Martina Oberrauch aus Renningen hat zwei Ferienwohnungen für Flüchtlinge aus der Ukraine zur Verfügung gestellt. Sie appelliert an alle, sich unterstützend einzubringen.

Renningen - Was mit individuellen Hilfen für Jugendliche aus Odessa begann, hat sich längst zu einer groß angelegten Hilfsaktion im Kreis Böblingen entwickelt. Unter anderem die Renningerin Martina Oberrauch, deren Kinder auf die Waldorfschule in Böblingen gehen, hat ihren ehemaligen Austauschschüler Viktor (Name von der Redaktion geändert) bei sich aufgenommen, damit er hier sicher ist. Eine andere Mutter kam parallel auf die gleiche Idee. Die Schule startete daraufhin einen Aufruf, wer ebenfalls bereit wäre, Familien oder unbegleitete Jugendliche bei sich aufzunehmen.

 

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„Vor drei Jahren war Viktor bei uns zu Besuch und hielt auch danach noch freundschaftlichen Kontakt“, erzählt Martina Oberrauch. Als sie vom Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs erfuhr, griff sie direkt zum Handy und bot Viktor und dessen Familie an, in eine ihrer Ferienwohnungen zu ziehen. „Keine fünf Minuten später kam die Rückmeldung, dass sie kommen wollen.“

Viktor kommt alleine nach Deutschland

Doch dann entwickelte sich alles anders als geplant. Mit dem Auto konnte die Familie nicht weg aus Odessa. Letztlich konnte sie drei Zugtickets ergattern, mit denen zunächst Viktor zusammen mit seinem Bruder und seiner Schwägerin abreisen sollten. „Der Bruder ist aber schon 28, erwachsene Männer durften da schon nicht mehr ausreisen.“ Auch die Schwägerin blieb deshalb daheim, und Viktor kam alleine nach Deutschland.

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„Ich habe daraufhin die Russischlehrerin meiner Kinder angesprochen, ob Viktor am Unterricht teilnehmen darf, und dass ich eine Wohnung zur Verfügung stellen könnte.“ Die Waldorfschule stellte daraufhin den Kontakt zu Familien in Odessa her. Mittlerweile sind in zwei von Martina Oberrauchs Ferienwohnungen ein Vater mit drei Kindern und zwei weiteren ehemaligen Austauschschülerinnen sowie drei Mütter mit je zwei Kindern eingezogen.

Eigene Erfahrungen mit Krieg und Vertreibung

Das Bereitstellen der Wohnungen stand für die Oberrauchs außer Frage. „Meine Schwiegermutter wurde damals selbst aus dem ehemaligen Reichenberg in Tschechien vertrieben, mein Schwiegervater aus Bozen.“ Ihr eigener Vater kam aus Jugoslawien über Ungarn als Gastarbeiter nach Deutschland. „Und durch meine Arbeit als VdK-Vorstand kenne ich natürlich ebenso viele Geschichten über Krieg und Vertreibung. Es war für uns daher klar, dass wir den Platz zur Verfügung stellen wollen.“

Die Zeit nach der Flucht war und ist für die Menschen nicht einfach, weiß Oberrauch. „Viktor war am Anfang sehr introvertiert.“ Und den angekommenen Vater, einen gelernten Schreiner, treiben vor allem finanzielle Sorgen um. „Seine Werkzeuge musste er leider zurücklassen, da sein ganzes Auto mit Kindern vollgepackt war. Nun ist noch sein Auto kaputt, es fehlt ihm jegliche Existenzgrundlage.“ Auch bei den Lebensmittelkosten habe sich die Familie verkalkuliert.

57 Schüler aus Odessa gehen jetzt auf die Waldorfschule

Inzwischen ist für die Geflüchteten ein gewisser Alltag eingekehrt. Viktor lernt von Martina Oberrauchs Kindern Fahrrad fahren, „und nach der Ankunft der ersten Familie sind er und mein Sohn mit ihnen erst mal los, um zu zeigen, wo man hier einkaufen kann“, erzählt sie. Seit Montag gehen die Jugendlichen alle zusammen in den Unterricht der Böblinger Waldorfschule. 57 Schülerinnen und Schüler aus Odessa wurden zu Wochenbeginn dort eingeschrieben. „Ich bekomme außerdem viel Unterstützung von der Stadtverwaltung.“ Eine russische Kollegin hilft ihr bei wichtigen Übersetzungsfragen des Alltags, „und ich erhalte von allen Seiten Angebote, ob wir noch jemanden zum Übersetzen brauchen“.

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Ihr sei es wichtig, diese Erfahrungen zu teilen und den Menschen damit zu zeigen: „Traut euch das ruhig zu.“ Angst vor Überforderung brauche niemand zu haben, der bereit ist, einen Geflüchteten bei sich aufzunehmen. „Die Menschen sind natürlich angespannt, aber nicht traumatisiert, alle sind offen und aufgeschlossen.“ Sie wünsche sich, dass jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten etwas beiträgt. „Jeder kann etwas tun, auch wenn er keine freie Wohnung hat.“

Mehr zur Hilfsaktion der Waldorfschule Böblingen und wie man selbst helfen kann: www.familienspielraum.de/odessa