Der Inhalt der Mülleimer am Bahnhof in Weiler/Rems landete auf dem Bahnsteig. Der Schorndorfer Stadtjäger geht davon aus, dass das Waschbären auf Futtersuche waren.

Rems-Murr: Eva Schäfer (esc)

Da war einer aber fleißig – mit einer Portion Ironie kommentiert eine Frau die Müllorgie, die sie auf dem S-Bahnsteig sieht. Ausgebreitet und über die Länge des Bahnsteigs in Weiler/Rems bei Schorndorf verteilt, liegen Pappbecher, Verpackungen, Flaschen und Co. Einige Fahrgäste rätseln am Donnerstagvormittag, wer es wohl war, der sich so ins Zeug gelegt hatte. War es ein Fuchs? Ein Wasenbesucher mit zu viel Bier intus? Oder ein Waschbär? Letzteres schließen einige eher aus. „Das Tier kann doch so eine große Mülltüte nicht aus der Halterung reißen“, sagt ein Paar. Der Schorndorfer Stadtjäger dagegen ist sich sehr sicher und weiß, dass die putzigen Tiere oft unterschätzt werden: „Das war definitiv ein Waschbär.“

 
In einer Reihe liegt der Inhalt der Mülleimer verteilt auf dem Bahnsteig. Foto: Eva Schäfer

Mülleimer mit Essensresten: „Ein gefundenes Fressen für Waschbären“

Eine Mülltüte aus einer Box zu ziehen, sei für einen Waschbären überhaupt kein Problem, sagt der Experte Andreas Bader. Ein Waschbär habe richtige Hände, mit denen er beispielsweise auch Dachziegel hochhebt. Der Fachmann weiß: „Solch ein Mülleimer, in dem Schüler beispielsweise die Reste ihres Vesperbrotes werfen oder Obstreste wie Bananen und Co. landen, sind ein gefundenes Fressen für Waschbären.“ Da gehe alles über das Futter. Dass Mülleimer ein Ziel bei der Futtersuche sind, das komme oft vor. Das zeigten auch die Rückmeldungen von Einwohnern. Auch private Mülltonnen seien beliebte Ziele der Tiere.

Sieben Meisenknödel über Nacht gefressen

„Ein Komposthaufen mit Essensresten im Hausgarten ist eine Waschbärfütterung“, sagt der Stadtjäger und rät, solches dringend zu vermeiden. Besondere Vorsicht sollte auch bei der Fütterung von Vögeln gelten. Eine Frau habe sich beispielsweise gewundert, was mit den heimischen Vögeln los sei, wenn diese über Nacht gleich sieben Meisenknödel verspeisten. Die sieben Meisenknödel auf einen Streich seien von Waschbären gefressen worden, macht der Stadtjäger klar und rät, das Vogelfutter über Nacht abzuhängen und nach Innen zu holen. Auch eine andere Bewohnerin des Schondorfer Stadtteils Weiler entdeckte Anfang dieser Woche, dass ihre Meisenknödel auf dem Balkon über Nacht komplett verschwunden waren und außerdem ein ziemliches Durcheinander angerichtet wurde. „Ich denke, das war ein Waschbär“, sagte die Frau. In der Nachbarschaft seien die ungebetenen Gäste auch bemerkt worden.

Stadtjäger Andreas Bader ist Ansprechpartner, wenn es Probleme mit Waschbären und anderen Wildtieren in der Stadt gibt. Foto: privat

Ausbreitung von Waschbären hat „dramatisches Ausmaß angenommen“

Die Ausbreitung von Waschbären habe inzwischen ein „dramatisches Ausmaß“ angenommen, so Bader. „Die Tiere haben keine natürlichen Feinde bei uns.“ Waschbären seien nicht nur auf dem Dachboden nervig und gefährlich, sondern zerstörten auch viel in der Natur. Sie fressen Nestlinge, Eier der Vögel, Frösche, Lurche und mittlerweile auch Erdkröten, zählt der Stadtjäger einige Beispiele auf. Die Erdkröten würden von Waschbären gehäutet, um sie zu essen. Die Erdkröte verfügt über ein Hautgift, das sie normalerweise davor schützt, gefressen zu werden. Um das Gift zu umgehen, häuten die Waschbären die Kröten vor dem Verzehr. Wie der Stadtjäger deutlich macht, seien ihm die Hände derzeit gebunden. In Baden-Württemberg gibt es von 15. Februar bis 20. Juni eine Schonzeit für Waschbären.

„Kritisch für den Naturschutz ist der Waschbär, wenn durch andere Ursachen bereits bedrohte Arten vermehrt auf den Speiseplan geraten“, sagte Alexandra Ickes, Artenschutzreferentin des Nabu-Landesverbandes Baden-Württemberg, der Deutschen Presse-Agentur im vergangenen Frühjahr. Er könne örtlich ein Problem für den bodenbrütenden Kiebitz, Amphibien oder den Schwarzstorch sein.

Tipps, um Waschbären nicht anzulocken und fernzuhalten

Wie der Ausbreitung des Waschbären Einhalt geboten werden kann, dazu gibt es unterschiedliche Ansätze. Vor Kurzem fand eine Infoveranstaltung in Plüderhausen statt, die sich mit den Folgen der Ausbreitung befasste. Die Kreis-Wildtierbeauftragten Dominic Hafner und Hannah Held stellten dabei Strategien vor, um Waschbären vom eigenen Grundstück fernzuhalten: Keine Wildtiere füttern, auch nicht indirekt durch offenes Haustierfutter. Mülltonnen und Kompost sicher verschließen, reifes Obst ernten und Fallobst entfernen. Mögliche Einstiege und Hohlräume an Gebäuden mit Gittern sichern, Vergrämungsmethoden wie Lärm, Licht, Gerüche oder Wasser einsetzen, Kleintierställe und Fischteiche absichern. Betroffene können sich auch an die Wildtierbeauftragten des Forstamtes oder an einen der 13 eingesetzten Stadtjäger wenden. Andreas Bader ist Stadtjäger in den Städten Schorndorf und Winnenden sowie den Gemeinden Berglen, Leutenbach und Korb.

Landrat fordert die Abschaffung der Schonfrist für Waschbären

„Putzig, niedlich, aber brandgefährlich“, so fasst Jochen Haußmann, FDP-Landtagsabgeordneter aus Kernen, seine Sicht des Waschbären zusammen. Und meint das „brandgefährlich“ ernst: „Wenn der Waschbär auf dem Dachboden an Stromleitungen knabbert, ist das kein Spaß.“ Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion hat einen Antrag initiiert, der die Position von Landrat Richard Sigel unterstützt. Sigel fordert die Abschaffung der Schonfrist für Waschbären. „Wir fordern ein konsequenteres Vorgehen gegen den Waschbären. Präventive Maßnahmen können zwar unterstützen, lösen das Problem aber nicht. Deshalb setzen wir uns für die Abschaffung der Schonzeit ein“ , so Sigel.

„Waschbären haben sich im gesamten Landkreis etabliert, und die Schäden sind noch längst nicht vollständig erfasst“, sagt Dominic Hafner, Wildtierbeauftragter des Landratsamts. „Schon im Jahr 2024 wurden im Rems-Murr-Kreis 1532 Waschbären erlegt – doch die aktuellen Regelungen reichen nicht aus, um der starken Ausbreitung wirksam entgegenzuwirken“, sagt Gerd Holzwarth, Dezernent für Forst und Landwirtschaft.