Sie hat es schon einmal gesagt – und sie macht es wieder deutlich: Angela Merkel möchte sich für ihre Russland-Politik nicht entschuldigen. Ein Jahr ist sie nicht mehr im Amt. Und schon gibt es Zweifel in der CDU, ob sie überhaupt eine große Kanzlerin war.

Korrespondenten: Tobias Peter (pet)

Angela Merkel ist fast ein Jahr nicht mehr im Amt der Bundeskanzlerin. Mit dem Angriff des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Ukraine hat sich die Welt verändert, Merkels Nachfolger Olaf Scholz (SPD) sprach von einer Zeitenwende. Merkel bleibt dabei, ihre Russland- und Ukraine-Politik zu verteidigen.

 

Da sie sich in ihrer Amtszeit viel mit der Ukraine beschäftigt habe, habe sie sich eine friedlichere Zeit nach ihrem Abschied gewünscht, hat Merkel nun dem „Spiegel“ gesagt. Bis zuletzt habe sie an einer Lösung gearbeitet und etwa im Sommer 2021 mit dem französischen Präsidenten Emanuel Macron versucht, ein eigenständiges europäisches Gesprächsformat mit Putin zu schaffen. „Aber ich hatte nicht mehr die Kraft, mich durchzusetzen, weil ja alle wussten: Die ist im Herbst weg.“

Konnte Merkel der Ukraine Zeit erkaufen?

Während Merkels langjähriger Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) längst Fehler bei seiner Russland-Politik eingeräumt hat, bleibt die Kanzlerin bei ihrer Linie, dass schon alles irgendwie richtig war. Der Kurs, den Merkel und Steinmeier gegenüber Russland fuhren, wird heute als zu nachgiebig kritisiert. Merkel hat schon vor Monaten gesagt, sie müsse sich nicht entschuldigen. Ihre Haltung: Man habe mit der damaligen Politik der Ukraine Zeit erkauft, sodass diese sich besser habe rüsten können.

Dass die langjährige Kanzlerin sich partout keinen Zentimeter korrigieren will, ist eigentlich überraschend: War es doch eines der Erfolgsgeheimnisse ihrer 16-jährigen Amtszeit, dass sie sich immer wieder, ohne mit der Wimper zu zucken, korrigierte. Sie nahm den Atomausstieg erst zurück und beschloss ihn dann nach Fukushima wieder. Wenn es darum ging, der SPD ein Thema wegzunehmen, war der CDU-Politikerin selten ein Kurswechsel zu radikal. Sie war – wenn man ihre Haltung in der Flüchtlingskrise beiseite lässt – maximal flexibel.

Besuch in der Puppenstube

In Zeiten des Ruhestands liebt Merkel dagegen anscheinend die Beständigkeit. Ihr neues Büro sehe aus wie das alte, nur kleiner, schreibt der „Spiegel“. Es wirke wie eine Puppenstube, die man für Angela Merkel gebaut habe. Sie bereue es nicht, dass sie nicht noch einmal kandidiert habe, sagt sie. Allein schon innenpolitisch sei die Zeit überreif für jemand Neuen gewesen. Das klingt groß.

Doch wäre es nicht auch ein Zeichen von Größe, sich jetzt für die eigene Russland-Politik zu entschuldigen? Andere sprechen jedenfalls sehr offensiv darüber, was sie aus der eigenen Sicht falsch gemacht haben. Wolfgang Schäuble – früherer Bundestagspräsident, Bundesfinanzminister, Bundesinnenminister – sagte dem „Handelsblatt“ auf die Frage, ob er wegen eigener Fehleinschätzungen zu Russland wütend auf sich selbst sei: „Natürlich. Wir wollten es nicht sehen. Das gilt für jeden.“

Die Wut des Wolfgang Schäuble

Auch wenn es um Angela Merkel geht, ist der CDU-Politiker offenbar nicht frei von Wut. Schäuble hat Merkel lange gedient – oft zähneknirschend, aber immer ohne den letzten Willen, sie zu stürzen. Im Interview zählt Schäuble Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Kohl zu den großen Kanzlern. Angela Merkel nennt er nicht. „Ob Frau Merkel unter den großen Kanzlern einzuordnen sein wird, das ist vielleicht noch zu früh, um das abschließend zu beurteilen“, sagt Schäuble. Der Sozialdemokrat Olaf Scholz, Merkels Nachfolger im Kanzleramt, springt der ehemaligen Regierungschefin hier übrigens bei. In seiner gewohnten hanseatischen Nüchternheit sagt er: „Angela Merkel kann ganz zuversichtlich auf das Urteil der Geschichtsbücher setzen.“