Chaotische Zustände im Stuttgarter Nahverkehr: die Pannenserie der neuen S-Bahn vom Typ ET 430 löst Empörung aus. Aber nicht nur das Fahrzeug macht Probleme.

Stuttgart - Das vorläufige Ende der Fahrten mit dem neuen S-Bahn-Wagen ET 430 beginnt am Dienstag kurz nach halb fünf Uhr nachmittags. Um 16.31 Uhr bleibt ein Zug in der Haltestelle Universität mit mehreren geöffneten Türen stehen – eine Panne, die auch die mitfahrenden Techniker des Herstellers Bombardier nicht sofort beheben können. Der Zug muss geräumt werden und steht bis 16.57 Uhr. „Das hatte dramatische Auswirkungen“, räumt der Stuttgarter S-Bahnchef Hans-Albrecht Krause ein. Zahlreiche S-Bahnen und Regionalzüge fahren nicht oder nur verspätet. Fahrgäste berichten der StZ vor allem auf der S-Bahn-Linie 1 von „chaotischen Zuständen“: auf den Hinweistafeln angekündigte Züge kommen nicht, dafür tauchen nicht angeschriebene S-Bahnen auf. Fahrende Züge sind überfüllt.

 

Die Fahrgäste reagierten auf Facebook und in E-Mails mit Empörung und Unverständnis auf die erneute Panne. Schon im Juni waren mehrere ET 430, die seit einigen Wochen auf der Linie S 1 eingesetzt werden, stehen geblieben oder hatten Verspätungen verursacht. Ursache war vor allem das neue, softwaregesteuerte Tür- und Trittbrettsystem, das nicht zuverlässig funktioniert und mitunter zu langen Standzeiten führt. Nach den ersten Pannen ergriff die DB Regio, die die S-Bahn betreibt, erste Konsequenzen. Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung (Montagsausgabe) sagte Krause, dass die Zahl der ET 430, die eingesetzt werden, auf drei begrenzt wird und Techniker des Herstellers Bombardier jede Fahrt begleiten, um rasch eingreifen zu können. Zudem wurde der Schiebetritt umgebaut, und die Türen wurden neu justiert.

Eine Panne zu viel

Der Vorfall am Dienstagabend war für die Verantwortlichen um Krause aber die eine Panne zu viel: Noch am Abend entschieden sie, den ET 430 nicht mehr einzusetzen und zu Bombardier zurückzuschicken, um die Störungen zu beheben. „Wir werden den ET 430 erst wieder einsetzen, wenn Bombardier erklärt, dass alles okay ist“, sagte Krause. Zunächst stünden dann weitere Testfahrten an. „Wir werden den ET 430 erst wieder im Fahrgastbetrieb einsetzen, wenn wir das verantworten können“, kündigte Krause an. Wann das sein wird, ließ er offen. Da aber nicht nur mechanische Umbauarbeiten nötig sind, sondern auch die Sicherheitssoftware verbessert werden muss und zumindest Teile davon vom Eisenbahnbundesamt genehmigt werden müssen, rechnet er mit einem Zeitraum „vermutlich bis Jahresende“. Bis dahin fahren die bewährten Züge der Baureihen ET 423 und ET 420.

Keine 24 Stunden nach der Entscheidung, den ET 430 ins Werk zurückzuschicken, saß Krause am Mittwochnachmittag im Verkehrsausschuss der Regionalversammlung, dem politisch verantwortlichen Gremium. Der Verband Region Stuttgart ist Aufgabenträger der S-Bahn, er bestellt und bezahlt die Verkehrsleistung. In zwei Dringlichkeitsanträgen hatten SPD und Grüne gefordert, dass sich der Ausschuss in dieser turnusmäßigen Sitzung mit der S-Bahn-Malaise beschäftigt und auf einem Treffen mit Vertretern des Herstellers, der Bahn und des Eisenbahnbundesamts die aktuellen Probleme besprochen und konkrete Schritte zur Verbesserung beschlossen werden. Dieser S-Bahn-Gipfel soll nun am Ende der Ferien oder nach der Sommerpause stattfinden. Krause, der über die Pannenserie informiert, begrüßte das Treffen, er betonte an diesem Nachmittag aber auch, dass „hier eigentlich der Hersteller Bombardier sitzen müsste“. Schließlich sei für die Situation „einzig Bombardier verantwortlich“. Die Firma war am Mittwoch bis Redaktionsschluss nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

„So wie in den letzten Wochen kann es nicht weitergehen“

Auch die Regionalräte sparten nicht mit scharfer Kritik an Bombardier, mit Krause gingen sie allerdings pfleglicher um. „Die DB Regio ist nicht ursächlich, das ist der Hersteller“, sagte beispielsweise Harald Raß, der SPD-Fraktionschef. Auch Jürgen Wurmthaler, der Verkehrsdirektor des Verbands Region Stuttgart, sprach von einer „nicht ausgereiften Technik“. Er, wie die Redner aller Parteien, wiesen aber auch darauf hin, dass die störanfälligen ET 430 nur eines der Probleme seien, mit denen das S-Bahn-System zu kämpfen habe. Zugausfälle und Störungen rührten auch von zahlreichen Baustellen und ausfallender Signaltechnik her, wofür die Bahn die Verantwortung trage. „So wie in den letzten Wochen kann es nicht weitergehen“, sagte Wurmthaler, „aber wir können den Hebel auch nicht auf die Schnelle umlegen.“

Raß forderte, dass auf dem S-Bahn-Gipfel Ursachen benannt und Maßnahmen zu ihrer Abhilfe beschlossen werden müssten. Das verlangte auch Ingrid Grischtschenko von den Grünen. „Die Baustellenproblematik begleitet uns noch einige Zeit“, sagte die Fraktionschefin. Man könne nicht ständig die Ticketpreise erhöhen und dann den Fahrgästen keine Verbesserungen anbieten, meinte sie. Für Rainer Ganske (CDU) und Bernhard Maier (Freie Wähler) hat Priorität, dass die S-Bahnen wieder stabil und pünktlich verkehren. „Sonst verlieren wir Kunden und gewinnen keine neuen Fahrgäste“, sagten sie. Ganske kann sich einen finanziellen Ausgleich vorstellen, „in der Form, dass wir verbesserte Angebote zur Verfügung stellen“.

Allerdings, meinte Krause zum Schluss, könne die Bahn auch nicht alle Probleme beheben. Am Morgen und um die Mittagszeit seien Personen auf den Gleisen im Tunnel in der Innenstadt gewesen. Die Folge: Verspätungen auf allen S-Bahn-Linien.

Chronik des Desasters

25. Mai: Eröffnungsfahrt mit zwei Zügen, keine Störungen. Davor störungsfreie Testfahrten mit leeren Zügen und mit Zügen, in denen Sandsäcke die Passagiere „ersetzen“.

ab 27. Mai: Fahrten mit acht Fahrzeugen im normalen Betrieb, dabei treten immer wieder Mängel bei Türen und Schiebetritten auf.

ab 24. Juni: Es werden nur noch drei Fahrzeuge eingesetzt, die von Technikern begleitet werden, die Störungen beheben sollen.

2. Juli: Auf einem Treffen vormittags vereinbaren Bombardier und die Bahn weitere Umbauten. Um 16.31 Uhr bleibt ein ET 430 in S-Vaihingen stehen. Mehrere Türen schließen nicht. Am Abend beschließt die S-Bahn-Geschäftsleitung, die Baureihe nicht mehr einzusetzen.