Safe Spaces in Stuttgart "Die Stadt ist ab 22 Uhr generell nicht mehr angenehm - egal wo"

Ein Aufkleber im Schlossgarten vom Frauenkollektiv0711. Foto: imago/Arnulf Hettrich

Homo- und Transfeindlichkeit, Rassismus und Sexismus: Für viele ist der öffentliche Raum nicht nur nachts ein Angstraum. Was muss sich tun, damit die Stadt für alle zum Wohlfühlort wird? Wir haben uns in Stuttgarter Safe Spaces umgesehen und mit Betroffenen gesprochen. [Plus-Archiv]

Räume nur für Frauen? Hört sich nach altbackenem und schwarz-weiß-denkendem Alice-Schwarzer-Feminismus an. Man nimmt sie vielleicht nicht auf den ersten Blick wahr, und doch sind solche Räume Alltag in deutschen Groß- und Kleinstädten und an fast jeder Ecke zu finden. Fitnessstudios nur für Frauen zum Beispiel. Oder Gyms mit eigenen Bereichen, in denen Männer tabu sind.

 

Eine Studie fand heraus, dass eine von vier Frauen sich in normalen Studios unwohl fühlt. Geschützt von den Blicken der Männer, würden sich viele in eigenen Frauenstudios oder -zonen besser aufgehoben fühlen, ohne diese Räume explizit als Safe Spaces zu bezeichnen. Denn Frauen durch eigene Schutzräume von Männern zu trennen, ist keine paritätische Lösung - und für viele junge Frauen auch ein emanzipatorischer Rückschlag.

Safe Spaces sind immer noch präsent

Doch woher kommt diese Idee eigentlich? Safe Spaces können physische oder virtuelle Räume sein. Ihr Konzept etablierte sich bereits in den 60er Jahren in den USA, wo die zweite feministische Bewegung eigene Schutzräume für Frauen forderte und damit auch andere, wie die Bürgerrechtsbewegung inspirierte. Nicht nur an Unis, auch im Stadtleben kann man die Überbleibsel dieser Feminist:innen-Generation auch heute noch finden: So gibt es in vielen deutschen Großstädten noch Frauenbuchläden, die damals neben der vernetzenden Funktion auch Bücher führten, die in den 1970er Jahren im üblichen Sortiment des Handels kaum vertreten waren.

Es gibt nicht mehr nur "die Frauen" und "die Männer"

In den letzten 50 Jahren hat sich viel getan, es gibt nicht mehr nur "die Frauen" und "die Männer", eine neue Generation an Netzfeminst:innen trifft sich in den sozialen Medien und nicht mehr im Hinterzimmer von Buchläden. Auch ihre Agenda ist globaler geworden, dreht sich nun auch um queere Personen, trans Menschen und BPoC (Black and People of Color). Die heutigen Schutzräume unterscheiden sich von den ursprünglichen nicht nur in ihrer Virtualität, sondern stellen das Konzept "Safe Spaces" vor gänzlich neue Fragen: Wem gehört der Raum? Was macht ihn aus und wie unterscheiden sich zum Beispiel Räume für Frauen von solchen für Homosexuelle? Sind sie nur gutgemeinte Utopien?

Männer sind erwünscht, haben aber kein Stimmrecht

Immer häufiger hört man von Räumen oder Veranstaltungen für Flinta* only. Flinta* steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen, Männer sind also davon ausgeschlossen. Diese Safe Spaces sollen den Betroffenen ermöglichen, sich in einem angenehmen Rahmen zu treffen. Einer dieser Safe Spaces ist das Stuttgarter FF*GZ. Das Feministische Frauen*gesundheitszentrum Stuttgart e.V besteht seit 1986, seit 2016 trägt der gemeinnützige Verein sogar ein Sternchen im Namen und widmet sich der Intersektionalität. "Alle, die sich als Frauen, trans, Flinta oder nicht-binär identifizieren, können dem Verein beitreten und mitbestimmen", erzählt Lilou, die Teil des Teams ist. Auch Männer sind erwünscht und dürfen sich äußern, haben jedoch kein Stimmrecht. "Wir sind ein Safe Space für alle Gender oder bei bestimmten Veranstaltungen nur für Flinta*", erklärt Lilou.

