüssiggas aus den USA oder höhere Lieferquoten aus Norwegen. Mittelfristig sei es aber entscheidend, durch den Ausbau erneuerbarer Energien ganz von fossilen Brennstoffen wegzukommen.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat in Brüssel angesichts sinkender russischer Gaslieferungen eine beschleunigte Suche nach alternativen Importmöglichkeiten angekündigt. „Wir sind alle gemeinsam sehr, sehr sorgfältig vorbereitet auf die schwierige Herausforderung, die sich mit dem Import fossiler Ressourcen aus Russland verbindet“, sagte er am Freitag. Deshalb habe man sich frühzeitig um Infrastruktur gekümmert, mit der Gas aus anderen Ländern importiert werden könne, sagte er in Anspielung auf geplante LNG-Terminals. „Das ist eine Anstrengung, die noch mal beschleunigt werden muss. Da werden wir uns unterhaken.“ Scholz bekräftige nach dem Gipfel die Zweifel an russischen Angaben, dass die Drosselung von Gaslieferungen an technischen Gründen liege. „Niemand in der EU glaubt daran“, sagte der deutsche Bundeskanzler.

Europa blickt auf die Lage in Deutschland

Belgiens Ministerpräsident Alexander de Croo warnte am Rande des Gipfels in Brüssel, dass es große Auswirkungen auf andere Länder in der EU hätte, sollte Deutschland Schwierigkeiten mit der Gasversorgung bekommen. „Wenn Deutschland in Probleme gerät, dann hat das auch einen enormen Einfluss auf alle anderen europäischen Länder, auch auf unser Land“, sagte er.

Wie seine Kollegen forderte auch er, dass die Europäer nun zusammenstehen müssten, schließlich befinde man sich in einem Wirtschaftskrieg mit Russland. „Es gibt kein besseres Argument für die Tatsache, dass wir das gemeinsam machen müssen, als die Folgen zu betrachten, die Deutschland potenziell erleidet“, so der Regierungschef. Man werde vielleicht einen schwierigen Winter erleben. Mit Blick auf mögliche Schwierigkeiten bei der Gasversorgung sprach er sich für Preisobergrenzen und gemeinsame Einkäufe des Rohstoffs aus.

Preisobergrenzen sind umstritten

Während sich die EU-Staaten bereits im März bei einem Gipfel darauf verständigt hatten, Gas gemeinsam einkaufen zu wollen, sieht es bei Preisobergrenzen anders aus. Bislang gibt es nur für Spanien und Portugal entsprechende Ausnahmen. Vor allem Länder wie Deutschland und die Niederlande sehen Preisdeckel kritisch.

Am Ende des Gipfels versuchte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch einen Makel tilgen, der auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs liegt. Die EU könnte schon in den nächsten Tagen den Weg freimachen, um Nordmazedonien und Albanien in den Kreis der Beitrittskandidaten aufzunehmen, sagte er. Voraussetzung dafür war, dass das bulgarische Parlament der Regierung am Freitag grünes Licht für eine Zustimmung zur Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien gegeben hat. Damit kann die bulgarische Blockade in der EU beendet werden, die am ersten Tag des EU-Gipfels in Brüssel für Ärger gesorgt hatte. Bulgarien hatte 2020 ein Veto gegen die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Westbalkan-Staat Nordmazedonien eingelegt, was auch Verhandlungen mit Albanien blockierte. Allerdings muss nun geklärt werden, ob auch Nordmazedonien den Kompromiss akzeptiert. Der nordmazedonische Premierminister Dimitar Kovacewski hatte die französischen Vorschläge in einem Facebook-Post allerdings noch am Donnerstag als „inakzeptabel“ bezeichnet.