Obwohl die Gesetze verschärft wurden, gehören Säureattacken gegen Frauen in Indien noch immer zum Alltag. Nach wie vor ist der Zugang zu den ätzenden Chemikalien einfach – und die Täter werden selten belangt.

Dehli - Nur Fotos erinnern daran, was für eine Schönheit Laxmi Agarwal war. Die Schülerin war 15 Jahre, als ihr ein Nachbar im April 2005 am helllichten Tage mitten in Indiens Hauptstadt Delhi auflauerte, sie auf den Boden warf und mit Säure überschüttete. Weil sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte, habe er ihr Gesicht zerstören wollen, sagte der 32-jährige später aus. Er kam mit zehn Jahren Haft davon, Laxmi bleibt für immer entstellt. „Alles brannte wie Feuer, meine Haut tropfte herab“, erzählte sie Reportern.

 

Ihr Schicksal ist kein Einzelfall. Während in Bangladesch die Zahl der Säureattacken gesunken ist, stieg diese Art Gewaltverbrechen in Indien zuletzt an. Die Täter greifen meist zu Schwefel- oder Salpetersäure, manchmal auch Salzsäure. Nur wenige Rupien kostet es, das Gesicht eines Menschen zu zerstören. Die Chemikalien sind etwa in Moped- oder Juwelierläden frei erhältlich, eine Flasche kostet nicht mal 70 Cent.

Meist sind Frauen die Opfer

Opfer sind nicht immer, aber meist Frauen. Die Motive ähneln sich über die Grenzen: Oft sind es verschmähte Verehrer, die die Frau so entstellen, dass sie keine Chancen auf ein normales Leben mehr hat. Andere Gründe sind häusliche Gewalt, Eifersucht, aber auch Streitereien um Mitgift oder Landbesitz. Die Opfer müssen nicht nur mit schmerzhaften Vernarbungen leben, oft zerstört die Säure auch Augen und Nase. Laxmi unterzog sich sieben Operationen, doch bis heute wird sie auf der Straße angestarrt.

Bangladesch hat vorgemacht, dass sich Säureattacken zumindest eindämmen lassen. Zwischen 1999 und 2013 zählte das Land 3 512 Säureangriffe, den Höchststand in 2002 mit fast 500 Opfern. Die Regierung startete nicht nur eine Aufklärungskampagne, sie verschärfte auch die Strafen: Seitdem droht Säure-Attentätern der Tod. Und Händler brauchen eine spezielle Lizenz für den Verkauf. Die Maßnahmen scheinen zu fruchten: Die Zahl der Säureattacken sank — auf zuletzt 69 in 2013. Auch Indien verschärfte 2013 die Gesetze. Seitdem drohen Tätern zehn Jahre Haft, in besonders schlimmen Fällen lebenslänglich.

In Bangladesch ist die Zahl der Attentate zurück gegangen

Doch ähnlich wie bei Vergewaltigungen wird nur ein Bruchteil der Täter tatsächlich verurteilt. 2014 gab es laut Innenministerium 310 Säure-Attacken. Das Nationale Kriminalitätsbüro geht von 1 000 Säureattentaten im Jahr aus, weil viele Angriffe aus Angst oder Scham nicht angezeigt würden.

Laxmi Agarwal zählt heute zu den prominentesten Kämpferinnen für ein Verkaufsverbot der Säure. Sie sammelte 27000 Unterschriften und veranlasste so 2013 Indiens Oberstes Gericht eine strengere Reglementierung des Verkaufs anzuordnen. Danach müssen Käufer volljährig sein und ihre Personalien und Adresse angeben. Doch es wäre Aufgabe der Bundesstaaten, die Anordnung umzusetzen. Und die scheren sich wenig darum. Aktivisten berichten, dass Säure immer noch leicht und billig zu haben ist. Selbst in der Hauptstadt Delhi lassen sich die Chemikalien weiter ohne Papiere oder lästige Fragen kaufen.

Immerhin scheint sich die Zentralregierung nun des Themas anzunehmen. Sie plant, den Handel mit Säure online zu erfassen und stärker zu kontrollieren. Auch wenn ihr Gesicht für immer entstellt ist, hat es die 26-jährige Laxmi Agarwal geschafft, sich ein neues Leben aufzubauen. Zusammen mit dem 28-jährigen Aktivisten Alok Dixit engagiert sie sich nicht nur gegen die Säuregewalt. Die beiden sind ein Paar. Im März brachte Laxmi die gemeinsame Tochter Pihu zur Welt. Ihre größte Sorge sei gewesen, dass ihr Baby bei ihrem Anblick vor Angst weinen würde, sagte sie. „Doch sie hat mich angelächelt.“