"Sich als queere Person wohlzufühlen, ist nochmal schwieriger"

Fragt man Lilou nach unsicheren Orten in Stuttgart, muss sie nicht lange überlegen. "Die Stadt ist für Flinta* ab 22 Uhr generell nicht mehr angenehm - egal wo", setzt Lilou an. Man müsse eher fragen, wo man sich denn noch wohlfühlen kann. Es gäbe auch keine sicheren Orte in den Stuttgartern Clubs, weil sie laut Lilou noch immer Orte sind, die größtenteils von Männern betrieben werden. Zwar werde etwas getan, wie zum Beispiel die Aktion Nachtsam, aber es fehle generell an Awareness. "Sich als queere Person wohlzufühlen, ist nochmal schwieriger." Für Lilou bedeuten Safe Spaces wie das FF*GZ Orte, an denen sich Menschen, die ähnliche Werte und Erfahrungen teilen, einander respektvoll begegnen können - egal ob feministisch, queer oder cis.

Was die Stadt tun könnte? "Es braucht vor allem Awareness", ist sich Lilou sicher. Die Stadt sollte zudem ein Referat für Queer-Awareness schaffen. "Es geht nicht um eine Art Sittenpolizei, die alles verbieten will und darauf achtet, dass man nicht mehr zu eng tanzt, sondern man sollte die Gesellschaft schulen und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Sicherheit nicht nur von wenigen Personen ausgeht, sondern alle betrifft", so Lilou. Sie sieht die Stadt auch in der Pflicht, Druck auf Club-Besitzer:innen auszuüben, ihr Personal zu schulen.

Ein Club, in dem sich Frauen und Flinta* sicher fühlen können

Ein integratives Stuttgarter Club-Konzept, das genau auf diese Awareness setzt, ist dabei gar keine so ferne Zukunftsmusik: So soll die Schwaben-Bräu-Passage in der Bahnhofstraße in Bad Cannstatt schon bald vom Kollektiv Prisma als Zwischennutzung bespielt werden. Dort soll unter anderem der neue Club Sunny High ein Zuhause finden, erzählt Lilou. Neben einem Awareness-Team wird es dort gendergerechte Bookings, Abende, die sich an Frauen und benachteiligte Gruppen richten, und verschiedene Workshops geben. Auch sexpositive Partys, wie man sie aus anderen europäischen Metropolen kennt, könnten dort stattfinden.

Ausweiskontrolle steht an der Tagesordnung

In der Cannstatter Bahnhofstraße, nur wenige Meter vom neuen Zwischennutzungsprojekt entfernt, findet sich die Zentrale von Migrantifa Stuttgart. Wir treffen dort Anil Beşli, eines der Gründungsmitglieder des Kollektives, das sich nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd und dem rassistischen Anschlag in Hanau in Stuttgart gegründet hat. Der Zusammenschluss besteht aktuell aus 13 Mitgliedern, es gibt mehr Frauen als Männern, wie Anil im Clubraum erzählt. Zwei Ledersessel, eine Couch, diverse Teesorten nebst einem Wasserkocher und ein Migrantifa-Graffiti an der Wand sorgen für Jungendhaus-Flair auf den begrenzenten Metern. Der 27-jährige Student der Politikwissenschaften erzählt, dass er beim Weggehen oft eine Strichliste geführt hat, um mit einem Kumpel vergleichen zu können, wie oft die beiden anlasslos von der Polizei kontrolliert werden. Dass das Stuttgarter Nachtleben für BPoC, Menschen mit Migrationsgeschichte und Fluchterfahrungen nochmal eine ganz andere Kategorie ist, macht das Gespräch mit Anil sehr deutlich.

