Drei Mal ist das Sägewerk von Blanca Mayer abgebrannt, drei Mal hat sie fast von vorne begonnen. Aufbauen ist besser als abwickeln, meint die Unternehmerin. Trotzdem weiß sie nicht, wie es weiter geht

Region: Verena Mayer (ena)

Neckarbischofsheim - Das Sägewerk im Gewerbegebiet Bitzwiesen in Neckarbischofsheim wirkt neu, obwohl der Betrieb einer der ältesten der Kleinstadt ist, die zwischen Heilbronn und Heidelberg liegt. In dem konzerthausgroßen Lager werden schenkeldicke Balken aus Fichte und Douglasie von einem Hightech-Stapelkran in meterhohe Regale transportiert. Daneben steht ein festhallengroßes Gebäude, in dem die meterlangen Kiefern- und Lärchenstämme zu schmalen Brettern verarbeitet werden. Die Maschinen, die die Bäume entrinden, zerlegen und die Bretter glätten, sind so modern, dass das Branchenblatt „Holzkurier“ der Produktionshalle kürzlich eine Titelgeschichte mit der Überschrift „Holt das Beste aus jedem Stamm“ gewidmet hat. Und auf der dorfplatzgroßen Fläche in der Mitte des 25 000 Quadratmeter umfassenden Firmengeländes wird demnächst ein weiteres Lager erstellt. Die Pläne sind schon fertig, die Arbeiten beauftragt. In ein paar Wochen soll das Gebäude stehen.

 

Nichts ist so wie es erscheint

Dem Sägewerk Mayer in Neckarbischofsheim geht es prächtig, könnte man meinen, wenn man dort umhergeht. Doch wenn man das Bürohäuschen betritt und dort die Inhaberin Blanca Mayer trifft, erfährt man, wie es wirklich ist: komplett anders.

Das Lager ist nur deshalb so topmodern ausgestattet, weil das frühere im Sommer 2006 abgebrannt ist. Das Produktionsgebäude beherbergt nur deshalb so ultrafortschrittliche Maschinen, weil das vorherige im Herbst 2012 abgebrannt ist. Und die Fläche in der Mitte des Firmengeländes ist nur deshalb bebaubar, weil auch das Gebäude, das einst dort stand, abgebrannt ist. Das war im vergangenen Juni.

Drei Großbrände in acht Jahren. Drei Mal hat Blanca Mayer zusehen müssen, wie die Flammen ihr Holz und ihre Maschinen fraßen. Die 36-jährige Betriebswirtin, Mutter einer Tochter, getrennt lebend, sitzt in ihrem Büro und sagt mit bestimmter Stimme: „Ich versuche, das nicht emotional zu sehen.“

Die Katastrophe beginnt vor acht Jahren

Der erste Brand bricht am 22. Juli 2006 aus. In der Halle beißt eine Säge auf Metall statt ins Holz. Erst schleudern die Funken durch die Luft, dann nisten sie sich in Spänen auf dem Boden ein. Mitarbeiter schaffen es, das kleine Feuer zu löschen. Doch irgendwo überdauert unbemerkt eine Glut. Die Katastrophe beginnt. Die Flammen klettern die Wände hoch und verleiben sich das Dach ein. Das Feuermeer verschlingt Dutzende Kubikmeter von getrocknetem Holz, vier fertig gezimmerte Häuser, eine Abbundmaschine. Einen halben Tag und die ganze Nacht kämpfen 244 Feuerwehrleute dagegen an. Noch in 15 Kilometern Entfernung ist die Rauchsäule zu sehen, die Blanca Mayer die Tränen in die Augen treibt.

Fünf Millionen Euro lösen sich an diesem 22. Juli in Asche auf. Den größten Schaden hat die Firma, die die Halle damals nutzt. Die Vermieterin Blanca Mayer verliert außer eigenem Holz eine Entrindungsmaschine und natürlich ein Betriebsgebäude.

