Interne Gutachten, geheime Vermerke und Vorstandsprotokolle legen nahe, dass sowohl Teile der heutigen Führungsebene als auch frühere Konzernchefs vom Geschäft mit russischem Gas mehr Kenntnis hatten, als sie öffentlich zugeben.
Stuttgart - Die Studie zu den strittigen Millionengeschäften der Energie Baden-Württemberg (EnBW) mit dem russischen Geschäftsmann Andrej Bykov ist bei dem Stromkonzern eine Sache oberster Geheimhaltung. Die vom Aufsichtsrat eingeholte Expertise der renommierten internationalen Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP sollte nur wenigen Eingeweihten zugänglich gemacht werden. Ebenso verhält es sich mit dem Gutachten, das der Vorstand zum selben Thema bei den Wirtschaftsprüfern von KPMG geordert hatte.
Von Andrej Bykov fordert die EnBW rund 120 Millionen Euro zurück. Er soll bei vier von 34 Verträgen seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen sein. Bykov bestreitet dies. Bei den Geschäften ging es um größere Uranlieferungen, den Rückbau des Kernkraftwerks Obrigheim sowie um den Aufbau von Easy-Toll, eines Überwachungssystems für Nukleartransporte.
Der von der Stuttgarter Zeitung aufgedeckte Fall macht inzwischen bundesweit Schlagzeilen und den EnBW-Chefs immer mehr Sorgen. Lange hielt die Führungsebene die Sache im Verborgen. Interne Unterlagen zeigen den Grund: Sie enthüllen eine Reihe unangenehmer Wahrheiten, mit denen der Versorger die Öffentlichkeit bislang eher unterversorgt hatte. Dabei verdichtet sich der Verdacht, dass der aktuelle EnBW-Vorstandschef Hans-Peter Villis und seine Vorgänger seit den 90er Jahren weit mehr von den umstrittenen Geschäften mit Andrej Bykov gewusst haben, als sie bislang zuzugeben bereit waren. So heißt es im Freshfields-Gutachten in Bezug auf die Geschäfte mit Bykov, es habe im EnBW-Konzern „teilweise ein – auch von Gremienmitgliedern geteiltes – Verständnis geherrscht, dass Brennstoffbeschaffungsverträge immer über die Wirtschaftspläne genehmigt waren und grundsätzlich nicht den Gremien vorgelegt werden brauchten.“
Gasgeschäfte mit Russland?
Interne Vermerke und Vorstandsprotokolle, die der Stuttgarter Zeitung und SWR Info ebenfalls vorliegen, zeigen zudem, dass es in der Geschäftsbeziehung mit dem früheren Diplomaten neben dem Handel mit nuklearem Brennmaterial spätestens seit dem Jahr 2000 auch um die Anbahnung großer Gasgeschäfte mit Russland ging. Ebendies hat die EnBW teils vehement bestritten. Selbst ihrem Anteilseignern, den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken (OEW), gegenüber hatten die Verantwortlichen an dieser Darstellung festgehalten. Vorstandschef Villis räumte lediglich ein, der Konzern habe 2008 die Beteiligung an zwei russischen Gasfeldern geprüft. Frühere Ambitionen auf russisches Erdgas erwähnte er jedoch nicht.
Von den Bemühungen Bykovs, für die EnBW beim Erdgas ins Geschäft zu kommen, hatten womöglich nicht nur Villis, sondern auch weitere EnBW-Topmanager gewusst. So schreibt Wolfgang Heni, Geschäftsführer der EnBW-Kraftwerkstochter GKN in Neckarwestheim, am 7. April 2003 einen Vermerk an den scheidenden EnBW-Vorstandschef Gerhard Goll, er habe „auf Wunsch von Herrn Schierwater“ eine Zusammenfassung „des gegenwärtigen Standes des Gasprojektes erstellt“. Heni hielt seit den 1970er Jahren die Kontakte mit Russland und hatte mit Vertretern der Sowjetmacht viele Verträge über die Lieferung Abertausender von Tonnen Urans ausgehandelt.
Der inzwischen verstorbene Hermann Schierwater war der engste Vertraute und die rechte Hand des Goll-Nachfolgers Utz Claassen. Zum 1. April 2003 war er zum Leiter der Unternehmenskommunikation bestellt geworden. Nun benötigte er offenkundig einen Überblick über die laufenden Geschäfte. Während Goll das Interesse am russischen Gas einräumt, bestreitet Claassen strikt, jemals nähere Kenntnis davon gehabt zu haben. Im Lichte der Expertise von Heni erscheint es nun merkwürdig, dass ausgerechnet der engste Mitarbeiter Claassens auf zehn Seiten detailliert den „Stand der EnBW-Gasaktivitäten in Russland“ erläutert bekommt, Claassen selbst aber nie näher davon gehört haben will.
