Olesja Romme, CDU-Politikerin und Vertreterin der Russlanddeutschen in Lahr, beschreibt die Folgen des Ukrainekrieges für Russischstämmige.

Lahr - Knapp 48 000 Menschen leben im südbadischen Lahr, etwa ein Viertel davon hat Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion. Vor 30 Jahren, als die kanadischen Soldaten die Stadt verließen, wurden in den Wohnungen Spätaussiedler untergebracht. Olesja Romme von der Lahrer Landsmannschaft der Deutschen aus Russland spricht im Interview darüber, wie diese Bevölkerungsgruppe zum Ukraine-Krieg steht.

 

Frau Romme, welche Gefühle löst der Krieg Russlands gegen die Ukraine in Ihnen aus?

Zunächst herrschte Sprachlosigkeit, dann habe ich Kontakt zu meinen Freunden in der Ukraine aufgenommen, um mich zu vergewissern, dass es ihnen gut geht. Auch mit meinen Bekannten in Russland habe ich gesprochen, um zu erfahren, was sie darüber denken. Alle sagten, dass sie den Angriff auf ihr Nachbarland nicht erwartet hätten und sie niemand gefragt habe. Niemand von ihnen will den Krieg.

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Tut denn die Lahrer Landsmannschaft etwas, um den Kriegsopfern in der Ukraine zu helfen?

Ja, wir haben uns intern beraten, wie wir sofort und direkt helfen können. Kundgebungen können zwar wichtige moralische Unterstützung bieten. Wir haben unser Augenmerk aber auf Taten gelegt. Wir sammeln Geld und Sachspenden. Mithilfe der Lahrer Orthodoxen Gemeinde „Heiliger Geist“ und Erzpriester Vladislav Dikhanov konnten einige Menschen aus der Ukraine nach Lahr gebracht werden. Im Moment suchen wir nach Kleintransportern, um weitere Flüchtlinge hier in Sicherheit bringen zu können, sowie größere Fahrzeuge, um die Sachspenden zu transportieren. In einem zweiten Schritt sind einige Mitglieder parallel dabei, eine Friedensbewegung zu organisieren.

In Lahr gibt es auch Deutsche aus Russland, die sich anders – pro Putin – äußern. Ist das nur eine Minderheit?

Die Sichtweisen der Menschen in der Community der Deutschen aus Russland unterscheiden sich nicht von den Sichtweisen der Gesamtbevölkerung. Es gibt Leute, die sehen Wladimir Putin als Aggressor und Diktator, während andere sagen, die Nato habe Versprechen gegenüber Russland gebrochen und Putin verteidige sich nur. Vor allem geht es dabei darum, dass in Donbass und Luhansk schon seit acht Jahren Krieg herrscht, was bis vor den Ereignissen am 24. Februar keinen sonderlich interessierte. Doch noch einmal: Egal, welche Ansichten jemand vertritt, niemand heißt den Krieg gut. Viele haben Bekannte, Freunde oder sogar Verwandte im einen oder anderen Land. Das, was jetzt passiert, ist einfach fürchterlich.

Zuletzt wurden in Lahrer Straßen, in denen überproportional viele Spätaussiedler leben, Flugblätter mit Putin-Propaganda verteilt.

Die Verantwortlichen sollen vom „Bund gegen Anpassung“ kommen, eine linksradikale Politsekte, die vor allem im Raum Freiburg agiert. Vermutlich war man der Meinung, Spätaussiedler, denen die Nähe zu Putin gerne pauschal nachgesagt wird, jetzt für sich gewinnen zu können. Ich denke aber, diese Aktion läuft ins Leere, zumindest ist mir nicht bekannt, dass irgendjemand von den Spätaussiedlern das ernst genommen hätte.

Gibt es in Lahr Anfeindungen gegen Menschen mit russischen Wurzeln?

Ja, in den vergangenen Tagen erreichten uns sehr viele Fälle dieser Art, auch und vor allem hier in Lahr. Der Krieg in der Ukraine ist an sich schon schlimm genug und zutiefst erschütternd, aber das, was wir hier direkt vor unserer Haustür erfahren, übersteigt alle Vernunft. Seit einigen Tagen erleben wir Hetze, Anfeindungen und Diskriminierung gegenüber Deutschen aus Russland und russischen Staatsbürgern. Wenn das nicht sofort unterbunden wird, könnte sich in Deutschland ein großer interner Konflikt entwickeln.

Wie äußern sich Anfeindungen ganz konkret?

Es werden Kinder in der Schule gemobbt, im Job gibt es Anfeindungen von Arbeitskollegen und sogar Vorgesetzten. Dabei haben viele gar keine Wurzeln in Russland. Deutsche aus Russland ist ein allgemeiner Begriff und schließt auch Menschen ein, die aus Kasachstan oder anderen ehemaligen Sowjetstaaten nach Deutschland kamen. Wir müssen den Leuten hierzulande klarmachen, dass diese Menschen genauso wie die Menschen in Russland oder in der Ukraine nichts für den Krieg können.

Zur Person: Olesja Romme

CDU-Politikerin
 Olesja Romme wurde in Kasachstan geboren, seit 1991 lebt sie nach der Aussiedlung in Deutschland. Die 41-Jährige kandidierte 2014 und 2019 auf der CDU-Liste für den Lahrer Gemeinderat sowie 2017 für den Bundestag. Für die Christdemokraten ist sie Aussiedlerbeauftragte im Ortenaukreis.

Unternehmerin
Beruflich ist Romme als Unternehmerin unter anderem im Transportgewerbe tätig. Sie ist geschieden und hat eine Tochter.