Filmschaffende organisieren einen Gedenktag zur Vernichtung nazikritischer Schriften.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Oben lernt gerade eine Schülergruppe, wie die vom Fernsehen einen verarschen wollen. Marc Hug formuliert es feiner als die Jugend: „manipulieren“, sagt er, während er versucht, die Kaffeemaschine so zu manipulieren, dass sie endlich Espresso ausspotzt. Hug betreibt die Filmgalerie 451 im Hospitalviertel. Dass einer, der sein Geld mit dem Verleihen von Filmen verdient, den Nachwuchs vor der manipulativen Kraft bewegter Bilder warnt, mag merkwürdig anmuten. Aber erstens geht es in den Seminaren für Schulklassen nicht nur um Film, auch um Werbung und das Internet. Zweitens „haben Kulturschaffende auch eine Verantwortung“, sagt Hug.

 

Eben deswegen hat er ein anderes Projekt angeschubst, das ähnlich merkwürdig anmutet: Er will an den 10. Mai 1933 erinnern, am 10. Mai 2013. An diesem Tag jährt sich die Bücherverbrennung kurz nach Hitlers Machtergreifung zum 80. Mal. Ausgerechnet die Vereinigung „Deutsche Studentenschaft“ war es, die damals gedruckte Bildung vernichtete, zuvorderst in Berlin, aber auch in 21 anderen Universitätsstädten, auf dass sich ein „undeutscher Geist“ in Rauch auflöse, der angeblich durch die Zeilen der betroffenen Autoren spukte.

Den Beteiligten geht es um Gedenken und Idealismus

Das merkwürdige an dem Vorhaben daran zu erinnern ist wiederum, dass sich an dem Gedenktag nahezu ausschließlich Filmschaffende beteiligen, eben die Filmgalerie, das Cinema-Kino am Schlossplatz, der Verein zur Förderung von Filmkunst und Medienkompetenz und – als einzig branchenferner Teilnehmer, der linkspolitische Verein Anstifter. Von dem stammt die Idee. Allen Beteiligten geht es tatsächlich nur um Gedenken und Idealismus. Der Eintritt zu den Veranstaltungen des Tages ist frei. „An einem Freitag“, sagt Hug, „das Cinema wird da schon auf ein paar tausend Euro Einnahmen verzichten“.

So sieht es auch die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle: „Das sind alles Gewerbetreibende, die das in ihrer Freizeit tun.“ Weshalb für ihren Geschmack zumindest ein kleiner Zuschuss für die Veranstaltung angemessen wäre. 600 bis 800 Euro hatte Hug als Hilfe aus dem Etat des Bezirksbeirats beantragt, für Werbung.

„Ein Buch regt die Fantasie immer noch mehr an“

Allerdings halten die Lokalpolitiker diese Unterstützung grundsätzlich für eine Aufgabe des Kulturamts. Im Zweifelsfall wollen sie den Zuschuss ungeachtet dessen genehmigen. Selbst wenn nicht: „Wir machen das sowieso“, sagt Hug, „das ist ja keine große Sache, das Kulturamt wollte ich damit nicht belasten“. Er will gewissermaßen Wohlwollen ansparen, für andere Projekte, größere. Also wird tatsächlich die Filmbranche mahnen, dass Bücher als Kulturgut geachtet gehören. Für Hug ist das kein Widerspruch. „So toll ich Filme finde“, sagt er, „ein Buch regt die Fantasie immer noch mehr an“.

Hug selbst vereint gleichsam in sich selbst Buch und Film. Er ist Drehbuchautor. Der Gedenktag eint ebenfalls beides. Im Cinema lesen Schriftsteller aus Werken ihrer damals geächteten Kollegen wie Tucholsky, Feuchtwander oder Brecht. Außerdem werden zwei Filme gezeigt: „Auch Henker sterben“, ein halbdokumentarischer Spielfilm, den Fritz Lang und Bert Brecht Anfang der 1940er gemeinsam als Kritik am Nazi-Regime erarbeiteten, und „Before night falls“, die von Julian Schnabel fast 60 Jahre später verfilmte Biografie des kubanischen Schriftstellers Reinaldo Arenas. Dessen Bücher verbot Fidel Castro, weil der Autor homosexuell war. Mit der Auswahl soll verdeutlicht werden, dass die Verfolgung von Schriftstellern keineswegs mit Hitlers Diktatur endete.

Der Bogen ließe sich noch wesentlich weiter spannen, denn selbstverständlich begann sie auch nicht mit der Nazi-Diktatur. „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ So formulierte es Heinrich Heine 1821. In China wurden schon 200 vor Christus der Staatsmacht unliebsame Schriften verbrannt. Gleich ob in den USA, dem „Land of the free“, ob im Mutterland der europäischen Demokratie, in England, oder im Revolutionsstaate Frankreich hat die Verbrennung kirchen- oder regimekritischer Bücher Tradition. Filmverbrennungen, zumindest staatlich verordnete, sind hingegen nicht bekannt.