Das Geschäft „Die Esoterische Quelle“ wird schließen – nach fast 32 Jahren. Wieder verschwindet ein Traditionsgeschäft in der Stuttgarter City.

Stuttgart - Die Esoterische Quelle ist versiegt. Der Laden von Helga Mitsdörffer in der Marquardt-Passage ist nun Stuttgarter Geschichte – nach fast 32 Jahren. Genauer: Nach der Eröffnung am ersten Standort bei der Landeszentralbank auf der Theo (am 7. Juli 1987) zog sie vor 22 Jahren in die Passage. Und während dort links und rechts von ihr die Läden kamen und gingen – trotzte Helga Mitsdörffer dem allgemeinen Trend im stationären Einzelhandel. Sie ließ sich vom Online-Handel lange nicht klein kriegen.

 

Im Gegensatz zu vielen anderen Kaufleuten in der Stadt klagt sie daher nicht über Amazon und Co. „Wenn jemand erstochen wird, dann ist auch nicht das Messer schuld, sondern derjenige, der es führt.“ Was Helga Mitsdörffer damit sagen will, ist klar: Der Verbraucher hat die Macht. Er entscheidet, ob Traditionsgeschäfte in der City bestehen können – oder eben nicht.

Leute trauern zu spät

Daher versteht Helga Mitsdörffer auch das Wehklagen vieler Kunden nicht. Viele zeigten sich erschüttert, als sie am vergangenen Donnerstag vor dem nahezu leer geräumten Laden standen. „Tja, wäre das den Leuten mal früher eingefallen. Nun trauern alle, aber es ist zu spät“, sagt Helga Mitsdörffer nur. Nun sei die Ära eben zu Ende: „Es lohnt sich nicht mehr, selbst in einer 2B-Lage würde es sich nicht mehr lohnen. Das Geschäft ließ ohne Unterbrechung nach.“

Begonnen hatte sie mit ihrem damaligen Mann. „Wir hatten nur Bücher“, erinnert sie sich. Doch schnell erweiterte sie das Sortiment. Räucherwerk, Heilsteine, Klangschalen. „In den 1980er und 1990er Jahren herrschte ein regelrechter Hype.“ New Age lautete das Zauberwort. Das Neue Zeitalter, das Wassermannzeitalter, auf dessen Wellen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts sich auch Helga Mitsdörffer tragen ließ. Doch was damals vom Bürgertum unter dem Etikett Esoterik und Hippie-Bewegung ins Halbverrückte gerückt wurde, ist heute viel verbreiteter. „Viele Dinge, die ich früher ausschließlich verkaufte, bekommt man heute auch im Kaufhaus oder in der dritten Etage bei Wittwer“, sagt sie. Aber es gebe neben dem Online-Handel und dem gesellschaftlichen Wandel auch noch einen dritten Grund für das nachlassende Geschäft in der Esoterischen Quelle. Helga Mitsdörffer nennt den 21. Dezember 2012 als Wendepunkt. „Damals gab es von Leuten, die den Begriff Esoterik missbraucht hatten, extreme Prognosen“, erklärt sie. „Es hieß, von nun brechen Zeiten voller Liebe und Gerechtigkeit an.“ Als aber der Mensch dem Menschen am 22. Dezember immer noch ein Wolf war, sei bei vielen eine Welt zusammengebrochen. „Sie waren desillusioniert und wendeten sich von allem ab, was sich unter dem Begriff Esoterik versammelt. Das schlug sich auf den Umsatz nieder.“

Laden für Lebensberatung

Hätten die Leute Esoterik richtig verstanden, so Mitsdörffer, wäre es nie soweit gekommen: „Esoterik heißt, sich mit der inneren Entwicklung zu beschäftigen, damit man das Äußere anders sieht.“ In ihren Worten steckt das, was sie all die Jahre mit Passion nebenher betrieb: Menschen, die suchend sind, einen möglichen Weg zu zeigen. „Ich habe hier ganz viel Lebensberatung gemacht“, sagt sie und lacht. Denn bis auf Gottes Lohn sei dafür nichts zurückgekommen. Ihre positive Art und Lebensenergie hat sie deshalb nie verloren. Auch jetzt nicht, da sie ihren Laden schließen musste und „ohne Verluste aus der Sache rausgeht“. „Ich versuche Anfang 2019 im Bohnenviertel etwas Neues“, kündigt sie an: „Mir schwebt ein spirituelles Zentrum vor, in dem Leute Gleichgesinnte treffen, reden und sich austauschen können.“

Da sage noch einer, die Esoterische Quelle sei versiegt. Helga Mitsdörffer sprudelt jedenfalls im übertragenen Sinne munter weiter – obwohl sie sich wahrscheinlich längst in den Ruhestand verabschieden könnte. „Ich habe einfach noch so viel Energie“, sagt sie und lächelt, ehe sie die Ladentür nach fast 32 Jahren für immer verschließt.