Vor gut einer Woche ist ein 25-Jähriger in Stuttgart auf ein S-Bahn-Gleis gestürzt – mit zwei Promille Alkohol im Blut. Er blieb unverletzt. Wir haben mit ihm gesprochen.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Sebastian Binder (Name geändert) geht wohl schon bald zu einem Tätowierer. Kein Herzchen, keinen Frauennamen, keinen Totenkopf wird er sich stechen lassen. Sondern schlicht ein Datum: 7. November 2014. Denn dieser Tag ist sein zweiter Geburtstag – der Tag, an dem er vor eine S-Bahn auf die Gleise fiel, erfasst wurde, und überlebte. „Ich hatte einfach nur Glück im Unglück, das ist die einzige Erklärung, die ich habe“, sagt der 25-Jährige aus Herrenberg. Pathetische Begriffe wie Schicksal oder Vorsehung liegen ihm nicht: „Ich bin weder abergläubisch noch sehr gläubig“, so begründet er seine Haltung.

 

Von dem Unfall weiß Sebastian Binder überhaupt nichts mehr. Er war an jenem Freitag mit ehemaligen Studienkollegen unterwegs, nach einem späten Mittagessen gegen halb drei, zu dem das erste Glas Wein floss, blieben die jungen Männer sitzen, tranken und redeten. Über früher, das Studium, das Leben, den Job, „und über Sterbehilfe“, sagt Sebastian Binder, und kann inzwischen darüber lachen, dass er wenige Minuten nach dem Gespräch über dieses Thema einen Unfall hatte, der ihn das Leben hätte kosten können.

Zwei Promille im Blut

Gegen 22 Uhr verließ der 25-Jährige ohne seine Freunde das Lokal. Volle zwei Promille Alkohol hatte er zu dieser Zeit im Blut. „Aber ich hab mich nicht völlig betrunken gefühlt“, betont er. Weil er seiner Freundin versprochen hatte, um 23 Uhr daheim zu sein, verabschiedete er sich, schrieb der Freundin eine Nachricht mit der Ankunftszeit der S-Bahn, und ging zur Haltestelle. Das waren nur wenige Meter, das Lokal, in dem die Freunde saßen und tranken, liegt direkt an der Haltestelle Feuersee, wo das Unglück geschah.

An die folgenden Minuten zwischen 22 Uhr und 22.45 Uhr kann sich der junge Mann nicht mehr erinnern. Die Bundespolizei hat das Video der Überwachungskamera gesichert, auf dem zu sehen ist, was geschah. Sebastian Binder sitzt zunächst auf einer Bank in der Mitte des Bahnsteigs der Haltestelle Feuersee. Dann steht er auf, geht in Richtung Bahnsteigkante, setzt sich dort hin, als stünde dort eine Bank – und kippt um. Mit dem Genick landet er genau auf der Schiene. Bewusstlos bleibt er liegen. Auf dem Video sieht man, wie eine S-Bahn aus dem Tunnel in die Haltestelle einfährt. Der Fahrer legt geistesgegenwärtig eine Notbremsung ein – kann aber den Zug nicht zum Stillstand bringen. Der Triebwagen erfasst den Kopf des Mannes, und dann geschieht das, was Sebastian Binder: „einfach nur Glück gehabt“ nennt: Der sogenannte Schienenräumer des Triebwagens schiebt den Kopf und den Körper zur Seite. Dabei erleidet der 25-Jährige ein paar Schnittwunden, eine am Hals, eine an der Wange. Eine Gehirnerschütterung, die er sich zuzieht, ist wahrscheinlich eine Folge des Sturzes auf die Schienen gewesen, vermuten die Ärzte. Die Schienenräumer sind normalerweise dafür da, Äste oder Steine von den Gleisen zu schieben. Sebastian Binder haben sie das Leben gerettet. Ohne diese Metallteile, die ihn wegdrückten, wäre sein Kopf wohl von den Rädern dies Zuges erfasst worden.