Nach Protesten haben die Verkehrsbetriebe auf eine neue Metrostation im Luxusviertel verzichtet. Nun suchen sie eine Alternative.

São Paulo - Elegante Hochhäuser, feine Geschäfte, stille Seitenstraßen - so sieht es dort aus, wo die Metro von São Paulo die U-Bahn-Station Angélica geplant hatte, einen der 15 Bahnhöfe einer neuen Linie, deren Bau 2012 begonnen werden soll und die das Zentrum der größten Stadt Südamerikas mit ihren Vororten im Westen verbindet. Dass an der Kreuzung der Avenida Angélica mit der Rua Sergipe eine U-Bahn-Station gebaut werden soll, ist mindestens seit Juni 2010 beschlossene Sache. Ein Supermarkt und ein Weinladen müssten dafür enteignet werden.

 

Doch nun hat die Metro von São Paulo den Plan plötzlich fallen lassen. Eine Anwohner-Vereinigung hatte 3500 Unterschriften dagegen gesammelt. Die Anwohner führen ins Feld, der Bahnhof werde mehr Passantenströme anziehen, was zur "Zunahme von unerwünschten Erscheinungen" wie fliegenden Händlern führen werde. Der Widerwille ist nicht neu - neu ist nur, dass die Metro den Bahnhof nun plötzlich sang- und klanglos fallen ließ.

Protest gegen den Protest

Und neu ist auch, dass sich Protest gegen den Protest rührt. Den 3500 Unterschriften standen mehr oder weniger über Nacht 55.000 Menschen gegenüber, die - wenn auch nur im Internet - den Bahnhof verteidigten und den Gegnern elitäre Hochnäsigkeit vorwarfen.

Zum geflügelten Wort wurde die Vokabel "gente diferenciada". Die Befürchtung, dass der neue U-Bahnhof "differenzierte Leute" - damit waren Bettler oder Stadtstreicher gemeint - anziehen könnte, äußerte letztes Jahr eine Anwohnerin. Nun nahmen Hunderte von Bahnhofsbefürwortern das verkappte Schimpfwort auf und fanden sich, in flugs mit dem Schriftzug "gente diferenciada" bedruckten T-Shirts, zu einem improvisierten Protest-Grillfest auf der umstrittenen Kreuzung ein. Einige riefen, die "Elite von Higienípolis" sei die "schweinischste" von ganz Brasilien. Eine ironischere Sicht der Dinge äußerten Transparente mit dem Text "U-Bahn fahre ich nur in New York, Paris und London".

Suche nach einem neuen Standort

Die Metro von São Paulo bestreitet, dass der Druck der Anwohner den Ausschlag gab, um die Metrostation zu streichen. Es sei eine "technische Entscheidung" gewesen. Denn Angélica liege nur 610 Meter von der östlichen Nachbarstation entfernt, die Züge kämen auf der kurzen Strecke gar nicht richtig in Fahrt. Gegen diese Argumentation spricht freilich, dass Bahnhöfe anderer Linien ähnlich dicht aufeinanderfolgen. Als Alternative schlug die Metro eine Station weiter westlich, nahe dem Pacaembu-Stadion, vor. Doch auch dort wehrte sich eine Anwohner-Vereinigung. Während die Avenida Angélica eine wichtige Geschäfts- und Durchgangsstraße mit vielen Buslinien ist, läge die Alternative mitten in einem Villenviertel. Die Zahl der Nutzer pro Tag betrage nicht, wie bei der Station Angélica, rund 25.000, sondern nur 17.000, so der Transportbetrieb. Die Zeitung "Folha de S. Paulo" berichtete jedoch von einer internen Simulation der Metro, die nur 3000 Nutzer pro Tag ergab. Die Pacaembu-Alternative war deshalb zwei Tage später schon wieder Makulatur. Nun wird ein neuer Standort für den Bahnhof gesucht.

Zurzeit ist eine Verlegung der Linie nach Norden im Gespräch. Da läge der neue Bahnhof zwar schön in der Mitte zwischen seinen beiden Nachbarn im Osten und im Westen, aber wie dort der Untergrund beschaffen ist, muss erst noch erforscht werden. Sicher ist jedoch, dass an der Oberfläche Dutzende von denkmalgeschützten Gebäuden stehen.