Seit 30 Jahren bieten die Mitarbeiter der Freien Altenarbeit ambulante Pflege an – ohne Zeitdruck.

Lokales: Sybille Neth (sne)

S-West - Einen Zeitplan für die morgendliche Toilette gibt es nicht. Auch nicht dafür, wie lange ein alter Mensch benötigen darf, um seine Medikamente einzunehmen. Die Mitarbeiter der Freien Altenarbeit lehnen die Reglementierung der Pflege und Betreuung alter Menschen prinzipiell ab. „Wir nehmen uns mehr Zeit als andere. Das behaupte ich jetzt mal ganz keck“, sagt Alfred Schöffend. Vor gut 30 Jahren hat er zusammen mit anderen Mitstreitern aus dem pflegerischen Bereich den gemeinnützigen Verein Freie Altenarbeit gegründet. Seither ist Schöffend dabei – als Vorstand, als Mitarbeiter und als Verwaltungsfachkraft im Büro im Generationenhaus West.

 

Zurzeit beschäftigt der Verein vier Fachkräfte in Vollzeit und drei auf Minijob-Basis. Sie betreuen 20 Senioren im Westen. Nur dort ist der Verein tätig. Die Betreuungszahl sei jedoch wenig aussagekräftig, erklärt Schöffend. „Manche Leute benötigen nur ein einige Male in der Woche Hilfe beim Baden, andererseits betreuen wir auch Menschen, bei denen wir dreimal am Tag vorbeikommen müssen“, berichtet der gelernte Altenpfleger. Drei Jahrzehnte in diesem Beruf hätte er in einer Pflegeeinrichtung nicht durchgehalten, davon ist er überzeugt. „Wir suchen die Leute daheim auf, und das ist schon eine besondere Atmosphäre. Wenn wir in der Wohnung sind, sind wir ganz da. Wir nehmen uns die Zeit, die notwendig ist.“

Der Verein bietet Betreuung aus einer Hand an. Deshalb ist Schöffend für alles zuständig, wenn er zum Hausbesuch kommt – von der Körperpflege über die medizinische Versorgung und die Hausarbeit bis zur Begleitung beim Spaziergang. Die betreuten Senioren sollen sich auf eine Rundumversorgung verlassen können und nicht gezwungen sein, für verschiedene Bedürfnisse immer verschiedene Dienste zu engagieren. Selbstverständlich gibt es auch bei der Freien Altenarbeit einen Stundenplan, denn mit den einzelnen Klienten sind feste Besuchszeiten vereinbart. Dennoch, so betont Schöffend, haben die Pfleger und Pflegerinnen einen gewissen Spielraum. Wenn einmal alles anders läuft als geplant, wird der nächste Klient angerufen, damit er weiß, dass er sich noch etwas gedulden muss, sich aber darauf verlassen kann, dass die Pflegekraft kommt.

„Vor 25 Jahren hat man uns schon prophezeit, dass es uns nicht lange geben werde“

Der Wunsch, eine derartige Betreuung alter Menschen anzubieten, war vor 30 Jahren das Hauptmotiv für die Vereinsgründung. Ausgangspunkt war eine Untersuchung über das Spektrum von Leistungen in der Altenarbeit. Die Haushaltswissenschaftlerin Marie-Luise Stiefel hatte diese Erhebung 1981 an der Universität Hohenheim erstellt. Stiefel war damals zu dem Ergebnis gekommen, dass das Angebot an Hilfen zwar umfassend sei, die Betroffenen aber oft bis zu vier Anbieter engagieren mussten, um ihren individuellen Betreuungsbedarf abzudecken. „Wir wollten eine ganzheitliche Pflege anbieten“, erzählt der Mitbegründer Schöffend. Marie-Luise Stiefel war ebenfalls unter den Gründungsmitgliedern.

In den drei Jahrzehnten seines Bestehens hatte der Verein mitunter bis zu neun fest angestellte Mitarbeiter. Mit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 wurde für den Verein manches komplizierter. „Der bürokratische Aufwand ist erheblich gestiegen, so sehr, dass vergleichbare Vereine in anderen Städten aus diesem Grund aufgegeben haben“, berichtet Schöffend. Außerdem sei durch die Pflegeversicherung die Altenpflege zu einen Geschäft geworden, und die privaten Dienste sind als Konkurrenten des Vereins wie Pilze aus dem Boden geschossen. Auch der Verein rechnet seine Leistungen mit den Pflege- und den Krankenkassen ab. Manche alten Menschen bezahlen die Dienstleistung aus eigener Tasche oder das Sozialamt übernimmt die Kosten.

Sein ehrenamtliches Engagement für die Belange alter Menschen unterscheidet den Verein ebenfalls von den rein kommerziellen Anbietern. „Die Mitwirkung an der Demenzinitiative im Stadtbezirk ist uns eine Herzensangelegenheit“, betont Schöffend, denn die Zahl der demenziell Erkrankten wachse stetig. Gleichzeitig habe sich auch die Gesellschaft verändert und nehme heute solche psychischen Erkrankungen sehr viel sensibler wahr. Wie die Zukunft des Vereins aussieht, wagt Schöffend nicht zu sagen: „Vor 25 Jahren hat man uns schon prophezeit, dass es uns nicht lange geben werde“, sagt er und lächelt. Der Verein spart extrem an den Verwaltungskosten und verzichtet deshalb auf einen eigenen Fuhrpark. Die Pflegekräfte kommen meist mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Anders als in den zurückliegenden Jahren sind die Kapazitäten der Freien Altenarbeit derzeit nicht voll ausgelastet. „Wir müssen immer neu entscheiden, ob es Urlaubsgeld gibt oder nicht, und jede Gehaltserhöhung können wir ohnehin nicht mitmachen.“