Die Chefin ist in der Firma groß geworden

Blanca Mayer ist auf dem mehr als 300 Jahre alten Werksgelände groß geworden. Als Kind baute sie aus unverkäuflichen Latten Lägerle. Ihr Vater Werner führte das Sägewerk in der siebten Generation. Als er es 1971 übernommen hatte, gehörte zum Betrieb noch eine Landwirtschaft, und gesägt wurde mit Wasserkraft ausschließlich Holz, das die Bauern aus ihren Wäldern ankarrten. Werner Mayer trennte sich mit der Zeit von seinen Äckern und Feldern, baute das Sägewerk aus und eine Holzhandlung auf.

Bei der feierlichen Firmenübergabe im Neckarbischofsheimer Schlosshotel schenkt Werner Mayer seiner Tochter Blanca ein Ferkel. Es soll der neuen Chefin Glück bringen. Als es im Juli 2006 zum ersten Mal brennt, liegt des Fest im Schlosshotel gerade einmal sechs Monate zurück.

Das zweite Feuer bricht am 28. September 2012 aus. Blanca Mayer ist im Nachbarort, als sie den Flammenschein sieht. „Das wird doch nicht bei uns sein“, denkt sie. Als sie kurz darauf zuhause ankommt, weiß sie: Doch, es ist ihre Firma. Dieses Mal ist das Feuer über das Produktionsgebäude hergefallen. Der Bau dieses neuen Sägewerks war Blanca Mayers erste große Entscheidung als Chefin gewesen. „Mit dieser modernen Produktionslinie haben wir weiter die Chance, auf dem Markt konkurrenzfähig zu sein“, hatte sie bei der Einweihung der vier Millionen Euro teuren Anlage im September 2007 gesagt.

Von dem Werk ist nichts mehr übrig

Als fünf Jahre später 151 Feuerwehrleute vom Hof fahren, ist davon nichts mehr übrig. Alle Motoren sind verglüht, alle Förderbänder versengt. Von den Regalen sind nur noch bizarr verformte Streben übrig, die verkohlten Wände ragen haltlos in den verrauchten Himmel. Die Polizei braucht zehn Tage, bis sie unter den Bergen von Asche, Schutt und Schrott die Brandursache gefunden hat: ein Kurzschluss in einem Motor, der Hackschnitzel beförderte.

Als Kind wollte Blanca Mayer Comiczeichnerin oder Floristin werden. Als sie älter ist, entscheidet sie sich, den Familienbetrieb zu übernehmen. In dem Sägewerk arbeiten kräftige Kerle, die Blanca Mayer von klein auf Respekt einflößten. Nun sollen sie Respekt vor ihr haben. Anfangs gefällt nicht jedem Mann, dass eine Frau das Sagen hat. Doch nach dem Brand weiß jeder: Hätte sich Blanca Mayer gegen den Wiederaufbau entschieden, gäbe es die Firma nicht mehr – und auch nicht die 30 Arbeitsplätze.

Blanca Mayer mietet vorübergehend ein ehemaliges Sägewerk und hält dort die Geschäfte am Laufen, während die neue Produktionshalle in den Bitzwiesen entsteht. Nach anderthalb Jahren ist es soweit: Im April 2014 laufen im neuen Werk die Sägen, und Blanca Mayer denkt: „Geschafft!“

Die Feuerwehr wird Stammgast

Zwei Monate später brennt es zum dritten Mal. Am 13. Juni 2014 sieht ein Nachbar kurz vor Mitternacht Flammen aus der Lagerhalle schlagen und alarmiert die Feuerwehr. Die Mayers, die auf dem Gelände wohnen, hören zwar die Sirenen der Löschfahrzeuge. Doch dass sie schon wieder auf dem Weg zu ihnen sind, merken sie erst, als es an der Haustür klingelt. Blanca Mayer verliert in dieser Nacht sechs Gabelstapler, drei Trockenkammern, zwei Lastwagen, zwei Kappsägen, einen Heizraum, eine Hobelmaschine und Holz im Wert von 300 000 Euro.

