Der Erfinder der Schnellbahntrasse Stuttgart-Ulm, Gerhard Heimerl, mahnt die politisch Verantwortlichen. Sie müssten unbedingt vermeiden, dass man sich beim Realisieren von S 21 Möglichkeiten zur Stärkung des Schienenahverkehrs verbaue.
Stuttgart - Die Grünen und die CDU feilen in den Koalitionsverhandlungen noch an einer Grundlage für eine gemeinsame Verkehrspolitik im Land – und werden jetzt mit einem drastischen Appell konfrontiert, die Zukunftsfähigkeit des Schienenverkehrs in der Region Stuttgart und großen Teilen des Landes sicherzustellen. Die Mahnung kommt von keinem Geringeren als Professor Gerhard Heimerl, dem Erfinder der Hochgeschwindigkeitstrasse Stuttgart-Ulm und Ideengeber für das Bahnprojekt Stuttgart 21.
Im Interview mit den „Stuttgarter Nachrichten“ hat Heimerl die politisch Verantwortlichen in Land, Stadt und Region aufgefordert, wichtige Chancen für die Stärkung des Schienennah- und -regionalverkehrs nicht zu verbauen, sondern bei der Realisierung von S 21 bauliche Vorkehrungen zu treffen und Optionen zu wahren.
Plädoyer für kreuzungsfreie Kurve bei Wendlingen
So sollte seiner Meinung nach bei Wendlingen im Kreis Esslingen zügig eine zweigleisige kreuzungsfreie Kurve gebaut werden, die Regionalzügen künftig die Fahrt aus Richtung Tübingen/Reutlingen zum Flughafen und zum Stuttgarter Hauptbahnhof ermöglicht, ohne dass es im Betrieb zu Konflikten mit den Fernzügen auf der Hochgeschwindigkeitstrasse Stuttgart-Ulm kommt. Wenn man jetzt gleich baue, komme man mit „vielleicht 30 Millionen Euro“ aus, glaubt Heimerl. Wenn man später nachrüsten müsse, betrage der Aufwand ein Mehrfaches.
Außerdem legt Heimerl der Politik für die Koalitionsvereinbarung bauliche Ergänzungen des Schienennetzes und Vorbereitungen von Zusatzmaßnahmen nördlich des Stuttgarter Hauptbahnhofs ans Herz. Hier geht es namentlich um zwei weitere Gleise zwischen dem Nordbahnhof und Zuffenhausen für den vom Norden kommenden Zugverkehr sowie um Verbindungen der Gleise im Dreieck zwischen Feuerbach, Bad Cannstatt und Hauptbahnhof.
Der Betrieb auf der bisherigen Gäubahnstrecke in Stuttgart dürfe nicht einmal vorübergehend eingestellt werden, wenn die Gäubahnzüge nach der Fertigstellung von Stuttgart 21 nicht mehr über diese Panoramastrecke verkehren, sondern über Neubaustrecken am Flughafen, mahnte Heimerl. Sonst wäre mit Einsprüchen und Protesten gegen die spätere Wiederaufnahme des Betriebs zu rechnen. Heimerl hält die Gäubahnstrecke aber für notwendig, damit eine zweite Verbindung für die S-Bahn neben der stark ausgelasteten Stammstrecke durch die Innenstadt entstehen und der Nahverkehr gestärkt werden kann. Diese zweite Stammstrecke sei mit überschaubarem finanziellen Aufwand durch bauliche Ergänzungen möglich, sagte Heimerl. Zum Vergleich: In München redet die Bahn über Kosten von drei Milliarden Euro für eine zweite Stammstrecke.
Stichverbindung soll geprüft werden
In diesem Sinn hat sich in dem Doppelinterview der „Stuttgarter Nachrichten“ nicht nur der emeritierte Professor der Universität Stuttgart geäußert, sondern auch Klaus Amler, ein Grünen-Mitglied und S-21-Gegner der ersten Stunde. Während Amler auch einige oberirdische Gleise im bestehenden Kopfbahnhof für S-Bahn- und Regionalzüge erhalten möchte, wahrte Heimerl Distanz zu diesem Kombibahnhof-Konzept, obwohl er 1988 ursprünglich selbst eine Kombilösung empfohlen hatte. Heimerl kann sich jedoch vorstellen, eine grüne Schneise im künftigen Rosensteinviertel zwischen der geplanten S-Bahn-Station Mittnachtstraße und dem Hauptbahnhof für eine Zukunftsoption freizuhalten, falls eine unterirdische Stichstrecke mit Zubringerdiensten gebraucht wird. Diese Lösung, die der SSB-Chef Wolfgang Arnold bereits ins Gespräch gebracht hatte, solle man prüfen, sagte Heimerl.