Während sich die Tübinger Straße aufbrezelt, scheint an der anderen Seite des Marienplatzes, in der Böblinger Straße, die Zeit zu rasten. In einer Serie schauen wir in angestammten Werkstätten und Läden vorbei – heute in der Marien-Apotheke.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-Süd - Von der Böblinger Straße wogt den ganzen Tag das Leben herein. Menschen zeigen Wunden, Verbrennungen, Stiche vor, schildern Symptome, suchen Rat, schieben Arztrezepte über die Theke. Der Apothekerin Maria Maasz präsentiert sich das Dasein berufsbedingt häufig von seiner beschwerten Seite. „Mich beeindrucken immer wieder Menschen, die es schwer haben, aber trotzdem die Kraft finden, ihr Leben zu meistern: Die Schwangere, die weiß, dass sie ein behindertes Kind zur Welt bringen wird, das Mütterchen mit Schmerzen und schmaler Rente, junge Leute, die in die Therapie gehen, um sich wieder aus einer psychischen Erkrankung herauszuschaffen.“ In der Marien-Apotheke arbeiten sie zu sechst – drei Apothekerinnen, drei Pharmazeutisch-technische Assistentinnen. Maasz leitet die Filiale, dessen Inhaber, Eleftherios Vasiliadis, in Waiblingen sitzt. Irgendwann, als sie so im Team beieinander saßen, fiel ihnen auf, dass jede von ihnen ein Einwandererkind der zweiten Generation ist. Ihre Eltern waren aus Griechenland, Pakistan, der Türkei, Kirgisien und im Falle von Maasz aus Schlesien gekommen. Die 57-Jährige ist überzeugt, dass dies gerade in der Böblinger Straße mit ihrer großen türkischen Community und sonstiger Nationalitätenvielfalt eine fabelhafte Referenz darstellt.

 

Penner und Schlipsträger

Maasz hat auch schon in Apotheken in der Sindelfinger Vorstadt und im Breuninger-Land gearbeitet. Die Böblinger Straße sei schon speziell, das Publikum „spannender“, vielfältiger. Sie mag die Mischung, die Herausforderung, sich auf die unterschiedlichsten Temperamente einstellen zu müssen. „Da kommen die Penner vom Marienplatz, aber auch die Schlipsträger vom Statistischen Landesamt, die sich ihr Päckchen Ibuprofen holen.“

Behörde bringt Kundschaft

Das Statistische Landesamt ist für die Böblinger Straße ein wichtiger Frequenzbringer. Die gut 600 Mitarbeiter der Landesoberbehörde beim Schoettle-Platz erledigen hier Besorgungen, holen sich etwas zu Essen, trinken Kaffee. Bezirksvorsteher Raiko Grieb wird mulmig bei dem Gedanken, dass man beim Land überlegt, den Standort aufzugeben, weil die Behörde aus allen Nähten platzt. „Die Kleinunternehmer in der Böblinger Straße brauchen diese Kundschaft“, sagt Raiko Grieb. Für das Viertel insgesamt seien die Behördenmitarbeiter wichtig: „Ein funktionierendes urbanes Quartier, benötigt eine gute Mischung aus Arbeiten und Wohnen“.Während der Bezirksvorsteher sorgenvoll auf die Böblinger Straße blickt, für die er fürchtet, sie könne in einen Abwärtsstrudel geraten, ist Maria Maasz froh, dass sie auch und gerade Menschen zu Diensten sein kann, die auf der sozialen Leiter weiter unten stehen und ihrer Hilfe und Warmherzigkeit vielleicht noch ein bisschen mehr bedürfen als die Anderen. Und sie ist stolz, in der Apotheke zu arbeiten, die einst dem „berühmten Horst Spegg“ (1928-1994) gehörte, dem Begründer eines Standardhandbuchs mit dem Titel „Apothekenbesichtigung“, kurz „Der Spegg“.