Bei keiner Opfergruppe rechter Gewalt wird so selten das politische Motiv festgestellt wie bei Obdachlosen. Rechercheure der Wochenzeitung „Die Zeit“ ermittelten 28 Obdachlose, die zwischen 1989 und 2010 aus Hass gegen „Asoziale“ ermordet wurden. Nur sieben wurden als Opfer rechter Gewalt anerkannt. Gerichte konstruieren bisweilen absurde Motive, um rechten Menschenhass übersehen zu können. Was der Soziologe Wilhelm Heitmeyer „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ nennt, scheint ihnen unbekannt.

 

André K. hatte einen Sohn und eine Tochter, die aber nicht zur Verhandlung gekommen sind. Sie treten als Nebenkläger auf. Deren Anwältin kritisiert in einer Pause, dass die Staatsanwaltschaft den rechtsextremen Hintergrund von Ronny S. nicht aufgeklärt habe. Die einschlägigen Fotos fehlten in der Prozess-Akte. Die Behörde teilt lapidar mit: „Hinweise auf eine rechtsextremistische Motivation für die Tat haben sich nicht ergeben.“ Sicher, eine rechte Gesinnung ist nicht automatisch das Tatmotiv. Aber keine Hinweise?

Ein Sprecher lehnt eine weitere Stellungnahme ab. Das Motiv solle in der Verhandlung geklärt werden. Nur: Was nicht ermittelt ist, kann auch nicht verurteilt werden. Später wird die Nebenklägerin das Foto in der Verhandlung verteilen. Ein Bekannter von Ronny S. wird bestätigen, dass es in dessen Wohnung aufgenommen wurde und Freunden dessen rechte Gesinnung bekannt war. Gleichwohl wird der Chefermittler dabei bleiben: Kein Hinweis auf einen rechtsextremen Hintergrund.

Nur kurz wird das Opfer im Prozess ein Mensch

Aussagen, wonach André K. angeblich vor Jahren eine Scheune von Ronny S. Großvater angezündet habe, verkehren sich im Prozess zum Gegenteil. Hat der Opa die Scheune selbst angezündet? Rätsel, die Ermittler vor einem Prozess aufklären müssten. Sie haben es nicht getan. Man erfährt an diesem Tag, dass Ronny S. den anderen gedroht habe, nichts zu verraten. Und man hört, dass zwei Täter ihr geschundenes Opfer mit dem Kopf auf die Gleise gelegt haben sollen, bevor sie es sich anders überlegten und ihn zurück ins Wartehäuschen schleiften. Für einen kurzen Moment wird aus dem Opfer, dessen Namen sich der Richter öfter soufflieren lassen muss, ein Mensch. Zeuge Danilo H., den die Täter am frühen Abend fertig machen wollten, aber nicht antrafen, hatte André K. kurz bei sich wohnen lassen: „Den kannte ich sehr gut. Das war ein sehr netter Mensch“, sagt er, „sehr liebenswürdig.“ Wie seine Peiniger ihn nannten, erfährt man nicht.

Die Geschichte eines früh gescheiterten Lebens

Sebastian B. lässt von seinem Anwalt eine Erklärung verlesen. Die Geschichte eines früh gescheiterten Lebens. Lernförderschule bis zur 9. Klasse. Keine Chance auf einen Job. Eine Drogenkarriere: Alkohol, Ecstasy, Speed, auch Heroin. Es folgen Entzüge und Rückfälle, jeden Tag ein Kasten Bier. B. räumt die Tritte ein, er gibt zu: die Sache mit den Schulden war ein Vorwand. „Es gab sicher keinen Anlass, gegen Herrn K. vorzugehen. Wir haben uns im Suff einen sinnlosen Grund eingeredet.“

Nach der Tat machten Antifa-Seiten im Internet zwei Fotos publik. Eines zeigt den Angeklagten Ronny S. mit NPD-Aktivisten an einem Transparent, auf dem NPD und JN steht – das Kürzel der NPD-Jugendorganisation. Das Foto wurde am Rande einer Demo in Oschatz aufgenommen, bei der die linksalternative Szene gegen geplante Etatkürzungen demonstrierte. Ein Teilnehmer erinnert sich, Ronny S. dort gesehen zu haben. Das zweite Foto zeigt auf der Internetseite „myspace“ unter dem Namen Ronny S. einen Mann unter einer Reichskriegsflagge. Sein Mittäter belastet ihn als Wortführer jener Gewaltnacht. Unter Neonazis gelten Obdachlose als Asoziale. War das wahre Motiv also rechter Menschenhass? Ronny S., klein und kräftig, wegen Nötigung und Beleidigung vorbestraft, stand unter Bewährung.

