Die Stadt würdigt eine Tat, die den Ort wahrscheinlich vor der Zerstörung durch Bomben bewahrt hat.

Rutesheim - Am 20. April 1945 haben an dieser Stelle drei unerschrockene Rutesheimer Bürger, namentlich Friedrich Kärcher, Wilhelm Binder und Rudolf Hettich, unter Einsatz ihres Lebens wesentlich dazu beigetragen, dass es in der Gemeinde Rutesheim beim Einmarsch der französischen Truppen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges kein weiteres Blutvergießen gab und die weitere Zerstörung von Gebäuden unterblieb. Die Stadt Rutesheim gedenkt in Dankbarkeit dieser mutigen Tat.“ Diese Gedenktafel bringt die Stadt an der Friedhofsmauer in der Gebersheimer Straße an. Das hat der Gemeinderat auf seiner jüngsten Sitzung beschlossen.

 

Was haben die drei Männer getan, dass ihrer nun gedacht wird? Sie sind im Bereich des Friedhofes mit weißen Fahnen auf die anrückenden französischen Truppen zugegangen und haben mit diesen Verhandlungen aufgenommen – diese sind darauf ohne weitere Kriegshandlungen in das Dorf eingezogen. Damit sind die drei nicht nur Gefahr gelaufen, in Kampfhandlungen zu geraten, sondern auch von fanatischen Nazi-Anhängern im Falle eines Rückzugs der Alliierten als Verräter standrechtlich hingerichtet zu werden, weil sie nicht, wie vom „Führer“ angeordnet, den Ort bis zum „letzten Tropfen Blut“ verteidigten.

Der vermeintliche Hamburger wurde in Rutesheim geboren

Friedrich Kärcher ist nach Kriegsende von der Militärregierung als Bürgermeister eingesetzt worden und hat dieses Amt in dieser sehr schwierigen Zeit bis zu seinem Rücktritt am 26. Februar 1946, nach der ersten Gemeinderatswahl am 27. Januar 1946, ausgeübt. In der Rutesheimer Stadtchronik von 2008 hat der Autor Herbert Vincon den Bürgermeister Friedrich Kärcher bei etlichen damaligen Vorgängen wie die Beseitigung der kriegsbedingten Zerstörungen, Wiederaufbau, Entlassung von Parteigenossen aus öffentlichen Ämtern, der Unterbringung von Heimatvertriebenen, Bereitstellung von Brennholz und Lebensmitteln, Wiederaufbau des Dorflebens positiv erwähnt.

Vincon schrieb auch, dass Kärcher „wohl gebürtiger Hamburger sei“. Doch nun hat sich der 75-jährige Enkel Armin Kärcher aus Hamburg gemeldet mit einer Richtigstellung: Friedrich Kärcher wurde am 23. August 1880 in Rutesheim geboren, ist dann in jungen Jahren als Tischler-Geselle auf Wanderschaft gewesen, hat in Norddeutschland seine spätere Ehefrau kennengelernt, die er 1907 in Hamburg geheiratet hat. Bis 1943 hat er in einer Hamburger Werft gearbeitet. Nachdem die Familie im Juli 1943 „ausgebombt“ wurde, kehrte er im Alter von 63 Jahren mit seiner Familie in seinen Geburtsort Rutesheim zurück. Der Enkel wandte sich auch an die Stadtverwaltung mit dem Antrag, die Verdienste seines Großvaters an jenem 20. April 1945 zu würdigen.

Doch es stellte sich heraus, dass es außer der Aussage von Armin Kärcher, der seinerzeit selbst erst fünf Jahre alt war, keine dokumentierten Zeitzeugenberichte oder Nachweise der genauen Vorkommnisse an diesem Tag gibt. Vor diesem Hintergrund hat die Stadtverwaltung den Arbeitskreis „Geschichte vor Ort“ eingeschaltet, dessen Vorsitzender Harald Schaber ist, der Fraktionschef der UBR im Rutesheimer Gemeinderat. Der hat die Recherchen aufgenommen und die Ergebnisse nun im Gremium vorgestellt.

