20 000 Bienen bevölkern den Schrebergarten auf dem Dach des Züblin-Parkhauses.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Die Adresse dieser 20 000 Neu-Stuttgarter ist die Lazarettstraße 5. Zu ihrem Haus in der Form und des Formats einer Hundehütte fährt der Aufzug. Wer dieses spezielle Volk besuchen will, drückt den Knopf mit dem Buchstaben E für das Deck E, das Freiluftdeck des Züblin-Parkhauses direkt neben der Leonhardskirche. Was hier seit ein paar Monaten betrieben wird, heißt in Neu-Denglisch Urban Gardening, entsprechend müsste, was hier seit ein paar Tagen betrieben wird, Urban Imkering benannt sein.

 

Veronika Kienzle, die Bezirksvorsteherin der Stadtmitte, hat schon einen zuhause. Christian Hermes, katholischer Stadtdekan mit dem päpstlichen Titel Monsignore, hätte gern einen in seinem Amtssitz, der Domkirche Sankt Eberhard an der Königstraße: einen Bienenstock. Die Bienen auf dem Parkdeck hat Sebastian Ganzer hierher gebracht, ein Freizeitimker. In jener Hütte lebt ein Bienenvolk, „ein junges noch“, sagt Ganzer. Derzeit sind es etwa 20 000 Tiere, 40 000 können es werden.

Seit dem Frühjahr werkeln hier Hobbygärtner aus der Umgebung. Sie ziehen auf dem Parkdeck Tomaten für den Salat oder Sonnenblumen für die Optik. Inzwischen gärtnern hier fast 100 Leute aus der Nachbarschaft, die gern inmitten der Großstadt ein wenig Grün hegen. Trotz der Widrigkeiten gerade im Leonhardsviertel: „Vorsicht, hier wurde Müll von Drogenabhängigen gefunden“, hat ein städtischer Mitarbeiter auf Papier unter Plastikfolie geschrieben.

Diese besondere Art der Schrebergartenkolonie „ist noch ausbaufähig, ja“, sagt Daniel Zopf. Derzeit belegt der Stadtgarten etwa 100 Quadratmeter des Freiluftdecks. Platz wäre für ein Vielfaches. Das Grün ist nur ein Fleck auf einem Betondeckel von der Fläche einer Sporthalle. „Die Stadt und der Parkhausbetreiber haben nichts dagegen, wenn wir das ganze Deck belegen“, sagt Zopf. Aber das wäre teuer.

Das Imkern in Städten ist erlaubt

Zopf ist Sprecher der Ebene Null, eines Vereins, „der einfach Spaß an solchen Projekten hat“, sagt er. Nur hat er kein Geld. Die Pflanzen wachsen in selbst gezimmerten Kübeln. Trotzdem hat der Garten 5000 Euro gekostet, Zuschüsse, Spenden, Sponsorengeld. Um ihn zu vergrößern, „bräuchten wir von Sponsoren eine fünfstellige Summe“, sagt Zopf. „Interessenten gäbe es genug.“ Gemeint sind Interessenten, die gärtnern wollen, nicht solche, die zahlen wollen. Dann könnte hier oben ab und zu ein Konzert gegeben, vielleicht ein Getränkekiosk aufgebaut werden. Im Oktober werden die Kübel eingelagert. Alles weitere soll sich im nächsten Jahr ergeben. Den Bienen ist der Garten gleich. Sie schwirren um ihre Hütte. Die eine oder andere Hummel fliegt die Blüten auf dem Parkdeck an. Bienen bevorzugen Gehaltvolleres. „Hier in der Nähe gibt es was Besseres“, sagt Ganzer. „Je höher der Zuckergehalt, desto lieber.“ Für die Bewohner einer Großstadt mit den höchsten Feinstaubwerten Deutschlands mag es merkwürdig klingen, aber die Insekten leben in der Stadt gesünder als auf dem Land. Die moderne Landwirtschaft bevorzugt die Monokultur. Wiesen werden zu oft gemäht, als dass auf ihnen Wildblumen wachsen würden. „Hier gibt es Linde, Kastanie, Ahorn, Obstbäume, Hecken, Verkehrsinseln“, sagt Ganzer. „In der Stadt ist die Vielfalt einfach größer“.

Das Landleben ist für Bienen sogar tödlich. Monokulturen und Pestizide sind der Grund, dass in Amerika jährlich etwa die Hälfte aller Völker verendet. Die Imker ziehen mit ihren Tieren von Süden nach Norden, weil schlicht nicht mehr genug Bienen leben, um die Pflanzen des Landes zu bestäuben. Deshalb hob beispielsweise die Stadt New York ihr Zuchtverbot auf, damit die Bienen in den Staaten nicht aussterben.

In Deutschland liegt die Sterblichkeit bei rund 25 Prozent. Das Imkern ist in Städten grundsätzlich erlaubt, wenn auch meldepflichtig. Auch hierzulande reisen Imker – allerdings mehr aus kommerziellen Gründen, beispielsweise zur Lindenblüte nach Berlin. Wechselnde Umgebung „macht den Bienen nichts aus“, sagt Ganzer, „jedenfalls anscheinend nicht“. Im Oktober, wenn die Pflanzen des Parkhausgartens eingelagert sind, wird auch er sein Volk wieder mitnehmen.