In Moskau demonstrieren Menschen für Freiheit. Der Staat schickt die Nationalgarde. Ein Nationalgardist erzählt, was er von den Protesten hält – und mit welcher Taktik seine Einheiten vorgehen.

Korrespondenten: Inna Hartwich

Moskau - Russlands Nationalgarde wird stets gerufen, wenn es brenzlig wird: bei Antiterroreinsätzen, organisierter Kriminalität, Drogenhandel – und bei Demonstrationen gegen die Regierung. Es sind die Männer, die auch bei der Kundgebung für faire Wahlen in Moskau am vergangenen Samstag brachial die Protestmenge auseinandertrieben. „Zu Recht“, sagt einer, der mit Schlagstock, Helm und Schutzschild sein Land „vor den Randständigen verteidigt“.

 

Seit 2016 gehört der knapp 35-Jährige zur Nationalgarde, die dem russischen Präsidenten Wladimir Putin direkt unterstellt ist. Er will einige Tage nach der letzten, „harten Demonstration“, wie er sagt, seine Sicht auf die Proteste erklären, die er für „illegal“ hält, weil sie nach seinem und auch nach dem Verständnis der Stadtregierung nicht genehmigt waren. Er redet offen und will anonym bleiben. „Einfach so schlagen unsere Leute niemanden“, sagt er.

Gewalt ist vom Gesetz erlaubt

Für ihn und seine Kollegen sind die Demonstranten „Gesetzesbrecher, die jegliche Hinweise, sich nicht an einer illegalen Versammlung aufzuhalten, ignorieren und so die Sicherheitskräfte provozieren“. Solche Versammlungen mit harscher Gewalt aufzulösen sei „mit dem Gesetz konform“. Er hält die Tausenden von Moskauern, die für ihre Bürgerrechte auf die Straße gehen, weil Wahlen in Russland mehrheitlich der Legitimierung der Machtverhältnisse dienen und Straßenproteste für viele die letzte Möglichkeit sind, ihren Unmut mit den bestehenden Verhältnissen zu bekunden, für „Nichtsnutze, randständige Typen, die nichts in ihrem Leben erreicht haben und alles auf dem silbernen Tablett präsentiert haben wollen“.

Auch an diesem Samstag wollen die Moskauer wieder protestieren, trotz der Strafverfahren wegen „Massenunruhen“, die die russische Justiz gegen einige von ihnen anstrebt. Die Unzufriedenheit, die sich an einer Wahl entzündet, die stets als kaum bedeutend wahrgenommen worden war, ist längst kriminalisiert worden. Genehmigt ist auch dieser Protest nicht. Die Nationalgarde dürfte wieder hart durchgreifen. Der Nationalgardist, der seit seiner Kindheit in die „Organe“ wollte, wie die Sicherheitsbehörden im Russischen allgemein genannt werden, arbeitet für den Objektschutz. Er bewacht Regierungsgebäude und steht, wie er sagt, „nicht in der ersten Reihe“. Damit nimmt er sich aus der Verantwortung für die Anwendung von Gewalt. Denn es seien die Mitglieder der Innentruppen und des OMON, Russlands polizeilicher Spezialeinheit, die die Demonstranten mit Schlagstöcken vertreiben.

Als Provokation gilt schon die Anwesenheit

„Uns Nationalgardisten geht es immer darum, die Anführer aus der Menge herauszuziehen. Wir greifen die Leute wahllos auf, aber nur, um an diese Anführer zu kommen und so der Bewegung den Atem zu nehmen. Provokateure gehören gestellt.“ Es ist stets das Wort „Provokation“, mit dem auch die Regierung den Einsatz der Gewalt durch die Nationalgarde rechtfertigt. Als „Provokation“ gilt für sie die schlichte Anwesenheit vieler Menschen an einem Ort, wo sie laut Behörden nicht sein dürften. Dass diese friedlich für ihre Rechte als Bürger einstehen, interessiert sie nicht.

„Eine nicht genehmigte Demonstration ist ungesetzlich“, sagt auch der Nationalgardist. „Alle, die da sind, werden aktiv festgehalten. Wenn sie Widerstand leisten und weiter provozieren, beleidigen, uns mit ihren Smartphones aufnehmen, Tausende von Fragen stellen und uns mit der Verfassung kommen und belehren wollen, dann ist die Aufgabe des OMON ganz klar: Er muss diesen Widerstand ausschalten.“ Die EU kritisierte den Einsatz der Gewalt von Moskau als „unverhältnismäßig“. Bei der Demonstration, bei der mehr als 1300 Demonstranten festgenommen worden waren – eine Rekordzahl in den vergangenen Jahren –, seien „fundamentale Bürgerrechte verletzt worden“.

Der Nationalgardist, der seine Sätze oft mit „Sehen Sie“ anfängt, der erklärend wirken will, sagt: „Ich sehe nichts, was unsere Regierung falsch macht. Ich persönlich spüre keine Behinderung meiner Freiheit. Ich gehe arbeiten und lebe mein Leben.“ Bei den Demonstrationen erlebe er stets „Studenten, die den Kick suchen“, und „Standard-Großmütterchen, die zu jeder Demo gehen“. Er nehme die Unzufriedenheit der Menschen nicht ernst. Er nehme sie gar nicht wahr, mag auch er von höherem Gehalt und entspannterem Alltag träumen. „Natürlich will ich mehr verdienen, 50 000 Rubel – etwa 700 Euro – im Monat sind nicht viel. Aber dafür alles infrage stellen, auf die Straße gehen? Das sollen andere machen.“