Sékou Neblett war als Mitglied der Band Freundeskreis Teil des Stuttgarter Hip-Hop-Booms. Statt Musik macht er heute Filme. Am Donnerstag kommt sein Debüt Blacktape über die Geschichte des deutschen Hip-Hops ins Kino.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Irgendwann weiß man als Betrachter nicht mehr, was in Sékou Nebletts filmischem Debüt Blacktape Fiktion und was Dokumentation ist. In dem Film, der am Donnerstag in den Kinos anläuft, erzählt der Stuttgarter die Geschichte des deutschen Hip-Hops anhand der Kunstfigur Tigon, des angeblich ersten Rappers, der einst in einer Kaserne in Heidelberg die GIs mit seinen deutschen Texten vor den Kopf gestoßen hat. Im Film begeben sich der Hip-Hop-Journalist Falk Schacht, Marcus Staiger, ein streitbarer Exil-Kornwestheimer, der im Berlin der Nullerjahre den deutschen Gangsterrap mit erfand, und Sékou Neblett selbst auf Spurensuche.

 

Erzählt man Sékou Neblett davon, wie man sich zwischen Spielfilmelementen und der dokumentarischen Ebene von Blacktape verloren hat, lächelt der 44-Jährige zufrieden. „Der Film spielt mit der Realität. Ich wollte die Geschichte von deutschem Hip-Hop erzählen, ohne in den Frontalunterricht abzugleiten“, sagt der vom Rapper zum Regisseur konvertierte Künstler, der zum Interview in seiner schicken Altbauwohnung im Stuttgarter Süden Fenchel-Tee serviert. „Wir haben gestern ein wenig zu lang mit den Nachbarn gefeiert“, entschuldigt sich Neblett. Auch ehemalige Rap-Stars werden eben nicht jünger.

Neblett: Deutscher Hip-Hop hat die Sprache gedehnt

Nebletts Debüt-Film ist eine filmische Verbeugung vor den Errungenschaften der deutschen Hip-Hop-Kultur. „Ich bin der Überzeugung, dass deutscher Hip-Hop in meiner Generation für einen unverkrampfteren Umgang mit der deutschen Sprache gesorgt hat“, sagt Neblett. Klar habe es davor schon Lindenberg, Westernhagen oder die Hamburger Schule gegeben. „Das war aber alles verkopfter. Wir haben die deutsche Sprache sicherlich nicht neu erfunden. Vor Freundeskreis und Co. hieß es aber immer, Deutsch sei eine Täter-Sprache, zynisch und viel zu hart. Statt Haus auf Maus zu reimen, wurden von den Hip-Hoppern Neologismen erfunden, so wurde die deutsche Sprache dehnbarer.“

Der gebürtige Amerikaner Neblett hat sich ausführlich mit der deutschen Kulturgeschichte des Pop auseinandergesetzt. Zum ersten Mal kam Neblett in den 70ern für ein paar Jahre nach Deutschland, als seine Mutter bei Joseph Beuys in Düsseldorf Kunst studierte. Später kehrte er als Austauschstudent nach Freiburg zurück. „Durch Zufall hat mich dann ein Produzent eingeladen mit der Begründung, ich könne doch rappen, und auf einmal hatte ich einen Plattendeal“, erinnert sich Neblett.

Nebletts Eltern waren als Black Panther politisch aktiv

Beim Videodreh zur Freundeskreis-Single „Anna“ lernte der „zufällige Rapper“, wie er sich selbst nennt, schließlich Max Herre kennen. „Wir hatten beide eine ähnliche Erziehung genossen, nur auf anderen Kontinenten. Meine Eltern waren Black Panther, Max’ Eltern waren auch sehr politisch.“ So wurde Neblett Mitglied im Freundeskreis-Kosmos und gleichzeitig ein enger Freund von Max Herre. Als der Freundeskreis immer erfolgreicher wurde, ging in der Band die Angst um, „dass die Konstellation irgendwann in sich zusammenkracht“, erinnert sich Neblett. Also gingen die Bandmitglieder lieber getrennte Wege. „Mir ging es eh nie ums Rappen, sondern mehr ums Schreiben und ums Forschen“, so Neblett. Also wechselte er einfach die Kunstform und verdiente sich erste Sporen im Video-Dreh.

Nebletts Lehrmeister war Zoran Bihac, der in den Boom-Zeiten des Stuttgarter Hip-Hops für jedes zweite Video verantwortlich zeichnete. „Für die letzte Freundeskreis-Tour hatten wir uns alle Kameras gekauft, ich habe alles intuitiv gefilmt. Im Nachhinein sah das aus wie ein einziger visueller epileptischer Anfall“, sagt Neblett. Bihac habe ihm schließlich die Basics beigebracht, es folgten schnell erste Videos für Afrob oder Joy Denalane, die Neblett verantwortete. Schließlich studierte er Film an der Merz Akademie.

Zurück zum Film Blacktape: In Nebletts Augen kann man die Folgen des Hip-Hop-Booms, den er filmisch einfängt, heute in den Charts beobachten. „Die ersten zehn Plätze in den deutschen Charts besetzt von deutschsprachigen Künstlern, das hatte es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben und ist auch auf die Verdienste deutschen Hip-Hops zurückzuführen.“ Da kann man der deutschen Rap-Geschichte schon mal einen ganzen Spielfilm widmen.