Augenzeugen gibt es keine mehr

„Wir haben das zunächst sehr zurückhaltend und reserviert behandelt, weil ja kein keine Belege vorliegen“, sagte Schaber. Es gebe mehrere Schilderungen und Augenzeugenberichte vom Einmarsch der französischen Truppen am 20. April 1945 in Rutesheim, doch in keinem werde ein solches Vorkommnis beim Friedhof erwähnt. Deshalb habe er im Amtsblatt um Hinweise in der Bürgerschaft gebeten. Doch es gab keine Resonanz.

Daraufhin hat Schaber mit mehreren älteren Rutesheimern gesprochen. „Tatsächliche Augenzeugen konnte ich nicht finden, allerdings konnten zwei Bürger die Version von Armin Kärcher vom Hörensagen bestätigen“, schilderte der Vorsitzende des Arbeitskreises „Geschichte vor Ort“. Demnach seien drei Männer mit weißen Fahnen beim Friedhof den französischen Truppen entgegengetreten und hätten Verhandlungen geführt. Einer der befragten Rutesheimer Bürger habe dabei auch die zwei anderen Namen genannt – Wilhelm Binder und Rudolf Hettich.

„Bei einem Besuch von Armin Kärcher in Rutesheim hat dieser auch glaubhaft angegeben – auch wenn er damals erst fünf Jahre alt war – als Kind vom Fenster aus die Begebenheit selbst gesehen zu haben“, erläuterte Schaber. Für diese Version des Geschehens spreche auch der Umstand, dass in der Folge der Verhandlungsführer Friedrich Kärcher als Bürgermeister, Wilhelm Binder als Stellvertreter und Rudolf Hettich als Beigeordneter eingesetzt wurden. Das war gang und gäbe, dass die anrückenden Truppen den ersten, den sie antrafen und der ihnen vertrauenswürdig erschien, zum Bürgermeister machten – Leonberg hatte so für kurze Zeit sogar zwei Bürgermeister, weil zwei verschiedene französische Einheiten einrückten.

Kurzbiografie zum Stadtjubiläum geplant

Der Rutesheimer NS-Bürgermeister Friedrich Raich, NSDAP-Mitglieder und auch einige Gemeinderäte waren zuvor geflohen. Es gibt auch eine offizielle Bescheinigung des damaligen Landrats und der US-Militärregierung im Landkreis Leonberg, dass Friedrich Kärcher beim Einmarsch der französischen Truppen unter Einsatz seines Lebens wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Gemeinde Rutesheim unversehrt blieb. Diese wurde ihm im Juni 1946 ausgestellt, weil er als ehemaliger Hamburger Bürger in die englische Besatzungszone zurückgehen musste.

„Viele befragte Bürger haben auch Kritisches über die kurze Amtszeit von Bürgermeister Kärcher berichtet“, sagte Schaber. So habe er auf Anordnung der Militärregierung eine Liste von fast 30 heimgekehrten Soldaten erstellen müssen, die sich auf dem Rathaus einfinden mussten und in mehrjährige französische Kriegsgefangenschaft gehen mussten. Im Dorf ist es auch nicht auf Begeisterung gestoßen, dass Wohnungen beschlagnahmt und Arbeitseinsätze geleistet werden mussten.

Schabers Fazit: „Der mutige Einsatz dieser drei Männer am 20. April erscheint aus unserer Sicht zwischenzeitlich belegt. Wir ehren nicht den Bürgermeister Friedrich Kärcher für seine Amtszeit, sondern diese drei Männer für ihr mutiges Verhalten an diesem Tag.“ Was sonst geschehen wäre, werde immer spekulativ bleiben.

Um die Verdienste von Friedrich Kärcher zu würdigen, wird Harald Schaber in seinem Buch „Menschen“, das im Herbst 2016 erscheinen wird, eine Kurzbiografie des ehemaligen Bürgermeisters aufnehmen. Dieses Buch wird voraussichtlich die Kurzbiografien von 46 Personen aus dem Ort enthalten. Zudem wird ein Sprechtext für die historische Ausstellung in der Christian-Wagner-Bücherei aufgenommen. Diese wird anlässlich des Stadtjubiläums 2017 gezeigt. Den Text wird es dann auch in gedruckter Form ausgegeben.