Die Ankündigung der Bahn, noch in diesem Jahr zahlreiche Gleisverbindungen in der Region wochenlang sperren zu wollen, erzürnt die Regionalräte. Die Rede ist von Entschädigungszahlungen.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Die Empörung ist groß – und zieht sich durch die Reden aller Fraktionen im Verkehrsausschuss der Regionalversammlung. Regionalrat Helmut Noe (CDU) ist entsetzt über das „laienhafte Verhalten der Bahn. Es ist mir unverständlich, wie sie so mit ihren Kunden umgehen kann.“ Bernhard Maier (Freie Wähler) stellt nüchtern fest: „Der Ruf der Bahn ist ruiniert, sie ist zum Sanierungsfall geworden. Wir werden deshalb nur mitleidig belächelt.“ Dass der Verband Region Stuttgart (VRS) als Aufgabenträger des Stuttgarter S-Bahn-Netzes tatenlos und ohnmächtig mitansehen muss, dass der S-Bahn-Verkehr in und rund um Stuttgart im laufenden Jahr über Monate hinweg drastisch eingeschränkt werden muss, hat in der Sitzung am Mittwoch teilweise wütende Reaktionen hervorgerufen.

 

„Immer wenn man denkt, man hat jetzt den absoluten Tiefpunkt bei diesem Thema erreicht, kommt ein weiterer hinzu“, stellt der SPD-Fraktionschef Thomas Leipnitz fest. Die bereits vor Jahren von der für das Schienennetz zuständigen DB Netz AG in Aussicht gestellte „vorausschauende Instandhaltung“ sei offenbar nur eine leere Worthülse – oder das Gleisnetz sei derart marode, dass es eigentlich total erneuert werden müsste. „Wir haben das Vertrauen in die DB Netz AG verloren“, so Leipnitz.

Arbeiten sind unter rollender Schiene nicht möglich

In der vergangenen Woche hatte die Deutsche Bahn vollkommen überraschend angekündigt, wichtige Strecken in Stuttgart und der Region im Lauf des Jahres für längere Zeiträume teilweise oder sogar komplett sperren zu müssen. Die Begründung: Die Arbeiten für das neue European Train Control System (ETCS) und die Inbetriebnahme eines digitalen Stellwerks als erste Bausteine des deutschlandweit ersten Digitalen Bahnknotens seien umfangreicher als zunächst geplant. Zu hören ist, dass für die unumgängliche Verlegung neuer Kabel und weiterer Baumaßnahmen sich kurzfristig keine Firma gefunden hat, die bereit gewesen wäre, diese Arbeiten „unter rollender Schiene“, also bei normalem Bahnbetrieb, auszuführen. Deshalb komme man nun um langen Sperrungen nicht herum.

Besonders der Zeitpunkt der Verkündung der Baumaßnahmen verärgert den Regionaldirektor Thomas Bopp: Erst vor zwei Wochen habe man die Partner zur Fahrplankonferenz eingeladen. Vieles von dem, was man dort verkündet habe, sei nun Makulatur. „So verspielen wir natürlich das Vertrauen der Partner“, sagt Bopp. Jetzt sei auf jeden Fall die Bahn am Zug. „Wir brauchen schnell verlässliche Ersatzfahrpläne.“

Im Ausschuss konnten die Bahn-Vertreter dafür noch kein Konzept präsentieren. Daran werde aber aktuell mit Hochdruck gearbeitet. Klar sei aber, dass nicht nur die S-Bahn, sondern auch Züge des Regional- und Fernverkehrs sowie Güterzüge von den Sperrungen betroffen sein werden. Auch Entschädigungsfragen der S-Bahn-Kunden, aber auch des VRS müssen, so Bopp, beantwortet werden.

„Die eine Bahn-Tochter weiß nicht, was die andere tut“

André Reichel, der Fraktionschef der Grünen im VRS, hat im Gespräch mit unserer Zeitung drei Hauptursachen für das drohende Verkehrschaos ausgemacht. Zum einen habe die Bahn sich zu stark auf die Verwirklichung von Stuttgart 21 konzentriert und daher zu wenig in den Erhalt des S-Bahn-Netzes investiert und das, obwohl dieses deutlich erweitert und engmaschiger genutzt werde. Erschwerend komme hinzu, dass die Bahn unbedingt im Dezember 2025 Stuttgart 21 eröffnen wolle. Das erhöhe den Termindruck. Zudem zeige sich, dass die bei der Bahnreform vor 25 Jahren geschaffenen Strukturen auf den Prüfstand gehörten. „Da weiß offenbar eine Bahn-Tochter nicht, was die andere tut. Ein solches Chaos hätte es früher nicht gegeben“, so Reichel.

Bereits von Ende April an ist der Streckenabschnitt zwischen Bad Cannstatt und Waiblingen für 14 Wochen betroffen. Keine Überraschung ist die Ankündigung, den Innenstadttunnel der S-Bahn, durch den sämtliche Linien fahren, während der Sommerferien zu sperren. Das ist nun bereits der dritte Sommer, in denen die Bahn nach Ersatzfahrplänen schauen muss. Weil bei vergleichbaren Sperrungen in der Vergangenheit die Fahrzeuge auf der Umleitungsstrecke schwer beschädigt wurden, feilt die Bahn auch hier an einem Ersatzkonzept.

Ende 2023 werden die Arbeiten auf die Filder und in die Region südwestlich von Stuttgart verlagert. Dann stehen Arbeiten auf den Strecken zwischen Stuttgart-Rohr und Flughafen sowie zwischen Stuttgart-Vaihingen und Böblingen an.