S-21-Geologin Kirsten Bauer Immer noch kein Tunnelblick
Die Geologin Kirsten Bauer und ihr neunköpfiges Expertenteam managen nach dem Rohbau die Übergabe der Stuttgart-21-Röhren im Stadtgebiet an die Gleisbauer.
Die Geologin Kirsten Bauer und ihr neunköpfiges Expertenteam managen nach dem Rohbau die Übergabe der Stuttgart-21-Röhren im Stadtgebiet an die Gleisbauer.
Stuttgart - Das vermeintliche Licht am Ende des Tunnels stellt sich bei längerer Betrachtung als Gegenverkehr dar. Kleinere Baustellenfahrzeuge kommen auf Kirsten Bauer zu – im Schritttempo. „Die durchfahrenden Züge werden hier am Tunnelportal auf den Fildern 250 Stundenkilometer erreichen“, sagt die Geologin, die diese hohe Geschwindigkeit auch fast ein bisschen bedauert. „Für die Leute, die im Zug sitzen, ist es zu schnell und zu dunkel, um zu sehen, was für eine Arbeit hier drinsteckt“, meint die 34-Jährige. Ihre Arbeit steckt hier auch drin.
Kirsten Bauer leitet ein neunköpfiges Team aus Geologen, Umweltwissenschaftlern und Ingenieuren. Zusammen managen sie im Moment die sogenannte Rohbauübergabe, damit demnächst begonnen werden kann, den Tunneln ein Innenleben einzuhauchen – mit den Gleisen und Leitungen, beispielsweise.
Kirsten Bauer ist Wächterin der fünf Tunnel. Was sich anhört wie eine Fantasy-TV-Serie, ist Stuttgart-21-Realität. Die junge Frau aus Kornwestheim, die mittlerweile in Leonberg wohnt, ist mit ihren Kolleginnen und Kollegen neben den Brücken vor allem für die S-21-Röhren im Stadtgebiet zuständig. Mit 9,5 Kilometern ist der Fildertunnel dabei die längste Unterführung, und in ihr ist gerade Kirsten Bauer vom Fasanenhof kommend stadteinwärts unterwegs. Einen Kontrollgang könnte man die Tour nennen, auf der sie den Rohbau inspiziert und mit Kollegen über den Fortgang der Arbeiten spricht. „Wir liegen gut im Plan“, sagt die Projektmanagerin – zuversichtlich, dass 2025 die ersten Züge von Ulm nach Stuttgart fahren werden und andersrum. Damit dies möglich ist, müssen auch die Abnahmedokumente geprüft und erfasst werden, was gerade viel Zeit in Anspruch nimmt. Und sich doch eher nach einem Bürojob anhört, was von Kirsten Bauer bestätigt wird. „Trotzdem möchte ich mir auch immer wieder vor Ort ein Bild machen“, sagt sie und grüßt einen vorbeikommenden Tunnelbauer. Für den ist der Anblick einer Frau auf der Baustelle und unter Tage schon lange nichts Außergewöhnliches mehr. „Bei uns arbeiten vergleichsweise viele Frauen“, sagt Kirsten Bauer, die gerade mehr Ingenieurin als Geologin ist, wenn es zum Beispiel darum geht, welcher Druck auf den bis zu einen Meter dicken Innenschalen der Röhren lastet. Die Bodenbeschaffenheit, ob nun der Untere Bunte Mergel oder der Gipskeuper, spielt indes nicht mehr wie anfangs die große Rolle.
Genauso ist in den Hintergrund getreten, ob auf der Baustelle nun er oder sie die Anweisung gibt. Zumal im Tunnelbau eine Frau sowieso über allem steht. Die heilige Barbara, die Schutzpatronin aller Bergleute. Und in dieser Angelegenheit handelt es sich keineswegs um Tunnelbaufolklore. Welche Bedeutung die heilige Barbara, eine um das Jahr 300 vom eigenen Vater enthauptete Christin, bei den häufig aus Österreich und Polen stammenden gläubigen Mineuren hat, wird immer am 4. Dezember deutlich. Coronabedingt musste am Barbaratag auf die Feierlichkeiten erstmals verzichtet werden, was den Arbeitern schwer aufs Gemüt geschlagen hatte im vergangenen Jahr.
Rund zwei Monate später macht die Tunnelfrau Kirsten Bauer dagegen einen sehr munteren Eindruck und erzählt von ihrem Studium in Frankfurt und Darmstadt und über den Reiz, der für sie von Stuttgart 21 seit ihrem beruflichen Einstieg in das Projekt im Jahr 2017 ausgeht: „Zum einen begeistert mich das Gefühl, meinen Beitrag zu einem technisch so besonders komplexen Projekt leisten zu können, zum anderen faszinieren mich die Möglichkeiten, die der Landeshauptstadt dadurch städtebaulich eröffnet werden.“ Sie ergänzt: „Auch der Eisenbahnverkehr der Zukunft profitiert von Stuttgart 21, womit beispielsweise der geplante Deutschland-Takt erst möglich gemacht wird.“
Ihre Arbeit hat aber nicht zu einem Tunnelblick geführt. Sie registriert, dass das Projekt von vielen weiterhin kritisch gesehen wird. Auch in ihrem Bekanntenkreis gehen die Meinungen auseinander. „Diese Gespräche sind aber immer konstruktiv und bringen einen weiter“, sagt sie und muss sich gegen den Krach einer Putzmaschine Gehör verschaffen, die den Staub an der Röhrenwand beseitigt. Irgendwann kommt auch das Röhren der Turbinen für die Frischluftzufuhr dazu.
Hier scheint alles seine Ordnung zu haben. Kirsten Bauer macht sich auf den Rückweg und sieht wieder Licht am Ende des Tunnels, diesmal ist es das Tageslicht.