Am Anfang der Ermittlungen schließt die Polizei Brandstiftung nicht aus. Nach vier Tagen steht fest: es war wieder ein technischer Defekt. Ein durchgeschmortes Kabel an einer Lastwagenbatterie setzte das Führerhaus in Flammen, von dort griff das Feuer auf die Bretter in den Regalen daneben über und von dort auf den Rest des Lagers. „So viel Pech kann man eigentlich doch nicht haben“, denkt Blanca Mayer.

Es gibt viele Gerüchte

Die Geschäftsführerin kennt die Sprüche, die die Leute machen: Dass es doch kein Zufall sein könne, wenn es drei Mal in einer Firma verheerend brenne. Und dass es ja vielleicht nicht das Schlechteste sei, von der Versicherung neue Gebäude und neue Maschinen bezahlt zu bekommen. „Das sind halt so Witzle“, sagt Blanca Mayer, die darüber nicht lachen kann. „Was uns passiert ist, tut man sich nicht an.“

Seit dem Brand 2012 ist ihr Umsatz von einst sechs Millionen Euro spürbar eingebrochen. Sind Kunden fortgeblieben, weil sich die Lieferzeiten durch den Umzug verlängert haben? Wissen manche gar nicht, dass es das Sägewerk trotz allem noch gibt? Blanca Mayer hatte noch keine Zeit für eine Analyse. Eigentlich wollte sie seit diesem Frühjahr wieder persönlich ihre Kunden besuchen, so wie früher. Inzwischen hat sie dafür einen Außendienstmitarbeiter eingestellt. Sie hat noch immer zu viel anderes zu tun.

Die Verunsicherung wegen der Versicherung ist groß

Blanca Mayer wusste schnell, dass ihre Versicherung auch für den jüngsten Schaden aufkommt. Aber Blanca Mayer wusste lange nicht, ob sie auch künftig versichert ist. Wo drei Mal die Technik versagt, versagt sie vielleicht auch ein viertes Mal? Geht ein Versicherungsunternehmen so ein Risiko ein? Die Firmenchefin verrät nicht, was ihre aktuelle Police kostet. Nach dem derzeitigen Stand ist Blanca Mayers Firma nur noch bis zum Ende des kommenden Jahres versichert. Und auch nur dann, wenn sie ein perfektes Brandschutzkonzept für die neue Halle umsetzt: Rauchmelder, Gasansaugsystem, Sprinkleranlage und so weiter. Das kostet – ob es versicherungstechnisch im übernächsten Jahr weitergeht, steht dennoch in den Sternen.

Blanca Mayer hat nach dem dritten Feuer einen alten Schuppen leer geräumt und dort eine geliehene Hobelmaschine und eine gemietete Kappsäge hineingestellt. Damit das Holz wie früher weiterverarbeitet werden kann. Sie hat sich auf die Schnelle einen Gabelstapler geborgt, damit die Ware vom Sägewerk in die Behelfswerkstatt transportiert werden kann. Und sie hat einen Laster aufgetrieben, damit die Bestellungen weiterhin ausgeliefert werden können. Trotzdem schaffen die Sägewerker in den Bitzwiesen statt der einst 120 Festmeter Holz zurzeit nur die Hälfte. Statt täglich vier Lastwagenladungen Baumstämme werden also nur zwei zu Brettern, Dielen, Bohlen, Kanthölzer oder Paletten verarbeitet.

Aufbau statt Abbau

Woher kommt die Energie, immer weiterzumachen? Woher die Kraft, nicht zu verzweifeln? Blanca Mayers Antwort: „Es hilft doch nichts, den Kopf in den Sand zu stecken.“ Eine Firma aufzubauen sei besser als eine Firma abzuwickeln, also baue sie auf.

In ein paar Wochen wird der neue Hobelautomat geliefert und die neue Schleifmaschine. Die neue Kappsäge ist dann hoffentlich auch aufgebaut und die neue Brikettierpresse installiert. Voraussichtlich stehen dann auch die neuen Gabelstapler auf dem Hof, die vielleicht – wenn das Geld noch reicht – sogar eine eigene Garage bekommen. Ganz schön modern, dieses Sägewerk, könnte man denken.