"Safe Spaces sind Utopien - deswegen sprechen wir von Safe(r) Spaces"

"Entweder lässt dich der Türsteher erst gar nicht in den Club rein oder du wirst ständig ohne Grund von der Polizei kontrolliert", sagt der Stuttgarter. Auch tagsüber im Anzug, auf dem Weg zu einem Vortrag sei Anil schon in einer Menschenmenge rausgezogen worden. Personenkontrolle, Ausweis zeigen und weiter geht es. Alltag für den Studenten, der auch Vorträge für die Landeszentrale für politische Bildung hält. "Sogar als wir eine Veranstaltung beim Württembergischen Kunstverein am Eckensee hatten, wurden wir von der Polizei kontrolliert", so Anil. In wenigen Tagen wird es Flyer von Migrantifa Stuttgart geben, auf denen zu lesen ist, wie man sich im Fall einer Polizeikontrolle am besten verhalten soll und welche Rechte man hat.

Apropos Eckensee: Die Randale waren ein Einschnitt für die damals gerade frisch gegründete Gruppierung. "Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel behauptete, dass wir an der Randale beteiligt waren", erzählt der Stuttgarter kopfschüttelnd und beklagt, wie lange man nur über die Betroffenen geredet hätte, anstatt auch mit ihnen zu sprechen. Anil zeigt einen der neuesten Flyer auf dem Safe(r) Spaces gedruckt ist. Anil und seinen Mitstreiter:innen wurde bewusst, dass Safe Spaces niemals so sicher sein können, dass dort keine Gefahr mehr ausgeht. "Safe Spaces sind Utopien - daher nennen wir unseren Raum Safe(r) Space", so der 27-Jährige. Für ihn sind Safe Spaces Orte, an denen man über Erfahrungen sprechen kann und die Sicherheit garantieren. "Auch wenn es bei manchen Diskussionen lauter wird, bleibt es immer respektvoll", beschreibt Anil die Migrantifa-Zentrale. Die politische Organisation legt den Fokus dabei auf Jugendarbeit, Organisation von Demos und Veranstaltungen, Bildungs- und Aufklärungsarbeit für Betroffene sowie auf intersektionalen Feminismus. Dabei ist Migrantifa Stuttgart ständig im Austausch mit anderen Gruppierungen, wie etwa der Stuttgarter Black Community Foundation, mit der sich die Migrantifa auch die Büroräume teilt.

"Es braucht vor allem einen gesellschaftlichen Wandel"

"Wir möchten im Erdgeschoss ein Jugendhaus mit einem Café einrichten", erzählt Anil von den Plänen der Organisiation, ihren Safe(r) Space noch weiter auszubauen. Er findet, dass organisierte Jugendarbeit oft an den Betroffnenen vorbeigeht. "Viele wollen einfach nur einen Ort, an dem sie sich in Ruhe treffen können - auch ohne etwas zu konsumieren." Er und seine Freund:innen seien nach wie vor gerne auf der Königstraße, der Theo und am Eckensee unterwegs, sagt Anil, der seit diesem Jahr für die Linke im Esslinger Gemeinderat sitzt. Was müsste sich aus seiner Sicht in Stuttgart tun, damit sich alle wohlfühlen können? "Es braucht vor allem einen gesellschaftlichen Wandel, mehr Sozialarbeit und auch Ansprechpersonen in den Stadtbezirken, die mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen", so Anil. Eine Person, die klar vermittelt, dass sie auch helfen kann und normal mit den Jugendlichen redet, wäre viel wert.

