Die Demo-Kultur in Stuttgart ist vielfältig, aber ihre Mittel, mit denen sie Aufmerksamkeit erregen wollen, gleichen sich. Drei Gruppen diskutieren deshalb über attraktivere Formen des Widerstands.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-Mitte - Permanent gehen Menschen in Stuttgart auf die Straße – für mehr Radwege, gegen Stuttgart 21, für Europa, für bezahlbaren Wohnraum, für günstigere Tarifkonditionen, für Tierrechte, für eine Moschee in Feuerbach und gegen eine AfD-Demo in Feuerbach. Die Protestszene der Landeshauptstadt ist unübersichtlich und reichhaltig, die Formen aber gleichen sich – Kundgebungen, skandierende Chöre und Transparente schwenkende Massen in Bewegung. So war es immer schon, wie man derzeit in der Ausstellung „Kessel unter Druck – Protest in Stuttgart 1945 – 1989“ im Stadtarchiv Stuttgart sehen kann.

 

Die Rekrutierung ist ein Problem

Doch zieht das noch? Bekommen Aktivisten auf diese Weise ihre Botschaften noch an die Frau und den Mann auf der Straße? Oder bestätigen sich in den Demos nicht vielmehr jene gegenseitig, die sich sowieso schon einig sind? Diese Fragen diskutierten Vertreter von Attac, Pulse of Europe und den Anstiftern mit der Leiterin des Instituts für Auslandsbeziehungen (IfA), Iris Lenz. Aufhänger waren, wie Lenz eingangs erläuterte, die 68er-Bewegungen, die nun auch ihr halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat, und die aktuelle IfA-Ausstellung „Riots“ (Aufstände). Die Rekrutierung Neuer ist ein Problem, räumten alle Podiumsteilnehmer ein. „Es ist schwierig, an junge Leute heranzukommen“, so Johannes Pudenz von Pulse of Europe (PoE), der Bürgerinitiative, die sich für den europäischen Gedanken stark macht. „Und es ist schwierig, Leute von der Gegenseite zum Diskutieren zu bringen.“

Der Verein Attac versuche es mit unterschiedlichen Arten der Beteiligung, berichtete Attac-Sprecher Christian Blank. Auf der Agenda stehen aktuell der Staffellauf gegen Rüstungsexporte, eine Tagung zum Grundeinkommen, eine Sommerakademie und diverse Aktionstage. „Die Jungen besetzen vielleicht lieber einen Braunkohle-Bagger anstatt zum Kongress zu gehen. Es gibt verschiedene Formen für verschiedene Menschen“, sagte Blank.

An die eigene Nase gefasst

Peter Grohmann von den Anstiftern, die sowohl mit Attac als auch mit PoE sympathisieren, politisch-weltanschaulich offen sind und für Toleranz eintreten, vertraut in die Macht der Einbindung von Menschen: Die Erklärung der UN-Menschenrechtscharta jährt sich am 10. Dezember zum 70. Mal. Aus diesem Anlass planen die Anstifter einen Veranstaltungsreigen zu einzelnen Menschenrechten. Dabei solle jedes von einer anderen Einrichtung, Institution, Schule oder Gruppe in der Stadt organisiert werden. Denn: Es habe keinen Sinn zu jammern, dass Leute scharenweise zur AfD oder zu Pegida laufen, so Grohmann. „Wir müssen uns selbst die unangenehme Frage stellen, warum sind wir isoliert von den Leuten und von der Presse? Warum interessiert keinen, was wir machen?“ Und ganz aktuell: Warum kamen neulich nur 350 Menschen zur Demo gegen die AfD nach Feuerbach? Über diese Frage entspann sich mit dem Publikum eine Debatte darüber, inwiefern hier das massive Polizeiaufgebot abschreckend gewirkt hat.

Die AfD, das sind doch auch Leute, die aufstehen und Widerstand leisten, kam der Einwurf aus dem Publikum – etwa in Feuerbach gegen die Ditib-Moschee. Kann man die nicht auf seine Seite ziehen? „Nur, weil Leute aufstehen, ist das für mich noch kein Aufstand“, brummelte Christian Blank von Attac. Erfahrungsgemäß überzeuge man „Hardcore-Rechte“ auch nicht mit Argumenten und ziehe dann zu sich herüber. Dispute endeten eher in einem Patt, so Blank.

Pudenz von PoE glaubt schon, dass man überzeugte Rechte erfolgreich konfrontieren und mit Worten erreichen kann: „Es ist immer eine gute Idee, auf die Leute zuzugehen.“ Man solle versuchen, ins Gespräch kommen. „Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem Open Mic gemacht“, einem Mikrofon, das bei Veranstaltungen jedem zur Verfügung steht, der etwas sagen will.

Attac-Mann Blank meinte, ansetzen müssen Aktivisten vielmehr bei denen, die noch überzeugt werden können. Zivilgesellschaftlicher Widerstand entfaltete Wirkung, indem er politischen Druck erzeuge. Mit dem Erstarken der Rechten „hat sich der politische Diskurs nach rechts verschoben. Was früher Stammtischparole war, ist heute salonfähig“. In diesen Diskurs gelte es mit gewaltfreien Mitteln einzugreifen. Sich einzelne Rechte vorzuknöpfen, bringe hingegen nichts.