Fotos in Nazi-Pose lassen die Ermittler links liegen

Bei keiner Opfergruppe rechter Gewalt wird so selten das politische Motiv festgestellt wie bei Obdachlosen. Rechercheure der Wochenzeitung „Die Zeit“ ermittelten 28 Obdachlose, die zwischen 1989 und 2010 aus Hass gegen „Asoziale“ ermordet wurden. Nur sieben wurden als Opfer rechter Gewalt anerkannt. Gerichte konstruieren bisweilen absurde Motive, um rechten Menschenhass übersehen zu können. Was der Soziologe Wilhelm Heitmeyer „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ nennt, scheint ihnen unbekannt.

André K. hatte einen Sohn und eine Tochter, die aber nicht zur Verhandlung gekommen sind. Sie treten als Nebenkläger auf. Deren Anwältin kritisiert in einer Pause, dass die Staatsanwaltschaft den rechtsextremen Hintergrund von Ronny S. nicht aufgeklärt habe. Die einschlägigen Fotos fehlten in der Prozess-Akte. Die Behörde teilt lapidar mit: „Hinweise auf eine rechtsextremistische Motivation für die Tat haben sich nicht ergeben.“ Sicher, eine rechte Gesinnung ist nicht automatisch das Tatmotiv. Aber keine Hinweise?

Ein Sprecher lehnt eine weitere Stellungnahme ab. Das Motiv solle in der Verhandlung geklärt werden. Nur: Was nicht ermittelt ist, kann auch nicht verurteilt werden. Später wird die Nebenklägerin das Foto in der Verhandlung verteilen. Ein Bekannter von Ronny S. wird bestätigen, dass es in dessen Wohnung aufgenommen wurde und Freunden dessen rechte Gesinnung bekannt war. Gleichwohl wird der Chefermittler dabei bleiben: Kein Hinweis auf einen rechtsextremen Hintergrund.

Nur kurz wird das Opfer im Prozess ein Mensch

Aussagen, wonach André K. angeblich vor Jahren eine Scheune von Ronny S. Großvater angezündet habe, verkehren sich im Prozess zum Gegenteil. Hat der Opa die Scheune selbst angezündet? Rätsel, die Ermittler vor einem Prozess aufklären müssten. Sie haben es nicht getan. Man erfährt an diesem Tag, dass Ronny S. den anderen gedroht habe, nichts zu verraten. Und man hört, dass zwei Täter ihr geschundenes Opfer mit dem Kopf auf die Gleise gelegt haben sollen, bevor sie es sich anders überlegten und ihn zurück ins Wartehäuschen schleiften. Für einen kurzen Moment wird aus dem Opfer, dessen Namen sich der Richter öfter soufflieren lassen muss, ein Mensch. Zeuge Danilo H., den die Täter am frühen Abend fertig machen wollten, aber nicht antrafen, hatte André K. kurz bei sich wohnen lassen: „Den kannte ich sehr gut. Das war ein sehr netter Mensch“, sagt er, „sehr liebenswürdig.“ Wie seine Peiniger ihn nannten, erfährt man nicht.

Der alternative Jugend-Club in Oschatz hat nach dem Tod André K.s eine Mahnwache organisiert. Der Bürgermeister war da, einige Stadträte, der Pfarrer hielt eine kurze Ansprache, bevor sie einen Kranz niederlegten. Danach sind die Organisatoren von Lokalpolitikern zur Seite genommen worden. Man solle das nicht an die große Glocke hängen, hieß es. Eine politische Tat, das würde der Stadt sehr schaden. Oschatz ist eine Kleinstadt in der sächsischen Provinz, 16 000 Einwohner, mit malerischer Altstadt und trostlosen Wohnsiedlungen. Der Tod von André K. war eine kurze Sensation, mehr nicht. Man kann das Entsetzen nur erahnen, das den Ort ergriffen hätte, wäre er ein geachteter Bürger gewesen.

Der Ruf eines Singvogels begleitet Anastasia Krotova über eine Wiese am hinteren Ende des Leipziger Ostfriedhofs. Zur Beerdigung kam sie damals eine halbe Stunde zu spät. Die Leute von der Stadt hatten nicht Bescheid gesagt. Seit André K. erschlagen wurde, begleitet sie den Fall für einen Opferverein. Vor einem Feld mit Holzkreuzen faltet sie den Zettel vom Friedhofsverwalter auseinander. III 7. 623 steht da. Sie zeigt auf Steinplatten, neben denen ein Stück Metall oder Holz aus dem Boden ragt, daneben Erdflecken wie Maulwurfshügel. „Eins von diesen Urnengräbern ist es“, sagt sie, „Holzkreuze werden wohl nicht mehr aufgestellt, die sind zu teuer.“ Sie geht von Reihe zu Reihe. Keine Zahl, kein Buchstabe auf den Steinen. Postum gelöschte Leben. Anastasia Krotova gibt auf: „Tut mir leid, ich finde es nicht mehr.“ Auf einem Schild steht, dass es verboten ist, Namen anzubringen oder Blumen zu pflanzen. André K. ist ausgelöscht.