Wie gut greifen die Notfallpläne, wenn eine Bahn im Tunnel havariert und der Zug evakuiert werden muss? Ein Vorfall am Samstag lässt eher Schlimmes befürchten.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Hunderte Fahrgäste einer havarierten S-Bahn stapfen durchs Gleisbett aus einem Tunnel ans Tageslicht – und wo ist die Feuerwehr? Die weiß gar nichts davon. Die Evakuierung einer S-Bahn der Linie S 2 am Samstagnachmittag am Stuttgarter Hauptbahnhof ist nicht nur chaotisch verlaufen. Offensichtlich gab es auch erhebliche Kommunikationsmängel. Denn die Bahn hat weder die Bundespolizei noch die Feuerwehr von dem Zwischenfall informiert. Die Polizei hatte per Notruf 110 von einer Passagierin davon erfahren.

 

Dass Fahrgäste in einem Bahntunnel leichtsinnig aus einem liegen gebliebenen oder gar brennenden Zug klettern und über die Gleise zu flüchten – diese Szenario versuchen Rettungskräfte zu verhindern. Zu gefährlich ist es, wenn abgerissene Oberleitungen einen Zug unter Strom setzen oder andere Züge auf dem Gegengleis heranrauschen. Doch am Samstagnachmittag passierte genau das. Hunderte Fahrgäste tapsten auf den Gleisen herum, weil sie nicht länger in einer S-Bahn ausharren wollten oder konnten. Was war schiefgelaufen?

Am Anfang lachen noch alle

Kurz nach 14 Uhr startet eine S-Bahn S 2 von der unterirdischen Station Hauptbahnhof in Richtung Bad Cannstatt – voll gefüllt vor allem mit Wasenbesuchern. Noch vor der Ausfahrt aus dem Tunnel geht nichts mehr. Der Antrieb streikt. Software-Probleme, heißt es. Der Lokführer fährt das Bordsystem runter, versucht einen Neustart. Immer wieder, aber vergebens.

„Anfangs haben noch alle gelacht“, sagt ein 44-jähriger Fahrgast. Es habe Durchsagen gegeben, dass man sitzen bleiben und sich gedulden solle. „Doch dann ist die Luft immer stickiger geworden“, sagt der Betroffene, „ich war nahe dran, mit einem Nothammer die Scheibe einzuschlagen“.

Reisende verständigt die Bundespolizei

Offenbar hat das Notfallmanagement darüber nachgedacht, die Bahn zu evakuieren und abschleppen zu lassen. Doch es ist eine Reisende, die schließlich die Bundespolizei verständigt – das Gespräch wird um 14.27 Uhr protokolliert. „Die Reisende hat berichtet, dass es sehr stickig in der S-Bahn sei“, sagt Bundespolizeisprecher Sebastian Maus. „Ein technischer Defekt bei einer S-Bahn ist noch keine polizeiliche Lage“, sagt Maus – wohl aber das, was dann passiert. Etwa 200 Fahrgäste klettern ins Freie – und begeben sich damit in Lebensgefahr. Denn woher wissen sie, dass da nicht noch ein Zug heran rauscht? Oder eine abgerissene Oberleitung die Umgebung unter Strom setzt?

Zehn Beamte der Bundespolizei rücken an, um Schlimmeres zu verhindern. Der Zugverkehr wird eingestellt. „Gefahrenabwehr“ ist nun gefordert, die Irrläufer werden gesucht und gesammelt. „Im dämmrigen Tunnel kann man leicht stürzen und sich verletzen“, sagt Maus. Die Beamten leiten etwa 800 Fahrgäste aus dem Zug über die Rampe nach draußen.

Für Bahn ist Vorfall keine Situation für Notruf

Die Feuerwehr, bei Bränden und Evakuierungen zuständig, erfährt erst um 14.47 Uhr von dem Vorfall. Nicht von der Bahn. Von der Bundespolizei. Feuerwehr-Einsatzleiter Oliver Raffel rückt aus, ist aber eher nur Zuschauer. „Als wir ankamen, war das meiste schon vorbei“, heißt es auf Anfrage. Ein betagtes Ehepaar bleibt im Zug, der um 15.35 Uhr wieder mit halber Kraft fährt.

Warum hat die Bahn weder Feuerwehr noch Bundespolizei verständigt? „Die Störung war keine Situation, um einen Notruf abzusetzen“, sagt ein Bahnsprecher. Normalerweise hätte man die Evakuierung mit eigenem Personal abwickeln können. Wenn es da nicht die eigenmächtigen Fahrgäste gegeben hätte. Doch die gibt es immer wieder: Etwa im Juni 2017 im Stadtbahntunnel am Hauptbahnhof oder im Februar 2015 im S-Bahn-Tunnel vor dem Halt Universität, als Oberleitungsschäden die Züge aufhielten. Pures Glück, dass niemand zu Schaden kam.