Tatsächlich verhält es sich mit Strakas Werk und Leben ganz anders, als Eric und der Rest der Fachwelt bisher vermuteten – eine Fachwelt übrigens, in der Straka-Exegeten einander niederträchtigste Kabalen spinnen und dabei von Mächten eingespannt werden, die vor Mord und Totschlag nicht zurückschrecken. All das erfährt der Leser von „S.“ in den Schichten von Eric-Jen-Randnotizen, die ebenso auf der Lektüre des Straka-Texts wie auf den Fußnoten des rätselhaften Übersetzer-Herausgebers basieren. Wie sich zeigt, handelt es sich bei den Anmerkungen um ein System von Codes, mit denen Caldeira offenkundig mit dem Autor in Kontakt zu treten versucht. Von dem wiederum heißt es, er habe zu den einflussreichsten Literaten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört und Millionen von Lesern begeistert.

 

„Abenddämmerung. Das alte Viertel einer Stadt, dort, wo der Fluss ins Meer mündet. Ein Mann in einem dunkelgrauen Mantel geht durch die Straßen der Altstadt, ein Gewirr von gepflasterten Gassen, die auf den Hafen zulaufen und sich durch Stadtteile schlängeln, die sich zwar dem Geruch der Gewürze nach unterscheiden, deren traurige Baufälligkeit aber dieselbe ist.“ – So also beginnt das Werk des geheimnisumwitterten literarischen Weltstars, und sofort zeigt sich ein Problem des Buchs. Dass sein „Schiff des Theseus“ nämlich in einem Stil verfasst ist, der zuweilen an die Prosa von Reiseführern gemahnt.

J. J. Abrams kann nicht nur „Star Trek“ und „Star Wars“

Über Doug Dorst, der den Text geschrieben hat, muss man hauptsächlich wissen, dass er in Texas Kreatives Schreiben lehrt, ein paar literarische Preise und dreimal die beliebte Quizshow „Jeopardy“ gewonnen hat. J. J. Abrams wiederum figuriert derzeit als Regisseur, Koproduzent und Co-Drehbuchautor des neuen „Star-Wars“-Films. Abrams hatte die Idee, nur in Randnotizen eine Romanze unter Büchernarren zu erzählen. Gemeinsam entwickelten er und Dorst das Konzept und alle Einzelheiten von „S.“ Dorst ließ sich dabei sowohl vom Shakespeare-Problem als auch von der Kontroverse um B. Traven inspirieren, von zwei Fragen also: Wäre ein berühmter Autor überhaupt in der Lage gewesen, die Werke zu schreiben, die unter seinem Namen erscheinen? Wer war es dann und, wenn ja, wie viele?

Nicht nur im Titel „Das Schiff des Theseus“ spielt der Roman auf den Mythos an: Der Mann ohne Gedächtnis findet sich auf einem Seelenverkäufer wieder, der sich, wie im antiken Paradoxon, fahrend immerfort in Teilen verliert und neu erschafft. Zusammen mit der Mannschaft, deren Mitglieder zugenähten Munds mit der Tinte ihres eigenen schwarzen Bluts dem Schreibzwang frönen, ergibt das ein Bild des Dichterdienstes an der Literatur von geradezu umwerfender Überdeterminiertheit. „Mit dem schwarzen Zeug zu schreiben heißt, etwas zu erschaffen und gleichzeitig wieder zu erwecken. Wir schreiben mit dem, was die vor uns geschrieben haben.“ So wird im Romantext alles zu Allegorie, Metapher und Symbol für etwas anderes. Ein Vorgehen, das man allenfalls religiösen Offenbarungen ohne Murren durchgehen ließe.