Ungewöhnlicher Konflikt in Russland: Die Zentralregierung in Moskau und ihre Statthalter auf der Halbinsel Krim streiten um Hilfsgelder.

Moskau - Das Ansinnen verschlug der russischen Regierung fast die Sprache. Bei einem Runden Tisch in Moskau, bei dem es um die Entwicklung der Krim ging, verlangte der Verwaltungschef der Schwarzmeerhalbinsel, Sergei Aksjonow, Vollmachten, Fördergelder ohne Abstimmung mit der Zentralregierung in Moskau ausgeben zu dürfen.

 

Im Sommer 2014 – vier Monate nach dem Russland-Beitritt der Krim – hatte Moskau ein Entwicklungsprogramm für die Region beschlossen, mit dem die marode Infrastruktur modernisiert und der Lebensstandard der knapp zweieinhalb Millionen Einwohner bis 2020 auf russisches Niveau angehoben werden soll. Dafür sind 688 Milliarden Rubel eingeplant, fast neun Milliarden Euro. Zwei Brücken sind die mit Abstand größten Posten. Eine soll schon 2018 die von der Ukraine umschlossene Halbinsel dauerhaft mit dem viereinhalb Kilometer entfernten russischen Festland über Straße und Schiene verbinden. Dazu kommt eine Energiebrücke: ein Seekabel, das von der südrussischen Taman-Halbinsel aus die Krim spätestens ab April 2016 stabil mit Strom versorgen soll.

Umgesägte Strommasten

Gegner des Russland-Beitritts hatten Ende November die Masten einer aus der Ukraine kommenden Hochspannungsleitung umgelegt, über die sich die Krim zu 80 Prozent mit Strom versorgte. Zwei Wochen lang gab es für die Haushalte nur stundenweise Strom. Allein für dieses Jahr hält das Entwicklungsprogramm stolze 16 Milliarden Rubel vor, etwa 208 Millionen Euro. Krim-Verwaltungschef Aksjonow indes warf der Zentralregierung vor, bisher nicht eine Kopeke überwiesen zu haben, und forderte, die Verteilung der Fördergelder in Eigenregie und ohne Abstimmung mit dem Zentrum vornehmen zu dürfen. Das hat bisher kein russischer Provinzfürst gewagt.

Beamte der Zentralregierung berappelten sich von dem Schock erst drei Tage später. Die offizielle Erklärung klang wie eine Rechtfertigung. Moskau habe 2015 bereits zwei Milliarden Rubel überwiesen, eine weitere soll bis Jahresende folgen. Der „Rest“ werde in die Bilanzen für das kommende Jahr übernommen, denn Geld gebe es nur für konkrete Projekte, zu denen konkrete Verträge abgeschlossen wurden. Dazu seien bisher umgerechnet nur vier Millionen Euro abgerufen worden.

Keine gewöhnliche Region Russlands

Ein hoher Beamter, der anonym bleiben wollte, ließ gegenüber der Nachrichtenagentur Tass seinem Ärger freien Lauf. Qualität und Professionalität der Institutionen auf der Krim würden sehr zu wünschen übrig lassen und der Regierung ernste Sorgen bereiten. Bei den Kontrollen, die Ministerpräsident Dmitri Medwedew angeordnet hat, werde es nicht bleiben, fürchten Beobachter. Es werde Rügen und womöglich „handfestere Maßnahmen“ geben. Dies, so der Sprecher von Kremlchef Wladimir Putin, sei nicht korrekt. Es gäbe Probleme, aber die würden gemeinsam angepackt.

Zwar hat der forsche Aksjonow inzwischen den Rückwärtsgang eingelegt und Fehler – eigene und die seiner Subalternen – eingeräumt. Doch sein Beritt ist genauso wenig eine gewöhnliche Region Russlands wie die nordkaukasische Teilrepublik Tschetschenien, die Moskau nach der Rückkehr in den Schoß von Mutter Heimat aufpäppelte wie jetzt die Krim. Schon deshalb verhandeln beide Verwaltungschefs – Aksjonow und Ramzan Kadyrow – mit der Zentralregierung sehr selbstbewusst. Beide haben auch starken Rückhalt bei den lokalen Eliten.

Zwar wurde das Krim-Parlament im September 2014 nach russischem Recht neu gewählt. Das Rennen machten dennoch Aksjonows Getreue. Putin, so heißt es, halte sich an den Moralkodex der Tschekisten und vergesse Treue so wenig wie Verrat. Wegen seiner tragenden Rolle bei der Wiedervereinigung der Krim mit Russland sei Aksjonow trotz aller Fehlleistungen – vorerst – „unversenkbar“.