Es gibt wohl keine „Scheingeschäfte“
Heni hatte dem Vorstand auch weiter auf dem Laufenden gehalten. So am 22. Juni 2004, als er darüber informierte, wie die „seit 1973 über Eurepa/Bykov zur russischen Regierung bestehenden Beziehungen genutzt werden sollten, um einen möglichen Gasbezug an Gazprom vorbei auszuloten“. Die EnBW wollte damals mit kleineren Anbietern von russischem Erdgas ins Geschäft kommen. Der Kontakt sollte offenkundig über die Eurepa, eine Bykov-Firma in Zürich, erfolgen. Weiter heißt es: „Auf entsprechende Fragen des Vorstandes schildert Herr Heni Einzelheiten der Entwicklung dieser Beziehungen.“
Die EnBW hatte mit der Bykov-Gruppe Verträge mit einem Volumen von fast 300 Millionen Euro abgeschlossen. Hundert Millionen davon sollen laut Bykov mit dem Einverständnis der EnBW für wohltätige Zwecke im Sinne der „Landschaftspflege“ ausgegeben worden sein. Der Konzern weist jedoch jeden Verdacht von sich, „Scheingeschäfte“ abgeschlossen zu haben. In den internen Papieren findet sich dazu bislang nichts. Das kann jedoch auch daran liegen, dass viele Passagen fehlen. Sie sind offenbar von der EnBW geschwärzt worden, als die Bykov-Anwälte die Papiere für die Schiedsgerichtsverhandlungen angefordert hatten, in der Sorge, es könnten dadurch Betriebsgeheimnisse bekannt werden oder die besagten Stellen könnten den Konzern belasten.
Von den KPMG-Gutachten ist bislang nur bekannt, dass es sich mit der juristischer Prüfung der Sachverhalte beschäftigt. Die Experten prüften, ob Verstöße gegen Straf- und Zivilgesetze sowie steuerrechtliche Vergehen vorliegen Die EnBW hat stets betont, die Untersuchungen hätten keine Hinweise auf etwaige Verfehlungen erbracht. Seit Ende Juni aber ermittelt die Staatsanwaltschaft Mannheim nach Bekanntwerden der möglichen EnBW-Wohltaten in Russland. Der Verdacht lautet auf Untreue und Steuerhinterziehung. Die Konzernleitung mag seither „Fragen zur strafrechtlichen Relevanz nicht weiter kommentieren“. Der „Spiegel“ hatte zudem in der vergangenen Woche aus einer 13-seitigen Expertise eines EnBW-Hausjuristen zitiert, der in dieser Hinsicht ganz eigene Fragen aufwirft. Es geht dabei ebenfalls um die Russland-Geschäfte, die als Geheimsache „Uri“ in Zusammenhang mit einer Betriebsprüfung auftauchen.
„Sicherheiten wurden nicht erbracht“
Die Kontrolleure sollen nach Darstellung des Magazins nicht bereit gewesen sein, die Überweisungen nach Russland als abzugsfähige Ausgaben anzuerkennen. Offen bleibt, warum dies abgelehnt wurde. Es drohe eine Steuerbelastung „von 72 Millionen Euro, inklusive Zinsen“, heißt es weiter. Aufhorchen lässt auch, dass es die EnBW-Juristen offenbar geschafft hatten, dass die heikle Angelegenheit nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurde.
Die Studie von Freshfields beschäftigt sich eingehend mit den formalen Verfehlungen führender EnBW-Mitarbeiter. Dem noch im Amt befindlichen Technik-Vorstand Hans-Josef Zimmer und dem inzwischen pensionierten GKN-Geschäftsführer Heni werden dabei ebenso wie dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Obrigheim-Betreibergesellschaft EnKK, Thomas Hartkopf, sowie Konrad Schauer, technischer Geschäftsführer des AKW Obrigheim, eine Vielzahl von Verstößen gegen das Sorgfalts- und das Legalitätsprinzip vorgeworfen. Besonders Heni und Zimmer werfen die Prüfer vor, sie hätten vielfach Aufsichtsräte umgangen, ihre Kompetenzen überschritten und die Rechtsvorschriften missachtet. So hätten sie Verträge für EnBW-Gesellschaften unterzeichnet, für die sie nicht vertretungsberechtigt waren. Die Studie diente offenkundig zur Vorbereitung von Schadensersatzklagen gegen die Manager in einer Höhe von insgesamt 146 Millionen Euro.
Auch werden Honorarzahlungen in Millionenhöhe für Expertisen und nicht erbrachte Leistungen inkriminiert, deren Sinnhaftigkeit die Freshfields-Anwälte nicht nachvollziehen konnten. So zahlte die EnBW am 5. Oktober 2006 an die Bykov-Firma Pro Life Systems S.A. 46,5 Millionen Euro für angebliche Rückbaudienstleistungen am Kernkraftwerk Obrigheim, die jedoch nie erbracht worden sind. Eine Rückzahlung des Geldes erfolgte nicht. Die russische Energiebehörde Rosatom verweigerte Ausgleichslieferungen und wies „jegliche Verpflichtungen aus dem Geschäft“ zurück. „Sicherheiten“, heißt es weiter, „wurden nicht erbracht.“