Ein sicherer (Bildungs-)Raum für weibliche und queere Jugendliche und junge Frauen

So eine Person ist Mandy Hildebrandt. Sie führt durch die Dreizimmerwohnung in der Nähe des Linden-Museums. Der Safe Space bietet seit 2002 einen Rahmen für Schüler:innen mit Ausgrenzungserfahrungen und oft damit verbundenen Schulabsentismus, psychischen Erkrankungen, junge Mütter und Jugendlichen bzw. junge Frauen mit Suchtmittel- oder Missbrauchserfahrungen. Als Außenstelle der Albert-Schweitzer-Schule (SBBZ ESENT) können sie hier in einem geschützten Rahmen einen Schulabschluss erlangen. Weitere, in ähnlicher Weise arbeitende Außenstellen gibt es in der Tübinger Straße, in Böblingen und in Sindelfingen für männliche Jugendliche. Regelschulen bieten solche Safe Spaces nach wie vor nicht an.

Mandy führt durch die kleine Wohnung, zeigt die Arbeitsplätze, die Werkbank, Bastelarbeiten, Plakate und Kunst an den Wänden, am Tisch steht ein selbstgebastelter Kerzenständer. "Die Jugendlichen sagen ganz klar, dass es eine Herausforderung für sie ist, sich in gewissen Räumen, zum Beispiel an Bahnhöfen, zu bewegen", so Mandy. Viele Frauen und Mädchen würden Umwege in Kauf nehmen und sich Strategien überlegen, um sicher nach Hause zu kommen, erzählt die Diplom- und Sonderpädagogin, die hier in den geschützten Räumen ganz individuell auf die Bedürfnisse der Jugendlichen eingeht.

Perspektiven entwickeln, Brücken bauen und einen sicheren Raum bieten

"Partizipative Mädchen*-Arbeit" nennt Mandy ihr Feld, zu dem mehr gehört als Frontalunterricht, der in der Wohnung sowieso nicht möglich wäre. Sie und ihre Kolleginnen wollen mit den Jugendlichen Perspektiven entwickeln und einen sicheren Raum bieten. Dazu gehört auch gemeinsames Kochen und ein flexibler Stundenplan - auf freiwilliger Basis und immer mit Blick auf eigenen Ziele als treibenden Motor. Denn zwingen kann man hier niemanden, sagt Mandy. Auch Veranstaltungen stehen auf dem Programm der Einrichtung, erzählt Mandy und zeigt auf eine Stele, die im Rahmen des Internationalen Tag gegen Gewalt an Mädchen* und Frauen* am 25. November entstanden ist. Am Weltmädchen*tag haben die Jugendlichen unsichere Orte in Stuttgart auf einem Stadtplan markiert. Auch Schule und der Schulweg seien für die Mädchen nicht per se sichere Orte. Hätte Mandy einen Wunsch frei, wäre es das gleiche in Grün für Jungs. "Es braucht eine antisexistisch gedachte Jungen*arbeit mit bewusst handelnden Vorbilden", so die Stuttgarterin.

Durch Angebote wie handwerkliche Tätigkeiten, eine intersektionale und an Diversität ausgerichtete Themensetzung oder einfach nur eine Tasse Tee kommen Mandy und ihre Kolleginnen ins Gespräch mit den Jugendlichen und jungen Frauen* um Unsicherheiten anzusprechen und auch wieder Vertrauen aufzubauen. "Wenn das hier nicht der richtige Ort ist, suchen wir gemeinsam einen anderen - damit das Vertrauen nicht kaputt gemacht wird und weitere negativ besetzte Abbrüche im besten Fall verhindert werden", sagt Mandy. Denn ohne Vertrauen gibt es auch keine Sicherheit.

Hier gibt es Safe Spaces in Stuttgart:

Feministisches Frauen Gesundheitszentrum (FF*GZ), Kernerstr. 31, Stuttgart-Mitte, weitere Infos gibt es hier >>>

Migrantifa Stuttgart, Bahnhofstr. 14, Stuttgart-Bad Cannstatt, hier bekommt ihr mehr Informationen >>>

Mädchen*Stuttgart weitere Infos gibt es hier >>>

Weissenburg Zentrum, Weißenburgstr. 28A, Stuttgart-Mitte, hier geht es zur Homepage >>>

Legal Café, Bahnhofstr. 14-18, Stuttgart-Bad-Cannstatt, weitere Infos >>>

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