Vor dem Rennen in Australien beklagen viele Piloten die schwierige Bedienung der Autos. Ist die Formel 1 zu kompliziert geworden?  

Melbourne - Nach dem ersten Training in Australien ist die Formel1 nicht viel schlauer als zuvor. Red Bull bleibt der Favorit vor dem Saisonstart am Sonntag in Melbourne (8 Uhr MESZ/RTL). McLaren immerhin überrascht mit einer Tagesbestzeit, die man nicht erwarten durfte. Ferrari und Mercedes liegen in Lauerstellung. Was die Zeiten wert sind, kann nur der Tankinhalt klären, doch der bleibt so geheim wie die Rezeptur von Coca Cola. Die Reifen halten länger als erwartet, das Energierückgewinnungssystem Kers und der verstellbare Heckflügel lieferten keine neue Nahrung für Spekulationen. In Fahrerkreisen bleibt das Thema aber umstritten.

 

Ist die Formel1 zu kompliziert geworden, sind die Piloten überfordert mit ihrer Playstation auf dem Lenkrad? Diese Frage muss sich der Beobachter stellen, wenn er die Klagen einiger Fahrer hört. Unter ihnen immerhin der amtierende Weltmeister. Zu viel Ablenkung, zu viele Bedienungselemente auf einmal, zu gefährlich, sagt Sebastian Vettel. Nick Heidfeld ist derselben Meinung. Und Witaly Petrow versucht, die neuen Anforderungen dem Normalmenschen verständlich zu machen: "Das ist so, als müsstest du gleichzeitig Eier kochen, telefonieren und dir die Schnürsenkel zubinden."

Alonso hat kein verständnis für die Klagen

Aber nicht alle sind dieser Meinung. "Kein Problem", sagt der Altmeister Michael Schumacher und winkt ab. Ihm können gar nicht genug Knöpfe am Lenkrad sein: "Alles, was mich bei richtiger Bedienung schneller macht, ist willkommen." Auch Fernando Alonso hat kein Verständnis für die Klagen seiner Kollegen. "Wenn du keine Zeit hast, bestimmte Knöpfe zu drücken, dann verzichtest du eben darauf."

Der moderne Rennfahrer muss ein Multitaskingtalent sein. Neben Lenken, Gasgeben und Bremsen bietet ihm das Lenkrad eine Vielzahl von Verstellmöglichkeiten für Motor, Getriebe, Kers oder den Heckflügel. "Als ich 1993 in die Formel 1 kam, hatte mein Lenkrad genau einen Knopf. Das war der Funk", erinnert sich der Formel-1-Veteran Rubens Barrichello. "Heute sind es 26." Da gibt es Schalter für die Bremsbalance, die Motordrehzahl, das Benzingemisch, das Differenzial, die Kupplung, die Digitalanzeige. Das macht's nicht einfacher.

Die Gemüter sind entzündet

In diesem Jahr kommen zwei neue Funktionen hinzu. Kers steht für 82 PS extra aus dem Hybridantrieb. Diese sind jede Runde 6,7 Sekunden lang abrufbar. Unter W wie Wing verbirgt sich der Verstellmechanismus für den Heckflügel. Wird er aktiviert, kippt die obere Leiste des Flügels, im Fachjargon Flap genannt, nach hinten. Das erhöht den Topspeed um zwölf Stundenkilometer. Im Training darf man den Heckflügel an jeder erdenklichen Stelle der Strecke verstellen. Im Rennen dann aber nur an einer, und auch nur dann, wenn der Abstand zum Vordermann vor dieser Stelle weniger als eine Sekunde beträgt. Der Fahrer bekommt dann ein Signal ins Cockpit gespielt. Daran entzünden sich die Gemüter.

Man müsse im Pulverdampf eines Grand Prix auch noch auf Lampen im Cockpit Acht geben, schimpft Vettel. Alonso entgegnet den Kritikern: "Wir haben dafür zwei Funktionen weniger. Den verstellbaren Frontflügel und den F-Schacht gibt es nicht mehr." Heidfeld hält dagegen: "Das lässt sich nicht vergleichen. Kers und den Heckflügel muss man gleichzeitig bedienen. Das macht es so kompliziert."

Vettel will weniger Arbeit im Cockpit

Barrichello kann auf seine alten Tage mit seinem Multifunktionslenkrad leben. Nur der permanente Abgleich mit den Informationen vom Display macht dem 38-jährigen Brasilianer Sorgen. Er muss dort nicht nur ablesen, ob er den Heckflügel flach stellen darf. Auf der Anzeige wird ihm auch mitgeteilt, wie viel von den 6,7 Sekunden der Kers-Leistung er bereits abgerufen hat. "Es strengt an, wenn die Augen laufend zwischen Straße und Display hin- und herpendeln. Auf eine Renndistanz kriegst du Kopfweh."

Vettels Kampagne für weniger Arbeit im Cockpit lässt die Konkurrenz misstrauisch werden. "Der beschwert sich nur, weil Red Bull da einen Nachteil für sich sieht", glaubt der Mercedes-Teamchef Ross Brawn. "Wahrscheinlich ist die Bedienung in seinem Auto zu kompliziert." Bei Mercedes, Ferrari und McLaren hält man aus genau diesem Grund die Füße still. Was dem Gegner schadet, nutzt einem selbst. Die drei Teams haben ihren teuersten Angestellten die Arbeit durch intelligente Lösungen abgenommen.

Bei Ferrari und Mercedes treten die Fahrer ein Fußpedal, wenn sie den Heckflügel flach stellen. Andere haben zum Aktivieren von Kers das Gaspedal mit einer Kickdown-Funktion programmiert. Der Rennleiter Charlie Whiting hält denen, die ein Sicherheitsrisiko herbeireden, entgegen: "Wenn mir sechs anerkannte Fahrer erklären, dass sie kein Problem damit haben, kann ich schlecht etwas unternehmen."