Seit Anfang März verknüpft auch ein Tunnel die beiden Nachbarstadtbezirke Wangen und Untertürkeim. Für Stuttgart 21 haben die Mineure die erste von vier Röhren unter dem Flussbett hindurch getrieben.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Vier Straßen- und Eisenbahnbrücken führen zwischen Wangen und Untertürkheim über den Neckar hinweg. Seit Anfang März verknüpft auch ein Tunnel die beiden Nachbarstadtbezirke. Für Stuttgart 21 haben die Mineure die erste von vier Röhren unter dem Flussbett hindurch getrieben. „Vor deren Leistung habe ich allergrößten Respekt“, lobt S-21-Abschnittsleiter Günter Osthoff die Arbeit der zum größten Teil aus Österreich stammenden Fachleute bei einem Fußmarsch unter dem Neckar hindurch.

 

 

Das „solide und standfeste Gestein“, das die Tunnelbauer unter dem Neckar vorgefunden haben, kam dem Vorhaben entgegen, den ersten Verkehrstunnel unter dem Fluss überhaupt zu bauen. „Die Schleusentore über unserer Baustelle sind hochempfindlich“, beschreibt Osthoff die besondere Herausforderung. Zwischen der Tunneldecke – die Fachleute sagen Firste – und dem Neckargrund liegen knapp 20 Meter Abstand. „Wir haben mit der leichtesten Aufgabe begonnen“, sagt der Diplom-Ingenieur und deutet damit an, dass die kommenden Arbeiten verzwickter werden. Denn bei Stuttgart 21 wird nicht einfach nur ein Tunnel unter dem Neckar hindurchgetrieben, sondern gleich vier. Und die kreuzen sich auch noch unterhalb des Gewässers.

Das 166 Meter lange so genannte Verzweigungsbauwerk ermöglicht es, die aus der Innenstadt kommenden Gleise in einen Streckenast nach Untertürkheim und einen nach Obertürkheim aufzuteilen. Bislang arbeiten sich die Tunnelbauer vom sogenannten Zwischenangriff Ulmer Straße – dem Zugang zu den Tunnelröhren – sowohl in Richtung Neckar als auch in Richtung Hauptbahnhof voran.

1925 Meter Tunnel gegraben

Als Flaschenhals entpuppt sich dabei der gut 35 Meter tiefe senkrechte Schacht, durch den sämtliches Material herausgeschafft werden muss, das die Mineure aus dem Untergrund gesprengt haben. Je Tunnelmeter sind das rund 100 Kubikmeter Erde und Steine. Die vier österreichischen Unternehmen, die am Tunnel arbeiten, haben seit Beginn der Arbeiten im Bereich Wangen 1925 Meter Tunnel gegraben. Würde man den bisher angefallen Abraum zu einem Würfel aufhäufen, hätte der eine Kantenlänge von gut 57 Metern.

Von Anfang April an soll sich eine weitere Mannschaft von der Innenstadt aus in Richtung Wangen vorarbeiten. Dann wird auch das im Juli 2014 aufgebaute Förderband in Betrieb genommen, das das aus dem Berg unter dem Kernerviertel gebrochene Material in den Mittleren Schlossgarten transportiert, wo es auf Lastwagen verladen zur Logistikfläche am Nordbahnhof weitergefahren wird. Das in Wangen an die Oberfläche transportierte Erdreich hingegen wird vor Ort auf Lkws verladen und zu einer Deponie in der Nähe von Rottweil gebracht. Bis Ende des Jahres, so Osthoff vor kurzem in Wangen, soll der Durchbruch geschafft werden und eine der beiden nötigen Röhren von der Innenstadt bis nach Wangen durchgehend gegraben sein. Der ambitionierte Terminplan ist weiterhin auf die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 im Jahr 2021 ausgerichtet. „Wir liegen im Plan“, sagt Osthoff.

Kritik an nächtlichem Sprengverbot

Zu Beginn der Arbeiten hatten die Tunnelbauer damit zu kämpfen, dass mehr Grundwasser als prognostiziert, in die Baustelle lief. Die Bahn musste ihre Pläne ändern und die Tunnel bis zu vier Meter tiefer legen als ursprünglich vorgesehen. Während der Genehmigungsphase ruhten die Arbeiten. Nun komme den Arbeitern noch stellenweise zwischen drei und vier Liter je Sekunde entgegen. Die Anlage zum Abpumpen sei auf Mengen bis zu 40 Liter je Sekunde ausgelegt. „Das ist natürlich Grund- und kein Neckarwasser“, sagt Horst Schweiger von der Arbeitsgemeinschaft der vier österreichischen Unternehmen. Und schon gar kein Mineralwasser, das in Stuttgart besonderen Schutz genießt. Zwischen dem tiefsten Tunnel und den Schichten, in denen das Mineralwasser fließe, lägen 35 bis 40 Meter Abstand, erklärt Osthoff.

Während die Arbeiten an dem Tunnelgewirr unter den Neckar vorangehen, kämpft Osthoff an anderer Stelle mit dem Behördendickicht. Weil es der Bahn verboten ist, in der Zeit zwischen 22 und 6 Uhr in den Röhren zu sprengen, kommt in dieser Zeit ein Bagger zum Einsatz, der betroffenen Wangenern den Schlaf raubt. Vor bald fünf Monaten beantragte die Bahn daher bei der Landesbergdirektion eine Ausnahme vom nächtlichen Sprengverbot – bislang vergebens. „Dafür fehlt uns das Verständnis“, übt der Diplomingenieur Kritik. Die Sprengungen stellten im Gegensatz zum Baggereinsatz eine nur kurzzeitige Beeinträchtigung der Baustellenanlieger dar. Es seien zudem nur zwei Sprengungen pro Nacht möglich. Osthoff: „Dieser schleppende Prozess geht zu Lasten der Bürger“.